MALMOE

Zombie 
Anthropophagie

Zur neoliberalen Subjektivität

Ein Aufstand auf der Ebene der Makropolitik wird nicht genügen

Angesichts des Ausmaßes der Zerstörung, die durch die Übermacht dieses Systems und durch die Ohnmacht der Linken, sich ihm zu widersetzen, angerichtet wurde, müssen wir uns eingestehen, dass ein Aufstand auf der Ebene der Makropolitik nicht genügen wird. Wir können uns nicht auf das Feld beschränken, auf dem die Linke traditionell agiert, um eine weniger asymmetrische Verteilung der (gesellschaftlichen, ökonomischen und politischen) Positionen zu erreichen – und einen Staat, der diese Ausweitung der Gleichheit unterstützt. Der Aufstand muss auch auf der mikropolitischen Ebene erfolgen, in den Produktionsweisen des Unbewussten und des Begehrens, die die existenzielle Beständigkeit des herrschenden Systems garantieren und ohne die es sich nicht auf den Beinen halten kann. Wenn wir nicht darauf hinarbeiten, die Figuren (und ihre jeweiligen Szenenbilder) zu verwandeln, die aus der herrschenden Politik des Begehrens hervorgegangen sind, dann wird notwendigerweise alles wieder an seinen Platz zurückkehren. Wir müssen uns also eingestehen, dass eine Vereinigung der mikro- und makropolitischen Kämpfe unvermeidbar ist – auf allen Feldern unserer alltäglichen Existenz, in allen individuellen und kollektiven Bewegungen.
Und ist es nicht genau das, was heute, angesichts der finsteren Landschaft, die sich über den gesamten Planeten ausgebreitet hat, Tag für Tag und immer intensiver und umfassender auf der ganzen Welt geschieht? Man kann nicht leugnen, dass eine radikale Verwandlung der gesellschaftlichen Gestaltungen des Unbewussten – in seinen Szenenbildern und Figuren – vorangetrieben wird, und zwar in erster Linie von Frauen, LGBTQI, Schwarzen und Indigenen, vor allem in den jüngeren Generationen. Es sind kriegerische Gesten, die uns dazu aufrufen, jede_r auf ihre oder seine Weise, die Fabriken des Unbewussten zu besetzen, um Synergien zu kreieren, die unseren Wagemut stärken und uns bei unserer Aufgabe unterstützten.

Die Dringlichkeit des Mikropolitischen Aufstands

Die größte Herausforderung besteht heute in der Arbeit, die für eine Dekolonisierung des Unbewussten erforderlich ist, denn der Kampf auf der Ebene der Mikropolitik hat viel später angefangen als der Kampf auf der Ebene der Makropolitik, für den wir auf einen Schatz von Erfahrungen zurückgreifen können, die sich über zweieinhalb Jahrhunderte (wenn wir den Beginn dieser Form des Aufstands auf die Zeit zwischen 1789 und 1791 datieren, also zwischen der französischen und der haitianischen Revolution) oder über eineinhalb Jahrhunderte erstrecken (wenn wir, wegen des sozialistischen Charakters der Pariser Kommune, den Beginn auf das Jahr 1871 datieren). Um dieser Herausforderung begegnen zu können, müssen wir unsere Diagnostik der herrschenden, unbewussten Produktionsweise und ihrer toxischen Auswirkungen auf das individuelle und kollektive Leben verfeinern – denn diese Produktionsweise ist dafür verantwortlich, dass wir unser Begehren aktiv einer Ausbeutung des Lebens durch die kapitalistische Produktion unterwerfen. Darüber hinaus müssen wir das Kriegsgerät entwickeln, das der Ebene der Mikropolitik angemessen ist. Beide Ziele hängen von einem mikropolitischen Aufstand im Denken selbst ab: Wir müssen uns von einer logozentrischen Perspektive lösen, die zu einer auf das Subjekt reduzierten Subjektivität gehört, um uns stattdessen von einem moralischen Kompass leiten zu lassen, dessen Nadel auf das zeigt, was es dem Leben erlaubt, sich aus seiner Ausbeutung zu befreien und seine schöpferische Kraft wiederzuerlangen. Anders gesagt geht es darum, das Leben als Kriterium für die Bewertung der Gegenwart anzunehmen – und für die Entscheidungen des Begehrens, wenn es sich in einer Sackgasse befindet. Das ist die Voraussetzung für die Produktion eines Lebens, das sich nicht der Zuhälterei des Kapitals unterwirft.
Die Konfrontation mit dieser Herausforderung erfordert eine unendliche Arbeit von jede_r einzelnen und von vielen: Sie stellt den Horizont für die folgenden Vorschläge dar.

Zehn Vorschlägen für die eine anhaltende Dekolonisierung des Unbewussten

Wir müssen die Betäubung überwinden. Wir müssen wieder für die veränderbaren Kräftediagramme empfänglich werden und die Subjektivität zu ihrer Erfahrung außerhalb des Subjekts ermächtigen.
Wir müssen das Wissen vom Lebendigen erlangen und im Laufe unseres Lebens weiterentwickeln. Wir müssen die Welt als etwas Lebendiges erfahren, dessen Kräfte auf unsere Körper wirken, die ebenso beschaffen sind wie alle anderen Elemente, aus denen sich der lebendige Körper der Biosphäre zusammensetzt.
Wir müssen immer weiter versuchen, den Zugang zu der spannungsreichen Erfahrung des Fremd-Familiären freizulegen – spannungsreich wegen der paradoxen Beziehung zwischen der Erfahrung des „Fremden im Nest“, die außerhalb des Subjekts gemacht wird, und der Erfahrung des Familiären, die dem Subjekt eigen ist.
Wir müssen die Fragilität anerkennen, die sich der destabilisierenden Deterritorialisierung verdankt, die jener fremd-familiäre Zustand früher oder später bewirkt.
Wir dürfen die Fragilität dieses instabilen Zustands nicht länger als „etwas Schlechtes“ interpretieren. Ebenso wenig dürfen wir das daraus resultierende Unbehagen einer phantasmatischen Lektüre unterziehen und falsche Erklärungen erdichten. Wir müssen uns der Furcht vor der Schutzlosigkeit und ihren imaginierten Konsequenzen stellen, der Furcht vor Ablehnung, Zurückweisung und Demütigung, vor dem Liebesentzug und vor den schreckeinflößenden Gespenstern, die er heraufbeschwört, etwa die gesellschaftliche Exklusion und der Wahnsinn.
Wir dürfen dem Verlangen nach einer Konservierung der Existenzformen nicht nachgeben. Wir dürfen dem Druck, der dadurch auf das Vermögen des Lebens und seinen differenzierenden Impuls ausgeübt wird, nicht nachgeben. Ganz im Gegenteil müssen wir versuchen, uns so lange auf dem seidenen Faden dieses instabilen Zustands des Fremd-Familiären zu halten, bis die schöpferische Einbildungskraft einen körperlich-sprachlichen Ort konstruiert. Weil die Einbildungskraft den Pulsschlag des Embryos verspürt, das den Nest-Körper bewohnt, wird sie einen Ort konstruieren, an dem sich die virtuelle Welt, die in dieser Erfahrung angekündigt wird, verwirklichen kann und so die im Sterben liegenden Formen endlich erlöst werden.
Wir dürfen uns nicht über die Zeitlichkeit hinwegsetzen, die der schöpferischen Einbildungskraft eigen ist, um nicht Gefahr zu laufen, das Aufkeimen einer neuen Welt zu unterbrechen. Eine solche todbringende Unterbrechung würde die Einbildungskraft für die Ausbeutung durch das kolonial-kapitalistische System anfällig machen und sie der verführerischen Vorstellungswelt unterwerfen, die dieses System uns aufzwingt. Diese Unterbrechung würde die Einbildungskraft vollkommen sterilisieren: An die Stelle des schöpferischen (vom Leben geforderten) Prozesses, der zwar Kreativität erfordert, sich aber nicht auf sie reduzieren lässt, würde ein bloß noch kreativer Prozess treten, der, losgelöst vom Leben, ganz im Dienst der Systemnotwendigkeiten stünde.
Wir müssen das Begehren in seiner moralischen Dimension festhalten, als eine Bejahung des Lebens. Wir müssen dafür sorgen, dass das Begehren zu jedem Zeitpunkt so fruchtbar wie möglich bleibt, dass der Prozess der grenzenlosen Differenzierung von Formen und Werten nicht unterbrochen wird.
Wir dürfen niemals das Unverhandelbare verhandeln: all das, was der Bejahung des Lebens, was der für die Bejahung wesentlichen schöpferischen Kraft im Weg ist. Wir müssen lernen, das Unverhandelbare vom Verhandelbaren zu unterscheiden: von all dem, was man annehmen und woran man sich anpassen kann, weil es die grundlegende Lebenskraft nicht schwächt, sondern ganz im Gegenteil die objektiven Bedingungen dafür schafft, dass sich etwas ereignen kann und dass das Begehren seine ethische Bestimmung erfüllt.
Wir müssen ein Denken praktizieren, das nur um seiner selbst willen da ist, ein Denken, in all seinen unauflöslich miteinander verflochtenen ethischen, ästhetischen, politischen, kritischen und klinischen Dimensionen. Wir müssen die Welt in jeder Geste, in jedem Wort, in jeder Beziehung zum (menschlichen oder nicht-menschlichen) Anderen, in jeder Existenzweise neu imaginieren – und zwar jedes Mal, wenn das Leben es erfordert.
Offensichtlich sollen derartige Vorschläge kein Rezept darstellen, mit dem eine angebliche „Heilung“ der pathologischen Auswirkungen unserer Kultur erreicht werden kann. Es geht nicht darum, den heute von Grund auf erschütterten makropolitischen Messianismus, der in jeder revolutionären Utopie impliziert ist, durch eine Art klinisch-künstlerisch-mikropolitischen Messianismus zu ersetzen – denn auch dieser bliebe der Vorstellung eines Paradieses verhaftet, in dem sich endlich eine angenommene ewige Stabilität einstellt. Es sind eingebildete Szenarien, die unsere Angst vor der unauflöslichen Instabilität des Lebens befrieden sollen. Diese Angst ist charakteristisch für eine Subjektivität, die auf das Subjekt reduziert ist und die unter dem Joch der kolonial-kapitalistischen Produktionsweise des Unbewussten jeden Zugang zum Lebendigen verloren hat. Die Guarani haben uns gelehrt, dass wir uns in dieser Instabilität halten müssen, um das Leben als eine Kraft der verwandelnden Variation so gut wie möglich zu verkörpern. Für den Endzweck des mikropolitischen Aufstands, für die Aufgabe einer Dekolonisierung des Unbewussten, ist diese Lehre von entscheidender Wichtigkeit.