MALMOE

I’m just Ken

Männlichkeitstheorien im aktuellen Barbie-Film.

Im Barbie-Film geht Ken gemeinsam mit Barbie in die Realworld und lernt dort das Patriarchat kennen. War er bislang im eher matriarchal-inspirierten Barbieland nur ein austauschbarer Sidekick, führt er dort nun das Patriarchat ein und orientiert sich dabei überraschend deutlich an Männlichkeitstheorien aus unserer realen Welt.
Nach Raewyn Connell, der wahrscheinlich meistzitierten Männlichkeitstheoretikerin, ist Männlichkeit eine Position in einem machtvollen Geschlechterverhältnis und auf verschiedenen Ebenen allgegenwärtig: in Gesetzen, In-stitutionen und individuellem Handeln sowie in Körpern, Persönlichkeiten und Kulturen. Zentral für die Herstellung von Männlichkeit sind nach Connell erstens die Unterordnung von und die Dominanz über Weiblichkeit und zweitens hierarchische Kämpfe zwischen verschiedenen Männlichkeiten. Männer streben dabei nicht nur danach, Frauen zu dominieren – sie dominieren auch andere Männer und ‚verfeinern‘ ihre Hierarchien, indem sie z. B. Homosexualität oder Herkunft nochmals unterordnen und marginalisieren. So entsteht ein hegemoniales Männlichkeitsmuster: eine Art männliches Leitbild, welches (jeweils kontext- und zeitspezifisch) das Patriarchat legitimiert. Selbst Männer, die dieses Ideal nicht gänzlich erreichen, bekommen eine patriarchale Dividende, da auch sie vom männlichen System profitieren – z.B. in Form des Gender Pay Gaps oder durch ein höheres Sicherheitsgefühl im öffentlichen Raum. Auch in Barbie profitieren die normalen Kens von der Politik des hegemonialen Kens: Während dieser die Abwertung der Barbies persönlich und institutionell vorantreibt, sind die normalen Kens eher passiv – erhalten aber trotzdem ihre Dividende, indem sie mit großen Autos und wichtigen Jobs ausgestattet werden.
Gegen Ende des Filmes kämpfen die verschiedenen Kens um die Anerkennung der Barbies in einem epischen Beach-Fight. Auch dies lässt sich männlichkeitstheoretisch gut fassen, hier aber mit Pierre Bourdieu. Der schreibt von den „Spielen um die Herrschaft“, die von Männern gespielt werden müssen, damit diese überhaupt als Männer anerkannt werden. Frauen seien dabei schmeichelnde Spiegel (ein Begriff von Virginia Woolf): Sie dürfen nicht mitmachen, aber weil ihre Anerkennung zentral für männlichen Status ist, tragen sie als symbolisches Kapital zur Herstellung von Männlichkeit bei. Ebendies setzen die Barbies im Film ein: Sie bringen die Kens gezielt gegeneinander auf und locken sie in den Beach-Fight. Sie nutzen die Mittel des Patriarchats, um es von innen heraus ins Wanken zu bringen. Nach dem Beach-Fight kommen die Kens zurück in die Stadt, wo die Barbies die Macht wieder an sich genommen haben. Ken und Barbie haben ein längeres Gespräch darüber, dass es so nicht weitergehen kann. Ken realisiert, dass ihm das Patriarchat eigentlich nicht guttut. Er weint, nimmt seine eigenen Gefühle wahr und legt gemeinsam mit den anderen Kens das Dominanzgebaren ab – alle sind happy.
Viele Rezensent*innen sehen in diesem Turn das transformative Moment des Filmes. Dieses lässt sich ebenfalls in Männlichkeitstheorien einordnen und zwar in das Konzept der caring masculinities von Karla Elliott. In Abgrenzung zu hegemonialer Männlichkeit sind in den letzten Jahren vermehrt Männlichkeitsbilder populär geworden, für die das Übernehmen von Sorge- und Beziehungsarbeit und die Ablehnung von Dominanz konstitutiv sind. Teilweise sind sie hoffnungsvoll als Antithese zur gewaltvollen hegemonialen Männlichkeit bezeichnet worden. Ken ist am Ende des Films quasi bekehrt, er hat jetzt verstanden, dass er „kenough“ ist und wertvoll und geschätzt, ohne darum permanent kämpfen zu müssen.
So einfach wie im Film ist dieser Wandel aber leider nicht. Femizide und sexualisierte Gewalt sind für viele immer noch Realität. Und auch modernere Männlichkeiten zeigen beim genaueren Hinsehen ihre Kehrseite: Zwar lassen sich Sorgearbeit, Zuhören und kümmernde Aspekte inzwischen auch vermehrt bei Männern finden, die sorgenden und fühlenden Anteile werden jedoch oft „einfach“ in Hierarchie- und Dominanzstrukturen integriert. Nicht mehr im Sinne eines „ich habe mehr Geld oder Muskeln“, sondern im Sinne eines „ich mache mehr Sorge-Arbeit als du, ich habe mehr gebabysittet, ich habe mehr…“ Dadurch bedienen auch moderne, emotionalere Männlichkeitsbilder zumindest in Teilen die Grundstruktur patriarchaler, hegemonialer Männlichkeit. Dass ein eigentlich transformativer Ansatz in der Praxis letztlich wieder alte, gewaltvolle Strukturen aufweist, ist als solches keine Neuigkeit – so machen Kapitalismus, Sexismus, Rassismus und Co das ziemlich oft. Caring masculinities, die Sorgearbeit und ein dominanzfreies Kümmern ins Zentrum ihrer selbst setzen, berauben sich so allerdings ihres transformativen und emanzipatorischen Potentials selbst.
Doch wenn Sorge und Fürsorge umeinander, Care-Arbeit und Relationalität eine Möglichkeit darstellen sollen, patriarchale Strukturen zu untergraben und irgendwann vielleicht herauszukommen aus diesen Verhältnissen, dann heißt das für die Praxis wahrscheinlich: üben üben üben. Der ganze Mist steckt in uns (und unseren Strukturen). Er ist erlernt – also müsste er theoretisch auch wieder zu entlernen sein – aber das bedeutet viel Arbeit. Ken braucht vermutlich noch ganz schön viel Zeit zum Üben. Und wenn ich ihm etwas für den Anfang raten könnte, dann wäre es die Lektüre von bell hooks Buch the will to change.