MALMOE

Zwischen Beschämung und Unsichtbarkeit

Plädoyer für einen offeneren Umgang mit BDSM

Wie kinky oder vanilla wir unser Sexualleben gestalten, ist Geschmackssache, auch wenn dies stark von kulturellen Aspekten, geschlechtlichen Rollenbildern, etc. abhängt. Wie offen wir als Linke konsensualen BDSM-Praxen gegenüberstehen, ist jedoch eine politische Frage, die bestimmt, wie viel emanzipatorisches Gehalt unser Feminismus haben kann und ob wir mit unseren Sexualpolitiken wirklich auf Seiten aller Betroffenen stehen. Als kinky Person ist meine sexuelle Identität weitgehend unsichtbar. Gerade in einem fehlgeleiteten Verständnis von Feminismus wird sie sogar als „politisch falsch“ gesehen, geleugnet und mit Scham belegt. Dies birgt reale Gefahren. Der Weg in eine selbstbestimmte freie Sexualität ist für Menschen wie mich immer noch weit.
Schon seit ich ein Teenager bin, hat es mich zu Promiskuität, zum Verbotenen, zum Schambehafteten gezogen und als junge Erwachsene bald auch zur Intensität, zum Schmerz und zum Überwältigt werden. Heute identifiziere ich mich als sexuell submissiv und masochistisch. Die meisten meiner SexpartnerInnen sind sexuell dominante und sadistische Männer. Zugleich bin ich Feministin und linksradikal. Wenn diese Kombination eine Verwirrung auslöst, ist das ein Zeichen für genau den Missstand, den ich adressieren möchte.
Meine Sexualität hat mich in meinem Leben oft erschreckt, verunsichert und ich habe mich unzählige Male gefragt, wieso ich so bin und was es bedeutet. Was ich in der feministischen Theorie, aber auch insbesondere von queeren Communities über das Vertrauen in das eigene Erleben als Ausgangspunkt gelernt habe, hat mir dennoch Zuversicht gegeben, meine Erfahrung anzuerkennen und meine Sexualität als, in den Worten Audre Lordes, „power of the erotic“ zu akzeptieren. In meiner Erfahrung wird aus Schmerz Lust, wird Macht zum Spiel, die Scham wird zum Zentrum der Begierde. Und das oft in Szenen – und hier liegt auch der Kern der Kontroverse für viele FeministInnen – die aussehen wie patriarchale Gewalt. Meine sexuelle Praxis ist komplex, aber zugleich unbestreitbar ein Lebensbereich, der mir mit einer Intensität Kraft gibt wie kein anderer.
In der Linken habe ich über meine Sexualität vermittelt bekommen, das könne keine feministische Praxis sein. Das insinuiert, meine Erfahrung sei eine Einbildung, ein „falsches Bewusstsein“ oder patriarchale Gehirnwäsche. Wie viele andere führe auch ich daher heute noch in gewisser Weise ein Doppelleben. Das bedeutet, meinen GenossInnen nicht zu erzählen, wie ich meine Abende und Wochenenden verbringe, was mich beschäftigt oder was ich lese. Dabei geht es mir nicht darum, intime Details aus meinem Sexualleben zu teilen, sondern offen über eine Identität zu sprechen, die meinen Zugang und mein Wissen über Konsens bestimmt und aus der etwa die Zugehörigkeit zu einer Szene und Community folgen. Es bedeutet, Spuren an meinem Körper zu verstecken und Witze über BDSM zu hören, ohne darauf zu reagieren. Es bedeutet, in einer Gesellschaft zu leben, in der ich auf der Suche nach PartnerInnen und einer unterstützenden Community auf Plattformen und in Räume gehen muss, die als „schmuddelig“ und unsicher verrufen sind. Andere kinky Menschen in meinen linken Communities habe ich flüsternd, anhand kleiner Zeichen und vorsichtigen Andeutungen gefunden. Die allerwenigsten sind innerhalb der Linken „out“.
Die Pseudo-Sichtbarkeit von BDSM in der Pornographie und im Mainstream trügt. Es gibt quasi keine kulturelle Beschäftigung mit BDSM, die die Realität von kinky Menschen und Communities darstellt. Das Angebot besteht aus Fantasien, Übertreibungen, Klischees und nicht selten auch einem gutmütig daherkommenden Lächerlich machen. Ich konnte einige großartige Content Creators auf Plattformen finden, die mir enorm weitergeholfen haben – allen voran Lina Dune, mit ihrem Podcast „Ask a Sub“. Diese Inhalte unterliegen jedoch einem strengen Zensur-Regime und werden nach und nach gesperrt und gelöscht. Umfangreiche Aufklärung ist in unserer Gesellschaft immer noch mit großen Hürden versehen.
Als ich jünger war, wurden meine Unerfahrenheit, mein Unwissen und die Scham über meine Sexualität von einem Sexpartner ausgenutzt. Er hat mir zu verstehen gegeben, es gebe genau eine richtige Art von BDSM und dazu gehöre, mich immer zu heftig schlagen zu lassen, weil ich auf Schmerzen stehe, eine Art, mich ihm zu unterwerfen, weil ich submissiv bin – eine Art, die oft über meine Grenzen ging. Hätte ich mehr über meine Sexualität gewusst, hätte ich Zugang zu besserem Rat gehabt, hätte ich diese Begegnung nicht wiederholt. Aber ich wusste es nicht besser. Ich dachte, dies sei die einzige Art, Befriedigung für meine Bedürfnisse zu finden. Denn zugleich war die Lust so echt und die guten Teile dieser Begegnungen konnten einen machtvollen Teil meiner Identität entfesseln. Am Ende stand damals aber immer doch eine echte Verletzung meiner Grenzen, ein Gefühl, das etwas mit mir nicht stimmt. Er sagte zu mir: „Sprich in der Linken nicht darüber, denn du weißt, Leute wie wir kommen dort nicht gut an.“ Während ich zugleich wusste, dass so auch der Missbrauch spricht, wusste ich zugleich auch, dass ein Teil davon wahr ist.
Das Fehlen von Wissen, Aufklärung und Hilfe bringt viele junge Menschen, die gerade ihre kinky Sexualität entdecken und ausprobieren wollen, in besonders verletzliche Situationen. Die Linke muss sich darauf besinnen, dass eine befreite Sexualität als essenzieller Bestandteil unseres Lebens, unserer Bedürfnisse und unserer Identitäten auch ein dementsprechend zentrales Ziel jedes Freiheitskampfes sein muss. Eine feministische, emanzipatorische Linke muss daher radikal offen für alle konsensualen Spielarten der Sexualität sein. Sie muss sich auf Seiten der Betroffenen stellen, auch wenn sie deren sexuellen Begierden nicht teilt, nicht versteht oder sogar abstoßend findet. Statt die Scham der Betroffenen und Unwissen in der Gesellschaft zu verstärken, braucht es Aufklärung über Konsens und Sexualitäten gerade auch abseits der Norm.