MALMOE

Editorial – queerconnexion

Pünktlich zum Sommeranfang gibt es die neue MALMOE. Bereits an einem eisigen Wintertag hatten wir unseren Schwerpunkt für das Magazin auf die ersehnte Hitze der Sommerferien ausgerichtet. Urlaub und Ressourcen stellen super Themen für die Urlaubslektüre dar, sollten aber nicht nur auf die leichte Schulter genommen werden. Hinter dem fluffigen Titel findet ihr Beiträge zu aktuellen gesellschaftlichen Diskussionen von Ecuador bis an den Semmering. Wie die Donau, erscheint die Oberfläche seicht, aber darunter liegt viel Schlick. Unergründlich tief, vermodert, ein bisschen stinkig und eventuell den ein oder anderen Schatz verbergend.


Mit der letzten Doppelnummer hatten wir breite Änderungen in Aufbau und Layout auf den Weg gebracht. Jetzt kommt es uns schon vor, als wäre nie etwas anders gewesen. Als kollektives Projekt ist MALMOE immer in Bewegung und passt sich nur dann neuen Realitäten an, wenn wir Lust drauf haben und hin und wieder wird sich gegen gesellschaftliche Trends gestellt. We love the paper and the delay.


Im aktuellen Hauptheft kommen wir bei der Vielzahl an gesellschaftlichen Baustellen gar nicht hinterher: Wir berichten über den sich zuspitzenden Kampf um Rechte von trans*Personen, haben einen Fokus auf die Entwicklungen in Niederösterreich in der Serie „kein ruhiges Hinterland“ und mischen uns ein in die aktuelle Diskussionen zum Begriff der Hexe in feministischen Strömungen. Dekoloniale Perspektiven zu einem offenen Marxismus werden in einem Interview besprochen. Die immerwährenden Kämpfe einer antifaschistischen Erinnerungspolitik rund um Ernst Kirchweger und das Interview mit der Filmcrew von EDELWEISS zu PoC-Perspektiven in Österreich lassen tief in den österreichischen Ist-Zustand blicken. Wir werfen zudem einen Blick über Landesgrenzen hinaus und besprechen die autonome Biennale in Tel Aviv, die sich ebenfalls ins Herz gesellschaftlicher Kämpfe setzt.


Der rote Faden durch unserer Heftgeschichte bleibt die Bandbreite linker Themen, die wir abdecken. Als stabiles Sammelsurium undogmatischer Perspektiven auf gesellschaftliche Auseinandersetzungen ist MALMOE lokal nicht beschränkt, aber mit Fokus auf Wien und Österreich ausgestattet. Wir freuen uns außerdem, dass wir zu einigen Veranstaltungen im Juni MALMOEs unter die Leute bringen werden! Wie auch immer die aktuelle Ausgabe dich erreicht, mit etwas Glück treffen wir uns an einem der verschwitzten Hundstage, mit fettigen Griffeln am Donauufer oder leicht geistesabwesend unser Eis schleckend in der geliebten Betonwüste.


Habt einen guten Sommer, die Begleitlektüre dafür haltet ihr in euren Händen.
Eure MALMOE-Redaktion

Warum sich linke Bewegungen mit trans*Personen solidarisieren müssen

Eine der beliebtesten Taktiken von Rechts ist es, strategisch ohnehin vulnerable Menschengruppen auszuwählen, um Feindbilder aus ihnen zu machen und gegen sie zu hetzen. Gegenwärtig trifft das insbesondere geflüchtete Personen, BIPoC und auch queere Menschen.

Wenn es um Angriffe auf transPersonen geht, werden menschenfeindliche Narrative auch zunehmend von denjenigen Menschen übernommen, die sich selbst als „weltoffen“ oder sogar als „links“ und „feministisch“ verstehen. Dabei wird jedoch übersehen, dass gewisse Kämpfe untrennbar miteinander verknüpft sind und nicht losgelöst von einander betrachtet werden können.
Die vermeintliche Sorge um die Sicherheit von Frauen und Kindern wird von Rechts dazu verwendet, Feindbilder zu konstruieren: So ist beispielsweise vom „Verschwinden der Frauen“ oder von der „Frühsexualisierung unserer Kinder“ und „Gender-Ideologie“ die Rede. Besonders besorgniserregend dabei ist, dass diese Rhetorik mittlerweile auch immer öfter von „Feminist:innen“ verwendet wird und rechtsextreme Argumentationen dadurch legitimiert und normalisiert werden. Sogenannte TERFs (trans-exclusionary radical feminists), die sich für ihre Rechte als Cis-Frauen stark machen, sorgen sich um ihre Räume und schüren im gleichen Atemzug Angst vor trans:Personen, insbesondere vor trans:Frauen und transfemininen Personen. Untermauert werden diese Ängste mit pseudowissenschaftlichen Aussagen wie „biologisches Geschlecht ist ein Fakt“, Desinformation und Auslöschungsfantasien und schaffen so eine Brücke zwischen bürgerlichem, Weißen Feminismus und recht(sextrem)en Politiken.
Diese Transfeindlichkeit prägt öffentliche Diskurse und Alltagssprache, wobei es aber nicht nur bei Sprach_Handlungen bleibt: Sie münden in psychischer, physischer und struktureller Gewalt gegenüber trans:Menschen. Sprach_Handlungen dieser Art können beispielsweise das Misgendern von Personen, das Reproduzieren von binären Geschlechterklischees oder oben erwähnten Slogans sein, ebenso wie konkrete Gewaltandrohungen.
Eine Bedrohung verbaler und physischer Art stellte eine Gruppe Konservativer und Rechter dar, die am 16. April 2023 gegen eine Kinderbuchlesung einer Drag Queen vor der Türkis Rosa Lila Villa in Wien demonstrierten. Bis knapp vor die Türen des Gebäudes durften sie vordringen, um dort ihre „Sorge um ihre Kinder“ kundzutun, dicht gefolgt von offen ausgesprochenem Hass gegen queere Menschen und Hitlergrüßen. All das vor einem Gebäude, das seit einer Hausbesetzung Anfang der 80er Jahre einen zentralen und wichtigen Zufluchtsort für queere Menschen, insbesondere auch für queere Geflüchtete darstellt. Bereits um 7 Uhr morgens versammelten sich linke Aktivist:innen auf der Straße vor der Villa für einen großen, solidarischen Protest gegen den menschenfeindlichen Angriff von Rechts. Dieser jüngste Angriff ist jedoch nur die Spitze des Eisbergs: Auch zuvor gab es schon vermehrt Proteste gegen Kinderbuchlesungen von Drag Queens in Wien. Die Türkis Rosa Lila Villa wurde etwa eineinhalb Wochen vor der beschriebenen Situation nachts angegriffen: Lautstark wurden Banner und Plakate montiert, die das Haus als „Tatort“ deklarierten. Und wenn eins den Nachrichten in rechten Chatgruppen Glauben schenken darf, werden das nicht die letzten Angriffe gewesen sein.
Die erlebte Solidarität Mitte April macht Mut und zeigt, dass es möglich ist, gemeinsam für die Sicherheit strukturell benachteiligter Gesellschaftsgruppen zu kämpfen – trotz Uneinigkeiten und Konflikten innerhalb linker Bewegungen. Diese Energie braucht es aber nicht nur dann, wenn ein groß angekündig-ter rechter Aufmarsch bevorsteht, sondern schon viel früher und vor allem: durchgehend. Angriffe auf Drag Performances sind Ausdruck einer reaktionären Einstellung, die sich gegen alle Menschen richtet, die jenseits von gesellschaftlichen Normen zu Geschlecht und/oder Beziehungen leben, und sind somit immer auch explizit Angriffe auf transPersonen.


Was kann ich konkret tun, um im Alltag solidarisch zu handeln?


Welche Formen politischen Handelns einzelnen Personen offenstehen, ist sehr unterschiedlich. Daher folgen hier Anregungen, was vor allem endo (also: nicht inter) und cisPersonen tun können, um sich im Alltag mit trans-, inter- und nichtbinären (kurz: tin) Personen zu solidarisieren und diese zu schützen:
Korrigiere Menschen, wenn du mitbekommst, dass sie andere Personen misgendern, also mit den falschen Pronomen oder mit einem falschen Namen ansprechen. Wenn du dir unsicher bist, wie eine Person unterstützt werden mag, frag die betroffene Person – denn auch das ist von Mensch zu Mensch unterschiedlich und oft kontextabhängig.
Nutze deine privilegierte Position, um Perspektiven in Räume einzubringen, in denen sie sonst vielleicht vergessen werden. Wir kennen das Phänomen auch von anderen Diskriminierungsformen, dass nicht-betroffenen Personen oft mehr Gehör und Beachtung geschenkt wird, als Betroffenen, wenn es um das Ansprechen von Diskriminierung geht.
Informiere dich über queere Lebensrealitäten und Geschichte. Lies’ Bücher, hör’ Podcasts und folge Accounts auf Social Media von tinPersonen. Schau’ Filme oder Serien von und über tinPersonen. Besuche Fortbildungen zu queeren Themen oder stoß’ in deinem (privaten, beruflichen, schulischen) Umfeld an, dass Fortbildungen dazu abgehalten werden.
Sammle Argumente gegen gängige faschis-tische Rhetorik. Es ist kein „neuer Trend“, trans und/oder nicht-binär zu sein. Trans- und intergeschlechtliche Personen gab es schon immer und überall. Jahrelang erleb(t)-en sie eine gesellschaftliche Verunsichtbarung durch (christliche) Kolonialisierung, Kapitalismus und auch durch den Nationalsozialismus. Sie wurden unterdrückt, verfolgt und ihre Identität wurde unter Strafe gestellt. Ziel dieser menschenfeindlichen Praktiken war (und ist) es, ein starres, „westliches“ Familienbild im Sinne des Kapitalismus durchzusetzen. Dieses funktioniert nur mit der binär vergeschlechtlichten Arbeitsaufteilung: der Care-Arbeit verrichtenden Frau zuhause und dem außer Haus arbeitenden/kämpfenden Mann.
Solidarisier’ dich mit Menschen, die von Transfeindlichkeit betroffen sind. Organisier dich, geh’ auf Demos wie den Marsch für’n Arsch (heuer am 17. Juni 2023), der jährlich parallel zur Regenbogenparade in der Wiener Innenstadt als linker Protest gegen den von religiösen Fundamentalist:innen, Klerikalfaschist:innen und Rechtsextremen organisierten Marsch für die Familie stattfindet.
Zeig’ Zivilcourage und lass’ deinen Perfektionismus zuhause, wenn es um Aktivismus geht. Eine Person, die manchmal Fehler macht und in Fettnäpfchen tritt, aber immer weiter dazulernt, laut ist und sich für die Rechte von trans* Personen einsetzt, ist ein viel besserer Ally als eine Person, die aus Angst davor, einen Fehler zu machen oder Begriffe falsch zu verwenden, gar nichts sagt.
Es gilt, Kämpfe zu verbinden und gerade jene Communities ins Zentrum einer Solidarisierung zu stellen, die von rechter Seite Angriffen, sowie Isolierungs- und Spaltungsversuchen ausgesetzt sind. Das ist der einzige Weg für eine progressive linke Politik.


eliah, lio, luca, susi (queerconnexion)