MALMOE

Nachrichten aus dem beschädigten Alltag (#7)

#FreeMaxZirngast

„Nun hat auch Österreich seinen ersten politischen Gefangenen in der Türkei“, schreibt Der Standard am 21. September. Ein Gericht hat entschieden, dass der 29-jährige Max Zirngast und zwei weitere Personen, die am 11. September zeitgleich festgenommen wurden, in Untersuchungshaft müssen. Seit 2015 lebt, studiert und schreibt Zirngast in der Türkei.

Mittlerweile gibt es sehr viele politische Gefangene in Erdoğans Türkei. Aber Max Zirngast ist der erste MALMOE-Autor unter ihnen. Der Verfasser dieser Zeilen lernte Max 2015 kennen, als er ihn um eine Zusammenarbeit für einen MALMOE-Schwerpunkt über den Genozid an den Armeniern im Osmanischen Reich bat. Das Verbrechen jährte sich damals zum 100. Mal und Max nahm sich Zeit für ein Gespräch und teilte sein Wissen. Später, im Winter des selben Jahres, verfasste er gemeinsam mit Güney Işıkara und Alp Kayseriloğlu einen Text für den Türkei-Schwerpunkt „Frieden aus Trotz“. Der Titel des Artikels lautete„Der 1. November als Restauration?“ und handelte von Erdoğans Nationalismus und seinem Wahlsieg am 1.11.2015.

Knapp drei Jahre sind seitdem vergangen. Das Fragezeichen könnte man sich heute sparen. Viele Fragezeichen gibt es dagegen beim Vorgehen der türkischen Behörden gegen ihn. Ein Freund sagte der MALMOE, die Vorwürfe gegen Max blieben weiter unklar, da die Ermittlungsakten unter Verschluss seien. Festgenommen wurde er vermutlich wegen Terrorvorwürfen – das gehe aus Fragen hervor, die die Staatsanwaltschaf bei der Vernehmung gestellt habe. Fragen unter anderem nach der Literatur des türkischen Marxisten Hikmet Kıvılcımlı, die in Max’ Wohnung gefunden wurde und das belegen solle. Bei der Vernehmung hat Max Anschuldigungen von sich gewiesen und gesagt: „Ich bin Sozialist. Ich verteidige universelle Werte.“

Geheimdienstkarrieren und brauner Sumpf

Die BuRepDeu hat drei Geheimdienste: BfV, BND und MAD. Allen gemeinsam sind die ausgezeichneten Beziehungen zu Rechtsradikalen und ein eigentümliches Verständnis der Bestrafung von Fehlverhalten. Der Militärische Abschirmdienst (MAD) fütterte zwölf Neonazis im „Thüringer Heimatschutz“ durch, die regen Umgang mit den Mördern des NSU hatten und vergaß die Öffentlichkeit oder auch sonstwen darüber zu informieren. Man ist sich eben so nahe. Eine Klasse für sich ist hier der Bundesnachrichtendienst, eine NS-Nachfolgeorganisation der Abteilung „Fremde Heere Ost“. Man machte den Muff der alten Bundesrepublik richtig schön dicht, indem nach Kriegsende Widerstandskämpfer gegen den Nationalsozialismus als von Moskau bezahlte Verschwörer*innen diffamiert wurden und zugleich deckte man Nazis, die am Massenmord an den Jüd*innen beteiligt waren. Auch das Bundesamt für den Verfassungsschutz (BfV) stolpert regelmäßig über seine exzellenten Kontakte ins braune Lage. Jüngst konnte der Chef des Amtes Hans-Georg Maaßen nichts Verwerfliches an einem Video finden, in dem Neonazis Jagd auf Ausländer machen. Dies kostete ihn zwar sein Amt, ließ ihn aber nach oben purzeln und einen Posten als Staatssekretär ergattern. Ein echtes Spezifikum deutscher Geheimdienste. Als der ehemalige Verteidigungsminister Manfred Wörner den MAD Homosexuelle aus dem Militär entfernen ließ (Sicherheitsrisiko!), wurde er nach Aufdeckung der Affäre NATO-Generalsekretär. Ein gewisser Frank-Walter Steinmeier ließ als zuständiger Kanzleramtsminister den BND im Internet mitschreiben und übersendete fleißig die Infos an den NSA. Heute ist der Mann Bundespräsident. Beim Geheimdienst kann man ab einer bestimmten Höhe der Karriereleiter nix mehr falsch machen. Sicher beruhigend für die Beteiligten.

Neue Kostüme

Wir erleben gerade eine ungeheure Verschiebung des politischen Spektrums, die folgendermaßen begreiflich gemacht werden kann: Man stelle sich vor, plötzlich gäbe es in einer Stadt keine Kleidergeschäfte mehr, sondern nur noch Kostümverleihe. Alle Menschen die versuchen würden, sich noch einigermaßen normal zu kleiden, würden aussehen wie Graf Dracula. Nach einer Weile würden sie dann neben den komplett freakigen Kostümen (Wasserleiche, Zombie, Frankensteins Monster oder Sexy Pirate) als moderat wahrgenommen werden. Genau dieser Effekt ließ sich bei der Beerdigung des US-Senators John McCain beobachten. Die Party war ein Stelldichein der Vampire und Blutsauger, die plötzlich wegen diesem „Ding aus dem Sumpf“, das im Weißen Haus wohnt, von liberalen und linken Kräften gefeiert werden. Der komplett durchgeknallte Irrsinn Trumps verhilft rechten Eiferern als moderat und sogar als Retter der Demokratie wahrgenommen zu werden. Kurzer Abriss des Gruselkabinetts der Beerdigungsredner und anwesenden Organisationen, mit Hinweis auf ihre „Leistungen“. „Graf Dracul“ W. Bush überfiel den Irak wegen erfundenen Massenvernichtungswaffen, „Nosferatu“ Henry Kissinger ließ als Wahlkampfschmäh Laos bombardieren, die „Armee der Finsternis“ CIA lieferte eine lange Reihe von blutigen Putschs ab und die „Untoten“ des FBI erschossen amerikanische Dissident*innen im Schlaf (z. B. Black Panther). Die linken oder liberalen Kräfte müssten jetzt eigentlich sagen: „Okay, wenn es bei Euch im konservativen Crazy-Town nur mehr Kostüme zu kaufen gibt, dann ist das Euer Problem. Wir werden trotzdem unseren Verstand beisammenhalten und einen Vampir Vampir nennen. Darauf ein Biss in die Knoblauchzehe!“ Wenn man das nämlich nicht macht, sondern die andere Seite lobt für ihre staatstragende Wirkung, und wenn dann plötzlich sogar ansonsten anarchische, linke Comedians (Bill Maher) die Arbeit der Geheimdienste zum „Schutz unserer großen Nation“ loben, dann ist die unausgesprochene und höchst problematische Message: „Ach komm, wir sind doch alle Monster“.

Die Wiener Nimbys

Bürger*inneninitiativen, die das historische Erbe der Stadt Wien schützen wollen, haben bereits mehrfach die Verringerung der Bauhöhe von Hochhäusern erwirkt. Beim neuen Wiener Hauptbahnhof wurden es bei zwei Häusern statt 100m nur mehr 88. Es darf angenommen werden, dass die Zahl nur zufällig rechtsradikaler Code ist, sonst müsste man ausrufen: „Heil Hitler ihr Heimatschützer*innen“. Letztlich ist der zuweilen obsessive Kampf um jeden Meter Höhenreduktion ein Schmarrn, denn schließlich kommt es nicht auf die Höhe des Gebäudes an, sondern auf die Wohnqualität, Mietpreise und öffentlichen Nutzungsmöglichkeiten. Wenn durch den Bau von Hochhäusern die notwendige Verdichtung der Stadt gelingt, die aus ökologischen und sozialen Aspekten begrüßenswert ist und dabei zugleich auch noch allgemein zugängliche Freiflächen entstünden, dann könnten Hochhäuser so hoch sein wie sie wollten. (Wobei, man sagt, ab 300 Metern werden die technischen Probleme zu groß …) Die ganze Sorge um den zugebauten „Canaletto-Blick“ wirkt ebenso ein wenig seltsam. Eine Stadt ist kein Museum, sondern soll sich ändern, gleichzeitig sieht ein Barockpalast, hinter dem sich ein Hochhausturm erhebt, deswegen nicht schlechter aus. Nostalgie ist kein guter ästhetischer Ratgeber. Vielmehr sollten alle darum kämpfen, dass beim Bau nicht nur das Kriterium maximaler Profitausbeute herangezogen wird. Danach sehen die meisten Hochhäuser in Wien aber leider aus.

Zwangsmetaphern

Metaphern sind immer nur halbgescheit und Autor*innen können nie sonderlich glücklich darüber sein, wenn sie sich ein Bild ausdenken um etwas auszudrücken, das sie ebenso gut hätten direkt sagen können. Es entstehen aber auch Zwangsmetaphern, die ohne Autor*innenschaft entstehen und dennoch ganz unglaublich metaphorisch sind. So hat beispielsweise der neue Bundeskanzler Kurz bei der Übernahme der Volkspartei dieser eine neue Farbe verpasst. Türkis. Türkis ist ein Blauton, nicht ganz so blau wie die Blauen, aber unverkennbar blau. Tssss. Dies geschah bei gleichzeitiger inhaltlicher Annäherung an die blaue FPÖ. Was soll man da noch groß sagen? War das Absicht? Eher nicht, sie wurde vermutlich ausgewählt, weil Spindoktoren ermittelten, dass die Farbe gut ankommt. So entstehen dann Zwangsmetaphern. Die österreichische Supermarktkette BILLA möchte Heimatverbundenheit, Erdnähe und Nostalgie vermitteln. Deswegen lässt sie die blitzblanken Alu- und Glaselemente ihrer Filialen mit Klebefolien bepicken auf denen Fotos von Holzoberflächen zu sehen sind. Beim BILLA sind an den Wänden jetzt alte, dackelbeinige, leicht schadhafte Schubladenschränke und urige Ladentheken zu sehen, die uns an den alten Krämerladen jener Kindheit erinnern, die wir nie hatten. Keine dieser Schubladen lässt sich öffnen (sind ja nur Fotos) und bald wird die Nostalgiefolie wieder abgekletzelt. Voilà, die bestmögliche Metapher für die Konsumentenverarsche einer Supermarktkette, die mit ihrem Preisdiktat alle Greißler im Land erledigt hat.