MALMOE

Nachrichten aus dem ­beschädigten Alltag (#6)

Authentische Aufnahme

Vor genau 40 Jahren bestieg Reinhold Messner als erster Mensch ohne Sauerstoffgerät den Mount Everest. Dieses – zumindest für ihn selbst – historische Ereignis sollte mittels eines mitgeschleppten Tonbandgerätes festgehalten werden. Messner wollte sich nicht selbst „betrügen“, indem er seine bewegenden Gedanken auf dem Dach der Welt erst drei Tage später aufschreiben würde. Das Experiment gelang vorzüglich und dokumentierte den Gipfelsturm in einer von Messner nicht vorhergesehenen Weise sehr präzise: Auf der Aufnahme war nur das Pfeifen des Windes zu hören und ein unverständliches Lallen. Mehr war Messner aufgrund des Sauerstoffmangels nicht möglich gewesen.

Bürstenpionier

Dirk Roßmann ist sehr reich geworden, weil er ein „Pionier“ der Selbstbedienungsdrogerie ist. „Pionier“ ist in diesem Zusammenhang eines jener hochtrabenden Worte der Selbstvermarktung. Er hat halt in Deutschland mitgeholfen, unzähligen kleinen Drogerieläden den Garaus zu machen und sie durch jene Drogeriekette zu ersetzen, die seinen Namen trägt. Gratuliere, die Welt wurde dadurch sicherlich ein Stück besser. Der äußerst mitteilungsfreudige Unternehmer verrät unumwunden, um was es bei Drogeriemärkten geht und was das Internet nicht kann – ätsch: Beim Besuch eines Bipa, Rossmann oder DM wird ein Haarreif, eine Bürste oder ein Stück Zierseife gekauft, schlicht weil die hübsch staffierten und putzig verpackten Objekte ins Auge fielen. Sie liegen zehn Jahre lang unberührt im Schrank und werden dann im Rahmen eines Umzugs oder Frühjahrsputzes in den Müll geworfen. Darin zeigt sich das gar nicht so geheime Prinzip industrieller Produktion und deren Verwertung. Menschen sollen für Dinge bezahlen, mit denen einzig die Müllverbrennungsanlagen beschickt werden. Mit nützlichen Gütern und deren Gebrauchswert (Zahnpasta oder Hühneraugenpflaster) lässt sich kein Gewinn machen, sie dienen nur als die Lockvögelchen, die uns willenlos gemachte KonsumentInnen zwischen jene Regalreihen lotsen, die vollgestopft sind mit Produkten, die wir nicht brauchen und die wir niemals nutzen können. Das ist das Geschäftsmodell und Dirk Roßmann kugelt sich vor Glück, dass da alle mitmachen.

And the winner is …

… Bos primigenius taurus, auch bekannt als das Hausrind oder schlicht: die Kuh. Welche Ehre ihr zuteilwird? Nun, es ist nicht unwahrscheinlich, dass die Kuh in etwa 200 Jahren das größte Landlebewesen der Erde sein wird. Hinsichtlich der Körpermasse hat sie momentan noch einige Schwergewichte wie den Elefanten (bis zu 6 Tonnen), das Nashorn (bis zu 2, 3 Tonnen) oder die Giraffe (bis zu 1, 2 Tonnen) über sich. Wie allgemein bekannt ist, ist die Art und Weise, wie die Menschen leben und vor allem wirtschaften, nicht sonderlich förderlich für das Wohlergehen von Fauna und Flora. Eine Studie von ForscherInnen der University of New Mexico hat kürzlich nachgezeichnet, wie das Verschwinden der sogenannten Megafauna, sprich, die größten Tiere eines Lebensraumes, mit der Ausbreitung des Menschen zusammenhängt. Die Studie zieht die durchschnittliche Körpermasse aller Landsäugetiere heran. Diese betrug beispielsweise in Nordamerika vor der Ankunft des Menschen etwa 98 Kilogramm. Bis heute ist sie auf 7,6 Kilogramm gesunken. Dass dieser Wert so drastisch gefallen ist, hat klarerweise mit dem Aussterben großer Tierarten zu tun. Die widrigen Bedingungen für die Megafauna spiegeln sich somit nicht nur im Durchschnitts-, sondern auch im Maximalgewicht wider, welches ebenfalls stetig sinkt. Die domestizierte Kuh muss also nichts weiter tun, als angebunden in ihrem Stall zu stehen, Kraftfutter vor sich hinzukauen, ihre 700 bis 1.100 Kilo halten und zu warten, bis alle anderen größeren Tierarten dieser Erde verhungert, vergiftet oder abgeknallt worden sind. Bevor sie dann schließlich selbst geschlachtet wird, kann sie noch schnell die Auszeichnung als größtes Vieh des 23. Jahrhunderts entgegennehmen.

Bombenwitz

Das Wiener Museumsquartier ist der gelungene Versuch nachzuweisen, dass die Verbindung zwischen avancierter Kunst und kritischer Intellektualität einerseits, und medialer Bespaßung mit den Mitteln des Corporate Designs andererseits, einfach nicht gelingen kann. Die angestellten Werbeagenturen bemühen sich redlich dem MQ ein Branding zu verpassen, das Wohlfühlen transportieren soll und zugleich zum Kunstgenuss um die Ecke inspiriert. Schließlich ist das Quartier eine Art Sammellager von Kunstinstituten. Diese Design-Idee der 1990er Jahre wird heute von allen beteiligten Instituten mehr oder weniger offen bedauert, denn Synergie-Effekte gibt es keine. Wer Museum für Museum im Quartier der kurzen Wege besucht, einfach weil die Dinger nebeneinanderliegen, interessiert sich schlicht nicht für den Kram. Deswegen strahlt das Museumsquartier immer diese Aura der degoutanten Anbiederung aus. Der leicht verblödete Genussbezug des „Ich trink meinen Caipi neben dem Schiele und irgendein Kunstheini macht so was Kreatives“, degradiert die KunstakteurInnen zur Staffage der Gastronomie. Jetzt wirbt das MQ mit einer Skateboard-Silhouette in Form einer (Atom?)-Bombe. Sehr lustig, man kann nur weiterhin Bombenstimmung im Quartier wünschen.

Now I stand here waiting

Ein kurzer Nachbericht für alle, die meinen, etwas verpasst zu haben, weil sie nicht auf dem Doppelkonzert der Synthie-Pop-Ikonen von New Order im Rahmen der Wiener Festwochen waren. Seid froh, nicht dort gewesen zu sein und New Order so vielleicht eher in guter Erinnerung behalten zu können. Drei Ursprungsmitglieder der Band standen auf der Bühne: Sänger Bernard Sumner, dessen Kehlkopf man nur gute Besserung wünschen kann, Stephen Morris, der mehr engagiert als taktvoll aufs Schlagzeug drosch, Gillian Gilbert, die sich hinter ihren Synthesizern verkroch und auf all das offensichtlich gar keinen Bock hatte. Allein die an sich nicht sonderlich spannende Begleitung durch die „Lichtarchitektur“ des Künstlers Liam Gillick und ein 12-köpfiges „Synthesizer-Orchester“ verhinderten, dass New Orders Auftreten allzu kläglich wirkte. Warum Intendant Thomas Zierhofer-Kin auf der einen Seite Personal und Programm der Festwochen verjüngen möchte, auf der anderen Seite einer Band, die ihren Zenit in den 1980ern hatte und sich heute mit einem „Kunstprojekt“ noch etwas die Taschen füllen will, fürs Eröffnungswochenende die Bühne freiräumt, bleibt zu klären.

Wohl bekomm’s

Der freundliche blonde Rastafari liefert mit dem Lastenfahrrad die Pakete. Im ausladenden Gepäckraum des Dreirads befindet sich das Essen für die SeniorInnen. Aber was ist das? Auf jeder der Styropor-Wärmeschalen weint ein geknechtetes Kind. „Verstörende Bilder aus Wien“ blökt es entgegen. Bilder, die „belegen“, wie kleine Mädchen gezwungen werden Kopftuch zu tragen. Es mag Beglückungspolitik des Arbeiter-Samariter-Bundes sein oder die Initiative einzelner MitarbeiterInnen, die den alten Leuten Teilhabe am gesellschaftlichen Leben ermöglichen wollten, indem die „Heute“-Zeitung fein säuberlich auf jede Essenspackung gelegt wird. Etwas zeigt sich hier: Was gratis ist, ist nicht umsonst, denn der Preis ist ein enormer. Auf den Schlangenfraß wird noch ein Schlangenei einer Gratiszeitung gelegt, die, ohne einen Gedanken an journalistische Standards zu verschwenden, Hetze betreibt. Es geht ja nicht anders, die Leute wollen aufgehuscht werden und so bekommen unsere Senior Citizens zur warmen Mahlzeit noch das heiße Aufregerl dazu geliefert. Fürs Aufregen muss ja nichts bezahlt werden. Den Preis allerdings für das vergiftete gesellschaftliche Klima müssen jene blechen, die unter den schwerwiegenden Problemen leiden, die längst nicht mehr differenziert erörtert werden können, weil bei weiten Teilen der Bevölkerung die medial generierte Ressentimentfalle zugeschnappt hat.

Aus dem Sudelbuch der österr. Jurisprudenz

Zitat: „Ein Transparent mit der Aufschrift ‚Fuck Cops‘ widerspricht klar den Wertvorstellungen der allgemein anerkannten Sitten, sodass eine Anstandsverletzung iSd § 1 Oö PolizeistrafG vorliegt. Das Wort ‚Fuck‘ entstammt der englischen Sprache, erfreut sich in dieser in den letzten Jahrzehnten steigender Popularität als quasi ‚Superlativ‘ kraftvoller Schimpfwörter, und darf nunmehr für sich in Anspruch nehmen, als Kulmination eines internationalen Schimpfwörtercodes zu gelten und bisherige Fäkal­ausdrücke zu überlagern. Im Slogan ‚Fuck Cops‘ ist daher klar eine Beschimpfung zu sehen, da, auch bei wohlwollender Berücksichtigung eines milieubedingten Mangels an sprachlicher Ausdrucksfähigkeit, kein inhaltlicher Beitrag zur (international stattfindenden) Diskussion zum Verhältnis zwischen Sicherheitsorganen und Fußballfans erkannt werden kann.“
So muss es sich anfühlen, wenn man im Kopf einen Knoten aus Standesdünkel, Klassenhass und Belehrungssucht hat. Ansonsten: Gott schütze unsere Polizeikräfte vor solchen Flüchen.