Warning: Undefined variable $output in /home/.sites/865/site8950218/web/mlmwp5/wp-content/themes/malmoe/functions.php on line 19
MALMOE

Nachrichten aus dem beschädigten Alltag (#21)

Der Atomraketenauslösehandgriff

Auf den Unterseeboten der US-amerikanischen und britischen Marine gibt es einen Atomraketenauslösemechanismus, der es wohl deswegen in keinen Hollywoodfilm geschafft hat, weil er zu unglaubwürdig aussieht. Das Ding ist eine Pistole an einem Telefonkabel. Selbstverständlich rot lackiert, weil: Gefahr. Lauf und Schlaghebel der Pistole fehlen, Abzug und Griffstück sind in der unverkennbaren Form vorhanden, so ist der Abzug mit einem Metallbügel geschützt, damit kein Schuss ausgelöst werden kann, wenn das Ding zu Boden fällt. Am Boden des Griffstücks schlängelt sich das gedrehte Telefonkabel aus dem Auslösemechanismus in die Konsole des U-Boots. Alles sehr analog, obwohl es ebenso ein Utensil aus einer uralten Computerspielkonsole sein könnte. 15 Minuten vor dem Ende der Menschheit würde also der Kommandant des Atom-U-Bootes in das Nichts vor seiner Nase schießen.

Gesunde Polizei

In dem durchaus lesenswerten Magazin Rundschau Polizei Sport wird eine der brennenden Fragen dieser Zeit gestellt: „Gesundheit – unser höchstes Gut?“, und sogleich ist jede Leser*in gefesselt. Was sind die höheren polizeilichen Güter als jenes der Gesundheit? Gleich der erste Satz gibt mehr Antworten, als denkenden Menschen lieb sein können. Die Autorin verrät: „Ich arbeite seit 40 Jahren mit Menschen und seit ungefähr 50 Jahren energetisch. Das heißt, ich erkenne die Beschaffenheit von Auren und helfe den Menschen, sie wieder zu harmonisieren.“ Zwischenfrage: Wer bekam in den ersten zehn Jahren die Energieanalyse verpasst? Haustiere, Haushaltsgeräte oder Hausgeister? Aber weiter im Text. Zum Stressabbau hilft Auradiagnose, und dann heißt es Steine an die richtigen Stellen auflegen, und gut ist’s. Das Gruselige an diesem Heilen ist, dass die Verbindung von „Psychologie, Homöopathie und chinesischer Heilkunst“ sehr wohl gewisse Diagnosen stellt, die praxisbezogen und nachvollziehbar sind: „Innere Gereiztheit, Vorwürfe, Schuldgefühle, Ungeduld, Aufregung, Konkurrenzdenken, Ängste, Zweifel, Zorn, Wut …“ plagen die Beamt:innen. Es geht also vielen in der Truppe nicht gut. Nun wäre allerdings unseren Brüdern und Schwestern in Uniform bei all diesem Elend anderes zu wünschen als ein bunter Stein am Schädel.

Covid öffnet neue Türen

Der dynamische Auftrieb eines Flugzeugflügels wird – vereinfacht gesagt – vom Sog der über den Flügel hinwegstreichenden Luft und der Verdichtung der Luft unterhalb des Flügels erzeugt. Faszinierenderweise zeigt sich bei einer genauen Berechnung dieser beiden Kräfte, dass die Summe nicht ausreicht, um das Abheben des Flugzeuges zu erklären. Flugzeugingenieur:innen ist dies wurscht, sie vertrauen auf die gut notierten Erfahrungswerte. An Universitäten allerdings grübeln die Physiker:innen noch ein wenig. Wer ihnen zuhört, denkt sich „unglaublich“, denn eigentlich kann man nicht genau sagen, warum ein Flugzeug fliegt. Ganz genau hingegen lässt sich sagen, dass es sich mit Covid genauso verhält. Zumindest aus Sicht der Covid-Skeptiker:innen. Um endlich der Welt die Augen zu öffnen, bat ein energischer Covid-Skeptiker, zur unermesslichen Verwunderung seiner Mitreisenden, ihn doch mit dem Handy zu filmen, während er einen Vortrag über die häufigsten Covid-Irrtümer halten wollte. Dies gedachte er vor geöffneter Flugzeugtür zu tun. An dieser Stelle muss dem Covid-Skeptiker neidlos bescheinigt werden, dass er vieles richtig gemacht hat. Das Öffnen einer Notausgangtür in 8000 Meter Flughöhe beschert dem Redner fraglos die ungeteilte Aufmerksamkeit des Publikums. Auch ist Wissenschaftsskepsis durchaus eine Tugend. Wenn die bekannten physikalischen Kräfte – strenggenommen – nicht ausreichen, um den Flug eines Flugzeuges zu erklären, wer sagt dann, dass es überhaupt fliegt? Außerdem, dieses Gerede vom Fliegen rund um den Erdball, der genauso gut – sagen wir einmal – eine Scheibe sein könnte, ist völlig unbestätigt, weil wer nicht wirklich fliegt, meint ja nur, eine Kugel unter sich zu sehen. Um von dem ganzen Impfwahnsinn und der eigebildeten Covid-Pandemie einmal zu schweigen. Fragen über Fragen, die dringend einmal bei offener Flugzeugtür erörtert werden sollten. Die anderen Fluggäste waren allerdings anderer Meinung und überwältigten den Redner, noch bevor er die Tür öffnen konnte.

Tommy und Pam

Die 1990er, das war was. Zum Schießen. Die Frisuren, die Mode, alles nur für den starken Magen. Allein die Musik von Mötley Crüe – puh, nicht so leicht in Worte zu fassen. Der Gedanke, dass die Herrschaften in den 90er-Jahren absolute Megastars waren, ist heute nicht mehr zu vermitteln. Und das Fernsehen, da liefen Sachen wie Baywatch, und an dieser Stelle wird es despektierlich: Die „Idee“ hinter der Serie war es, junge und nach bestimmtem Geschmack „gut“ aussehende Frauen im Badeanzug zu zeigen. Im Badeanzug, hihi. Dazu lieferte ein gewisser David Hasselhoff den Hauptdarsteller und zugleich den Nachweis von Antimaterie in der Schauspielkunst. Nun begab es sich, dass die damals ganz unfassbar berühmte Hauptdarstellerin von Baywatch, Pamela Anderson, eine Beziehung hatte zu dem ebenso berühmten Drummer von Mötley Crüe, Tommy Lee, und die beiden sich beim Beischlaf filmten. Das Videotape wurde ihnen gestohlen, und deshalb musste das Internet erschaffen werden. Damit nämlich die Welt teilhaben durfte am Sex der beiden Superstars. Jetzt hat jemand eine Fernsehserie aus dieser kulturgeschichtlich bedeutsamen Episode gemacht, und weil wir ja alle so viel reifer sind, können wir über Dummheit und Gemeinheit jener Jahre nun herzhaft lachen. Blöd nur, dass nicht alle mitlachen. Die Veröffentlichung des Sextapes war ein Akt sexualisierter Gewalt gegen Pamela Anderson, die mehr als einmal angedeutet hat, wie sie durch die Veröffentlichung traumatisiert wurde. Was die Serie übrigens auch bebildert. Anderson hat niemals der jetzigen Verfilmung zugestimmt. Die beteiligten Herren hingegen hatten einen köstlichen Spaß mit der Show. Indem eine traumatisierende Episode gegen den Willen der Traumatisierten inszeniert wird, wird dieser – wieder in aller Öffentlichkeit – eine Retraumatisierung aufgezwungen. Und das ist eine Sauerei, die kein Witz über Vokuhilas und Powerchords aufwiegen kann.

Im Zug (2)

Zwei etwa zehnjährige Burschen sitzend schweigsam in ihr Computerspiel vertieft an einem Tisch vor dem großen Panoramafenster des ÖBB-Railjet. Vor dem Zugfenster taucht die imposante Festungsanlage der Burg Hochosterwitz auf. Der eine Junge stupst den zweiten an: „Gib dir das mal!“ Der zweite blickt kurz auf und meint: „Wer sagt denn, dass das echt ist?“ Stimmt. Die Entgegnung hat es in sich. Die meisten Ritterburgen sind nicht „echt“, sondern Kitschfantasien des 19. Jahrhunderts. Auch ist es der Kärntner Landesregierung durchaus zuzutrauen, weite Wege zur Befriedigung touristischer Bedürfnisse zu gehen. Wer die Seen des Landes wegen der häufigeren Regenfälle im Sommer überdachen will, ist auch dazu in der Lage, ein aufblasbares Spukschoss aufzustellen. Das meint der junge Beobachter aber nicht. Er meint „echt“ in Bezug auf seine produktive Einbildungskraft. Englisch „legit“, Deutsch „echt“ oder „wirklich“ meint ein Phänomen, das die Berechtigung zur Aufnahme in den eigenen Erfahrungshorizont verdient hat. Es gibt unzählige Dinge, die minütlich abgewehrt werden müssen, weil sie medial vermittelt die eigenen Vermögen unsinnig behelligen. „Echt“ ist in diesem Sinne, was der eigenen Mühewaltung wert ist und die eigene Vorstellungskraft beanspruchen darf. „Wirklich“ ist, was ich bereit bin, „wirklich“ werden zu lassen. Ob sich der Junge nun mit digitalen Steinen (Minecraft) oder mit jahrhundertealtem Bruchstein beschäftigen will, ist die entscheidende Frage für ihn, das Schloss entsteht dann ohnehin erst in seiner Fantasie. Die Kids wissen genau, dass nahezu alles aufmerksamkeitserheischende Verarsche ist und sie entscheiden müssen, wo sie bereit sind mitzumachen.