MALMOE

Nachrichten aus dem ­beschädigten Alltag (#8)

Meine Mutter hat keine Ahnung

Nach den deprimierenden Vorgängen rund um die Ernennung von Brett Kavanaugh zum US-amerikanischen Höchstrichter, die erneut zeigten, wie mächtig der Backlash gegen eine feministische und progressive gesellschaftliche Entwicklung ist, konnte einer oder einem schon das Herz in die Hose rutschen. Allerdings darf auch an die Worte des Historikers Howard Zinn erinnert werden, der meinte, konservative Kräfte könnten gesellschaftlichen Fortschritt nur verzögern, aber niemals aufhalten. Und tatsächlich ist das Verständnis der #metoo-Kampagne auch generationenabhängig. Eine besorgte Mutter in den USA twitterte unter #himtoo, dass sie ihren Sohnemann nicht mehr allein auf ein Date gehen lassen wolle, weil der zu leicht Opfer der falschen Anschuldigungen fanatischer Feministinnen werden könne, die mit der „Axt zwischen den Zähnen“ nur auf die nächste Gelegenheit warten würden. Postwendend bekam sie Antwort von ihrem Sohn, einem Marinesoldaten, der unter #believewomen postete, er würde Frauen glauben und sie respektieren. Sein Bruder pflichtete ihm bei und wir dürfen konstatieren, dass den beiden Männern ihre Mutter etwas peinlich ist und sie sie auch in Zukunft nicht zu ihren Rendezvous mitnehmen werden.

Weltkulturerbe Naschmarkt-Flohmarkt in Gefahr

Der neue Leiter des Wiener Marktamts Andreas Kutheil dreht den samstäglichen Flohmarkt am Naschmarkt um 14 Uhr zu. Der Müll sei dem Ex-MA48-Chef zu viel geworden, deswegen muss um 13 Uhr abgebaut werden und um 15 Uhr darf niemand mehr auf dem Markt sein, der sich dann, nach eingehender Reinigung (unter polizeilicher Überwachung) in das wichtigste Gemeingut der Stadt Wien verwandelt, dass er auch die Woche über ist: ein Parkplatz. Diese instinktlose Entscheidung ist falsch, denn Wien unterscheidet sich von den anderen Städten Österreichs dadurch, dass Wien eine Stadt ist. Ob Linz, Salzburg oder Popschingen, in diesen österreichischen Vorortansammlungen haben die meisten Menschen die Grundhaltung von Nebenerwerbsbauern. Das heißt jeden Tag früh aufstehen bis zur Schmerzgrenze und stolz drauf sein. Alles macht in diesen Metropölchen ein bis zwei Stunden früher auf als in der Bundeshauptstadt und ist am frühen Samstagnachmittag bereits verrammelt, weil man in seiner „Freizeit“ im Garten zu schuften hat, unter eingehender Überwachung durch die Nachbar*innen. In Wien hingegen gibt es Nachtleben und es ist okay, samstags erst zu Mittag aufzustehen. Zum Naschmarkt-Flohmarkt schafft man es dann allerdings nicht mehr. Generationen an MALMOE-Leser*innen werden aufwachsen ohne Kenntnis dieses Marktes.

(Mittlerweile regt sich Widerstand gegen diese Maßnahme. Und zwar beim Maronistandler bei der Kettenbrückengasse – er sammelt Unterschriften gegen die verkürzten Flohmarktzeiten.)

Familienleben

Adam T. und Claudia P. aus Oxfordshire haben ein Baby bekommen und es Adolf genannt. Der stolze Vater posierte mit dem Kindlein für ein Foto und legte dazu seine Ku-Klux-Klan-Kutte an. T. schor sich den Kopf seit dem fünften Lebensjahr, eine Familientradition. Der Großvater pflegte ihn mit Hitlergruß zu begrüßen und die eigenen Eltern bezeichneten sich als ganz „gewöhnliche Rassisten“. Im Internet wurde T. und sein Freundeskreis fündig. Die dort aufgeschnappte „unterhaltsame“ Ideologie verarbeiteten sie zu einer gewaltverherrlichenden „nationalen Aktion“, für die sie nun verurteilt wurden. Beizukommen war dieser Neonazi-Karriere wohl nie. Denn noch schwerwiegender als das ideologisch eindeutig gepolte soziale Umfeld wirkten sich bei Adam T. gewisse kognitive Defizite aus. Früh flog er wegen seiner rassistischen Äußerungen von der Schule und wurde in ein De-Radikalisierungsprogramm gegeben. Dort stellte man ihn einer Holocaust-Überlebenden vor. T. begriff zwar, dass diese Frau aus Deutschland nach England fliehen musste, konnte dies aber nach eigener Aussage in keine Verbindung zum Holocaust bringen. Es gibt ein Phänomen, das Konfuzius „moralische Idiotie“ nannte und er wusste sich ihr gegenüber keine andere Lösung, als diese möglichst früh zu erkennen und die moralischen Idiot*innen dann sozial zu isolieren. Dieser seltene zwar, aber reale Abgrund sei allen zur Mahnung, die den elfundneunzigsten Versuch unternehmen wollen, Neonazis „endlich“ zuzuhören und zu verstehen.

Blutsverwandtschaft

Die österreichische Komponistin Olga Neuwirth spricht anlässlich der internationalen Präsentation ihrer Filmmusik zu dem Stummfilm Die Stadt ohne Juden davon, dass der Antisemitismus Teil der österreichischen DNA sei. Natürlich hat sie mit der Diagnose recht, dass der Antisemitismus zuverlässig in Austria auftaucht und nie ganz zu beseitigen war. Dies hat aber nichts mit DNA zu tun. Denn es gibt kein „österreichisches Volk“, das durch Blutbestandteile verbunden wäre. Ebenso wenig gibt es genetisch ein „jüdisches Volk“. Diese Erkenntnis ist nicht rabulistisch, weil durch die Rede von der DNA eine Unausweichlichkeit durch Geburtsfaktoren suggeriert wird. Österreich hat allerdings durch den Antisemitismus keine Blutvergiftung erlitten, sondern steckt in einer politischen Misere, die leicht erklärt ist. In Österreich werden parlamentarische Mehrheiten durch Zuhilfenahme von Rechtsradikalen erreicht. Meist durch die ÖVP, manchmal auch durch die SPÖ. Eine glaubwürdige und tiefgreifende Ablehnung des Antisemitismus ist damit unmöglich. Wenn dann irgendwann ungefähr die Hälfte des Elektorats (und nicht etwa der Bevölkerung, weil viele haben kein Wahlrecht oder nehmen es nicht wahr) bereit ist, einen rechtsradikalen Burschenschaftler zum Präsidenten zu wählen, dann ist ein gewisser Juden-, Ausländer-, Moslem- oder allgemein Fremdenhass eben als Mainstream etabliert. Dies könnte nur bekämpft werden, indem man sich entschließen würde, diese Art von Hass zu tabuisieren. Blutreinigende Tabletten werden da nichts nützen, vielmehr müssten sich die Menschen in Österreich dazu gemeinsam entscheiden.

Kontrollgesellschaft

Eine neue Werbung der Wiener Linien versucht, mit halblustigen Sprüchlein zu ermahnen. Dazu werden jene bekannten Kinderverse abgewandelt: „Alle Kinder gehen zum Friedhof, außer Hagen, der wird getragen.“ Damit wird eine Gruppe der Normalen abgegrenzt von der Abnorm. Abgrenzungen dieser Art werden fast immer rassifiziert oder zumindest mit kulturellen Normen identifiziert. À la die Österreicher*in schließt beim Essen den Mund, die Wilden aber schmatzen, etc. Die Wiener Linien werden dann auch unmissverständlich, denn in ihren halblustigen Reim isst das „schwarze Schaf“ Döner. Okay, we get it. Aber neben diesem Alltagsrassismus (den die Wiener Linien beharrlich nicht kapieren wollen) steckt in den dämlichen Versen noch etwas mindestens ebenso Empörendes: Der Versuch richtiges Verhalten in den Nahverkehrsmitteln vorzuschreiben. Dabei gibt es ein – ähm – moralphilosophisches Problem. Es gibt nämlich kein moralisch erwünschtes Verhalten auf Befehl. Wünschte man sich einst von seinen Mitmenschen „Anstand und Würde“, so fordert man heute Regelbefolgung. So bringt man eine Gesellschaft auf den Hund. Der US-amerikanische Soziologe Erving Goffman wunderte sich wie sehr sich die USA im Laufe seiner Lebensspanne veränderten. In den 1950er Jahren wäre es undenkbar gewesen in einer Leihbibliothek seinen Ausweis vorzeigen zu müssen. Man nahm einfach an, ein/e Bürger*in würde nur dann ein Buch ausleihen, wenn sie auch gemeldet ist. Heut gehen die allumfassenden Kontrollen so weit, dass uns die Wiener Linien bald die gewünschte Position der Pobacken auf den U-Bahnsitzen vorschreiben werden. Die soldatische, deutsche Arschhaltung wird sicherlich gegenüber der orientalischen Schlafflage das Rennen machen.