MALMOE

Schaut lustig aus

Bike.Polo.Stadt. (#9)

Die Fahrradwelt wird bunter. Vorbei die Zeiten, in denen man mit alten Mountain- und klapprigen Citybikes bei der Ampel steht. Kohlefaser- und Vintage-Stahl-Rennpferdchen gehören schon länger (wieder) zum Stadtbild, aber neuerdings halten auch endlich Lastenräder in verschiedensten Formen und Farben, tiefergelegte – Einstiegssicherheit gewährende – Omabomber mit Weidenrutenkörbchen und, zu guter Letzt, immer mehr Kinderfahrräder Einzug ins Wiener Stadtbild. Wenn ich an den Ampeln dieser Stadt warte, umgibt mich ein fideler Haufen an Mitmenschen aller Altersstufen. Die aktuellen Zahlen belegen das. 17,9 % plus Radverkehrsanteil im ersten Quartal 2017. (nast consulting im Auftrag der Stadt Wien)

Manch zugezogene West- und NordeuropäerIn, vielleicht aus Holland oder Dänemark, wird diese Zeilen als Reminiszenz an die 1970er Jahre interpretieren, aber nein, sie stammen schon aus dem Jahr 2017, aber eben aus Wien im Jahr 2017.

Ich erinnere mich gut an die frühen 1990er Jahre, eine Zeit, in der sich die etwa zwanzig GanzjahresradfahrerInnen im Millionendorf Wien zumindest vom Sehen kannten. Im Winter grüßte man sich höflich, im Sommer nickte man sich verschwörerisch zu, wenn die KollegIn im Geiste in einer Gruppe Sommer- und SchönwetterradlerInnen erspäht wurde. Ich war, wenn nicht der Jüngste, dann zumindest einer der Jüngsten, die anderen erschienen mir uralt. Von einem dieser älteren Radpioniere wurde mir berichtet, dass bis in die 1960er Jahre GanzjahresradfahrerInnen durchaus eine ernstzunehmende Gruppe in Wien darstellten – als aber in den 1970er anderenorts bereits massiv in Fahrradinfrastruktur investiert wurde, bauten wir WienerInnen lieber Asphaltwüsten für die Dreck- und Lärmschleuder Auto. Eine besonders einprägsame Statistik aus dieser Zeit belegt die Fehlplanungen und die Erinnerungen meines Informanten: Von 1970 bis 1977 wuchs das Wiener Radwegenetz nicht, es stagnierte nicht, nein, es reduzierte sich sogar von lächerlichen 23 Kilometern auf marginale elf Kilometer. (Werkstattberichte Nr.45, Stadt Wien, 2002)

Zum Vergleich: Peter Altenbergs Haus- und Hofstrecke vom Graben Hotel im 1. Wr. Gemeindebezirk in die Venediger Au im Prater (nüchtern) und einige pikante Damenbekanntschaften später wieder retour (einiges, aber nicht nüchtern), die er zu Fuß mehrmals wöchentlich, wenn nicht täglich absolvierte, ist sechs Kilometer lang. Das Wiener Radwegenetz ließ sich also selbst für einen älteren, dicklichen und betrunkenen Herrn bequem an einem Tag abspazieren.

In den 1980ern begann die Stadt gegenzusteuern, der Gemeinderatsbeschluss über das Wr. Radwegenetz kam 1982, mittelfristig änderte das wenig. Radfahren war bis in die 1990er erst einmal tot. In den Nullerjahren – nicht zuletzt wegen des starken Zuzugs an West- und NordeuropäerInnen – begann sich das Wissen um das gesündeste, praktischste und schnellste Fortbewegungsmittel für Städte langsam herumzusprechen. Mitte des Jahrzehnts geschah es regelmäßig, dass ich mit anderen mir unbekannten (!) RadfahrerInnen im Jänner bei Schneeregen vergnügt bei einer Ampel wartete. Für mich, dem im Gymnasium in den frühen 1990ern von seiner Urwiener Lehrerin noch unterstellt wurde, ich käme so oft zu spät, weil ich immer mit dem Fahrrad in die Schule fuhr (obwohl, Werteste, obwohl!), eine Riesenfreude. Wir waren definitiv viele geworden!

Warum mir das alles einfällt und was das alles mit Polo zu tun hat? Neulich an der Ampel Winarskystraße/Dresdner Straße. Er, etwa 20, Vintage-Puch, miserabler Zustand, sie, keinesfalls älter als 95, rosa Senioren-Cruiser, etwa ein Meter Lenkerbreite, Körbchen vorne und hinten, … und ich, langsam neben sie rollend, Polo-Rad, Schläger, Helm, verschwitzt. Er schaut. Zuerst skeptisch. Dann fallen ihm die Unterschiede zwischen meinem und seinem Rad auf. Jetzt schaut er fragend. Ich öffne den Mund, will zur Erklärung ansetzen, aber sie, die Senioren-Cruiser-Fahrerin, sagt strahlend: „Das ist fürs Fahrradpolo. Sie spielen auf der Donauinsel. Ich hab’ sie schon gesehen. Schaut lustig aus.“

Yes! Das Rad ist in Wien wieder angekommen. Dass er noch cool nickend sagt: „Ah ja, kenn ich eh“ ist fast schon zu viel für mich. So fühlt sich Glück an.

3, 2, 1 … Radfahren!