MALMOE

Maribel

Bike.Polo.Stadt. #25

Ich fliege durch die Welt. Ab und an ein kräftiger Pedalstrike, dann wieder schweben. Das Universum ruht sich aus, atmet in langen, tiefen Zügen und überlässt mir freundlich die Hoheit über die Zeit. Ich gleite langsam, ohne Hast, ohne Widerstand und Anstrengung durch die Welt und doch bin ich so viel schneller als alles um mich herum. Häuser und Menschen und Bäume, Straßenschilder und ihre Hunde, Hofratswitwen neben Litfaßsäulen, Jogger an Würstelständen, leicht hügliger Asphalt mit rot blühenden Skatern, Kinderwägen, angehängte Eltern, viel los, aber doch nur zarte Bewegungen um mich herum. Die Äste der Kastanien wippen im Gleichtakt mit den Körpern der Jogger und dem Kauen der Kindergartenkinder auf ihrer Parkbank. Die Pins in meiner Nabe schnurren gemütlich wie ein Kätzchen auf der warmen Ofenbank, ansonsten ist es still, nur das langsame Ein- und Ausatmen des Universums ist zu spüren. Es herrscht ein freundschaftliches Einverständnis zwischen uns an diesem Morgen, heute wird es mich nicht aus der Ruhe bringen. Ich spiele Polo, seit ich meine Augen aufgeschlagen habe an diesem Sonntag. Das übliche dreidimensionale Jump & Run der Stadt ist nur ein statischer Hintergrund, mein Rad zieht die Kreise alleine. Ich könnte nicht sagen, ob sich der Baum oder die Oma schneller bewegt, das lässt mir während des Flugs so viel Zeit zu denken und zu träumen.

Wir haben eine Halle besetzt. Freundlich besetzt. Eigentlich sollte ich schreiben: „Wir haben eine Halle aufgewertet.“ Sie stand leer, lange schon, in ihrem Inneren konnte man bereits die zaghafte Rückeroberung durch die Natur sehen. Bald wird sie wohl auch überhaupt nicht mehr sein. Stadtentwicklungsgebiet. Aber bis dahin ist sie unser großer, kleiner Schatz. Vor allem jetzt im Winter. Wir haben geputzt, gewischt, gekehrt, den Boden ausgebessert, kleine Unebenheiten betoniert, Banden gebaut, Tore geschweißt, sie Maribel genannt und jetzt spielen wir Polo im Trockenen. Für mich das erste Mal überhaupt. Polo mit Dach. Die Halle ist riesig, wir nützen einen Bruchteil, in etwa ein Siebentel des verfügbaren Raums, und das obwohl ein Polocourt mit seinen 20×40 Metern im dichten Siedlungsgebiet sonst eigentlich nicht so leicht Platz findet. Dem Boden sieht man seine Qualität an, gemacht für Tonnen lässt er nun Gramm und Kilogramm rollen.

Ich sehe die Halle als Ausgleich. Sie kam gerade zum richtigen Zeitpunkt. Nicht das erste Mal in meinem Leben, wie mir mittlerweile aufgefallen ist. Vielleicht bin ich deshalb heute Morgen so ruhig? Die Energie vom Bikepolo in der Stadt war weitergezogen, sie war ausgezogen, so wie wir erzwungenermaßen ausziehen mussten von der Spielstätte auf der Schmelz, nicht zu vergessen die generelle Antriebslosigkeit durch den unreifen Umgang unserer Gesellschaft mit der Pandemie und ihren Folgen. Aber jetzt ist sie wieder da. Wir haben wieder ein wenig Raum für uns und das ändert alles.

Bisher wirkt es auch so, als würde die Besetzung stillschweigend geduldet. Dem immer mal wieder anwesenden Security des Geländes kann die Veränderung nicht verborgen geblieben sein. Polo ist nicht Schach: Schüsse gegen die Bande, Zurufe, mittlerweile auch Musik – bisher herrscht stillschweigendes Einvernehmen zwischen uns und dem Sicherheitspersonal. Wir geben uns Mühe, nicht direkt sichtbar zu sein, so fällt ihnen Wegsehen und -hören besonders leicht. Die neue Sauberkeit scheint auch niemanden zu stören. Ab und an schauen Teenager vorbei, die in dem weitläufigen Areal ihre Freiräume gefunden haben, auch Kunststudierende haben unsere Poloräder schon angelockt.

Unser Dach leckt nicht, wenn draußen wieder Sintflut ist, schafft der Regen eine heimelige Geräuschkulisse, aber heute Morgen scheint die Sonne, die Stadt ist unterwegs. Ich gleite durch den Augarten, die Labyrinthe sind lichtdurchflutet, bald bin ich da.

3,2,1 … Polo!