MALMOE

Wem gehört der Fluss?

Darling Kaniras über die Bedeutung der Natur und den Widerstand gegen ein Wasserkraftwerk am Fluss Piatua. Im Gespräch mit Eva Gertz und Teresa Ellinger.

DK: Ich war schon immer auf Reisen. Auch schon vor Piatua. Ich war in Europa, aber ohne Sinn. Ich reiste einfach. Mit dem Kampf um den Piatua hat Reisen einen stärkeren Sinn bekommen, es gab eine Botschaft. Das hat geholfen, Kontakte zu knüpfen, und unser Kampf wurde international. Wir wollen unser Schicksal selbst in die Hand nehmen und zurzeit bedeutet das, Projekte und Entscheidungen der Regierungen nicht zu akzeptieren. Wir wollen nicht mehr auf Staat und Institutionen angewiesen sein, um unsere Kunst, Musik, Träume und Lebensräume zu verteidigen und weiterzuentwickeln. Wir haben jetzt keine Angst mehr, an die Türen der Institutionen dieser Welt zu klopfen.

EG, TE: Was passiert am Fluss Piatua?

DK: Vor circa fünf Jahren begann die Bedrohung des Piatua durch ein geplantes Wasserkraftwerk. Das konnten wir nicht akzeptieren.
Die meisten Kichwa-Gemeinden hatten bereits eine Organisationsstruktur und waren miteinander vernetzt, aber brauchten Rückhalt und Bündnispartner*innen, um den Widerstand gegen ein so großes, staatlich gut gefördertes Projekt aufzubauen. Es hat lange gedauert, sich über das Wasserkraftwerk und die drohenden Konsequenzen für den Fluss, die Flora, die Fauna und den Alltag der Menschen zu informieren. Daraus ist das Bündnis „Piatua Resiste“ entstanden und in einer Versammlung haben 18 der betroffenen Gemeinden beschlossen, das Projekt zu stoppen. Wir sind losgezogen und haben das Gelände besetzt. Die Bauarbeiten wurden vorübergehend eingestellt und es folgte ein zweijähriger Rechtsstreit.

EG, TE: Was waren Herausforderungen auf eurem Weg zum Rechtssieg?

DK: Wir haben in erster Instanz verloren, weil das Gericht nicht anerkannte, dass im Piatua-Gebiet indigene Völker leben, deren Kultur – die verfassungsrechtlich geschützt ist – mit der Unversehrtheit des Flusses verbunden ist. Es wurde behauptet, es gäbe keine indigene Kultur am Piatua. Grund dafür war: die geladenen Zeug*innen aus den Kichwa-Gemeinden trugen keine traditionelle Kleidung und sprachen Spanisch, nicht Kichwa. Das war absurd für uns, indigene Zugehörigkeit anhand des Aussehens zu beurteilen. Kultur ist nicht sichtbar, sie ist intrinsisch, sie ist Teil von uns. Die Proteste liefen weiter und wir gingen in Revision. Kurz vor der zweiten Verhandlung kam heraus, dass der zuständige Richter bestochen wurde: 40.000 US-Dollar und zwei Flaschen Whisky für ein Urteil zugunsten des Wasserkraftwerks. Korruption ist uns immer wieder begegnet, aber wir haben gewonnen. Alle Entscheidungen des Richters wurden aufgehoben. Das Unternehmen wurde angewiesen, jegliche Aktivität am Piatua aufzugeben, bis es seine Umweltverträglichkeit angepasst hat. Entsprechende Prüfungen werden vom Umweltministerium verlangt und auf ihrer Grundlage wird über diese Projekte entschieden. Unsere unabhängige Studie ergab, dass die Umweltstudien des Unternehmens einfach von einem anderen Projekt übernommen wurden, ohne die Spezifika des Piatua zu sehen.

EG, TE: Wie geht es jetzt weiter?

DK: Aktuell sind wir im Prozess, den Piatua zum materiellen und immateriellen Kulturerbe zu deklarieren. Das ist ein aufwendiger bürokratischer Prozess, aber wir hoffen, dass die Anerkennung als Sperre funktioniert, den Fluss industriell zu nutzen. Da wir durch unser Selbstbestimmungsrecht geschützt sind, können wir den Fluss zum Kulturerbe erklären. Hier hängen verfassungsrechtliche Aspekte und Kosmovision zusammen. Wenn ich vom Piatua spreche, spreche ich auch von den Menschen, die dort leben, den Tieren, die ihn durchqueren, vom Wald selbst, von den heiligen Orten. Es ist ein Netzwerk von Praktiken und Wissen, ein System aus kulturellen und immateriellen Manifestationen. Es gibt Mythen, wahre Geschichten, Legenden, es gibt Wesen der Natur, die sich verändern, und es gibt wieder andere, die verschwunden sind, andere, von denen nur die Ältesten wissen. Der Staat erkennt nur 100 Meter des Flussufers als schützenswertes Gebiet an. 100 Meter! Für uns Kichwa ist der Fluss viel mehr als Wasser und 100 Meter.

EG, TE: Wie verändert der Titel Kulturerbe eure Position im internationalen Umweltkampf?

DK: Es ist wichtig, alle Möglichkeiten auszuschöpfen, die wir haben. Wir fangen auf lokaler und nationaler Ebene an, aber später möchten wir den Fluss auch bei der UNESCO registrieren. Wir wollen das eigenständig machen, ohne die ecuadorianischen Behörden, die dann unsere jahrelange Arbeit, Studien, Interviews und Beweise als ihr Wissen ausgeben. Wir wollen damit auch andere ermutigen: Macht eure Deklaration, es ist möglich! Aber ich glaube nicht, dass der Kampf dann vorbei ist. Gerade im Kontext Energiewende, der „grünen Transformation“ werden immer wieder Projekte in Auftrag gegeben, die vermeintlich nachhaltig sind, aber auf lokaler Ebene Lebensraum zerstören. Eine UNESCO-Anerkennung erschwert es der Regierung, Projekte zu planen oder zu bewilligen, die die Unversehrtheit des Kulturguts gefährden.

EG, TE: Was bedeutet Natur für dich?

DK: Der Begriff Natur im juristischen Sinne deckt viele Aspekte nicht ab, die mir wichtig sind. In der Verfassung setzen sie einen Fokus auf Kategorien wie ein widerstandsfähiges Ökosystem oder verschiedene Abstufungen von Wasserqualität. Wir denken anders – es ist mehr. Ich fühle mich klein im Regenwald. Ich fühle mich wie in einem riesigen Haus, nicht wie in einem physischen Haus, sondern eher wie in einem globalen, allumfassenden. Der Regen, die Geräusche, die Affen – vieles von dem, was uns umgibt, ist für mich Natur. Alles verändert sich ständig. Und es ist ein Zuhause.

Weitere Informationen:
Mélissa Godin: “The Fight to Save Ecuador’s Sacred River.”, in: Time, 25. Oktober 2022, time.com/6224546/fight-to-save-ecuador-piatua-river/
Tawna: Piatua Resiste, tawna.org/peliculas/piatua-resi
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