MALMOE

Urlaub vom Knast? Fehlanzeige

Der österreichische Strafvollzug kennt zwar die Pflicht zur Arbeit, aber nicht das Recht auf Urlaub

Eines vorweg: In österreichischen Gefängnissen herrscht Arbeitspflicht. Von zurechnungsunfähigen Untergebrachten und Untersuchungshäftlingen abgesehen – für letztere gilt die Unschuldsvermutung –, ist jede/r arbeitsfähige Strafgefangene verpflichtet, zu arbeiten. Für die Justiz stellt Arbeit eine der zentralen Resozialisierungsmaßnahmen dar. Wer sich weigert, der/dem droht Hausarrest.


Von den über neuntausend Inhaftierten in Österreich gehen etwas weniger als zwei Drittel einer Arbeit nach. Ob gearbeitet wird oder nicht, hängt hauptsächlich davon ab, in welchem Gefängnis man landet. So erreichte beispielsweise die Justizanstalt (JA) Gerasdorf am Stichtag des 1. März 2016 einen Beschäftigungsgrad von hundert Prozent, demgegenüber arbeiteten in der JA Wien-Josefstadt nur knapp 29 Prozent der Inhaftierten. Aussuchen können sich die Strafgefangenen ihre Arbeit nicht, allerdings ist seitens der JA bei der Arbeitsplatzzuweisung auf das persönliche Profil und Neigungen Rücksicht zu nehmen. Gleichzeitig ist auch die JA verpflichtet, Vorsorge dafür zu treffen, dass alle Strafgefangenen eine „nützliche“ Arbeit verrichten können – ein Recht auf Arbeit lässt sich daraus aber nicht ableiten. Das Strafvollzugsgesetz legt zudem fest, dass das Ausmaß der Arbeitszeiten den üblichen Verhältnissen anzupassen ist. Tatsächlich lag im Jahr 2021 der Durchschnittswert der geleisteten Arbeitsstunden pro Inhaftierten und Hafttag aber weit unter den „draußen“ üblichen Arbeitszeiten: Pro Hafttag arbeiteten in Strafvollzugsanstalten inhaftierte Männer im Schnitt 2,7 und Frauen 3,1 Stunden. Die Gründe hierfür sind unter anderem im notorischen Personalmangel und den daher häufigen Schließtagen zufinden.
Der Ertrag der Arbeit der Inhaftierten fließt dem Bund zu, und zwar unabhängig davon, ob die Arbeit innerhalb oder als Freigänger:in für ein Unternehmen außerhalb der JA verrichtet wird. Den Vertragsunternehmen stellt der Bund den Kollektivlohn in Rechnung. Obwohl die Insass:innen für ihre geleistete Arbeit vergütet werden – zwischen 6,70 Euro und 10,04 Euro brutto die Stunde – bleibt ihnen davon nur ein Bruchteil: Neben dem Dienstnehmeranteil des Arbeitslosenbeitrags werden drei Viertel der Vergütung als „Vollzugsbeitrag“ abgezogen. Bei der monatlichen Abrechnung wird den Insass:innen dieser Restbetrag zur Hälfte als Hausgeld und zur Hälfte als Rücklage gutgeschrieben. Laut Zahlen des Innenministeriums ergibt sich für das Jahr 2021 damit ein Stundenlohn von unter zwei Euro. Sozialversicherungsbeiträge werden übrigens nicht in Rechnung gestellt: Strafgefangene sind in Österreich weder unfall-, pensions- noch krankenversichert. Diesen Umstand bewirbt die österreichische Justiz gegenüber potentiellen Arbeitskraft-Käufer:innen so: „Der Vorteil für Sie als Unternehmer:in besteht darin, dass hochmotivierte Arbeitskräfte sofort zur Verfügung stehen und bei einem derartigen Beschäftigungsverhältnis der Arbeitgeberbeitrag für die Sozialversicherung bei den Lohnkosten entfällt.“
Auch einen Anspruch auf arbeitsfreie Zeit haben Inhaftierte nicht, schon gar nicht auf einen Ortswechsel. Eine der wenigen Möglichkeiten, das Gefängnis temporär zu verlassen, liegt im „Ausgang“. Ob der theoretisch gewährt wird, hängt einerseits von der Gefährlichkeitsprognose und andererseits von der Resthaftzeit ab: Strafgefangenen, die nicht als besonders gefährlich eingestuft werden und deren noch abzusitzende Haftstrafe drei Jahre nicht übersteigt, kann, maximal zweimal in einem Vierteljahr, gestattet werden, die JA für die Dauer von höchstens zwölf Stunden zu verlassen. Das gilt aber nur für wichtige Angelegenheiten, die weder schriftlich erledigt noch bis zur Entlassung aufgeschoben werden können oder zur Aufrechterhaltung der sozialen Kontakte. Erholung vom Knast- und Arbeitsalltag fällt nicht darunter. In der Praxis ist selbst dieser beschränkte Ausgang äußerst selten. Nur rund 15 Prozent aller im Jahr 2021 entlassenen Gefangenen wurde zumindest einmal ein Ausgang gewährt. Dabei fällt eine Korrelation zwischen gewährtem Ausgang und Nationalität der Gefangenen auf: Laut Innenministerium erhielten im Jahr 2021 entlassene österreichische Staatsbürger:innen rund 0,5 Mal pro hundert Strafhafttage Ausgang, EU-Bürger:innen und Drittstaatsangehörige 0,015 Mal pro hundert Strafhafttage.
Wenn das Haftende naht, gibt es Möglichkeiten für die Vollzugslockerung, etwa in Form von Freigang. Auch das ist mehr Theorie als Praxis: Insgesamt hatten rund 97 Prozent der Frauen und 89 Prozent der Männer, die im Jahr 2021 aus einer Strafhaft entlassen wurden, im Laufe ihrer Haft keinen Freigang – wobei sich auch hier dem Innenministerium zufolge das Merkmal Nationalität als das Dominanteste erwies.
Das System Gefängnis ist anachronistisch und nicht zielführend – doch solange die Gesellschaft daran festhält, ist es notwendig, Forderungen zur Verbesserung der Haftbedingungen zu stellen. Dazu gehört, die Arbeitspflicht abzuschaffen und gleichzeitig genügend Arbeitsplätze für jene zu schaffen, die arbeiten möchten. Die Vergütungen müssen angehoben werden, einerseits um den Strafgefangenen ein besseres finanzielles Polster nach der Entlassung mitzugeben und andererseits um Häftlingen eine reale Chance auf eine freiwillige Pensionsversicherung zu gewähren – zweiteres würde sich etwa durch die Eingliederung von inhaftierten „Dienstnehmer:innen“ in das allgemeine Sozialversicherungssystem ergeben. Schließlich müssen Ausgang und Freigang als zentrale Instrumente für die Aufrechterhaltung und Neubildung unterstützender Strukturen außerhalb der Gefängnismauern regelmäßig gewährt werden – unabhängig von ihrer Nationalität! Vor diesem Hintergrund scheint das Recht auf Urlaub noch in weiter Ferne.

PS: Im September 2022 wurde übrigens die Union für die Rechte von Gefangenen, die Gefangenengewerkschaft Österreichs, gegründet.