MALMOE

Mensch gegen Natur?

Victoria Jaramillo über Bergbau im Naturschutzgebiet und das Referendum als Methode für die Natur Ecuadors. Im Gespräch mit Eva Gertz und Teresa Ellinger

EG, TE: Umwelt oder Natur? Welche Begriffe benutzt du?

VJ: Umwelt ist ein eher allgemeines Wort für das, was uns umgibt und gleichzeitig ein juristischer Begriff. Ich finde ihn etwas abstrakt. Manchmal denke ich, dass wir eher den Begriff Natur benutzen sollten. Denn das ist der Wald, das sind Flüsse, Tiere und Biodiversität. Ich glaube, dieser Fokus kann uns helfen, dem Leben auf unserem Planeten näher zu kommen. Für mich ist Natur alles. Alles, was nicht von Menschen geschaffen wurde. Und Menschen auch, denn sie sind Teil von Ökosystemen, die funktionieren und sich selbst erhalten.

EG, TE: Apropos Ökosysteme, was ist der Chocó Andino?

VJ: Ecuador ist ein Land mit bekannten hyperdiversen Regionen: die Galapagos-Inseln oder das Yasuní-Reservat im Amazonasbecken. Der Chocó Andino ist eine mega-diverse Region in den Anden in der Nähe von Quito und eines der sieben UNESCO-Biosphärenreservate in Ecuador. Allerdings gibt es dort Bergbauprojekte, wo vor allem Gold gefördert wird. Die Regierung hat zwölf Konzessionen an Unternehmen erteilt. Der Goldabbau ist ein besonders dreckiger Bergbau, oft im offenen Tagebau und mit dem Einsatz von Quecksilber verbunden.
Seit 30 Jahren gibt es Kämpfe in der Region, sowohl gegen legalen als auch illegalen Bergbau. Im Grunde finde ich aber, alle Bergbauprojekte sind illegal, auch der lizenzierte Extraktivismus, da Umweltgesetze missachtet werden und nicht auf den Willen der Menschen vor Ort geachtet wird. Illegalen Bergbau thematisieren wir allerdings in unserer Consulta nicht, denn dieser ist bereits illegal und die Umsetzung des Rechts liegt nicht in unserer Hand.

EG, TE: Was ist euer Projekt?

VJ: Wir haben eine Consulta Popular (CP) (dt. Referendum) initiiert. Das ist ein politisches Instrument, das in der Geschichte von Ecuador meist von der Regierung zur Legitimierung ihrer politischen Entscheidungen genutzt wurde. Wir aber sind eine Bürger:nnenbewegung, die zum Ziel hat, den Chocó Andino zu schützen. Unser Ziel ist nicht, ihn zu einem Rechtssubjekt zu erklären, sondern den Bergbau dort zu verbieten, weil die Natur den Subjektstatus bereits hat. Es ist also eine Anwendung der Rechte der Natur auf Grundlage der Verfassung. In Cuenca gibt es auch eine CP, jedoch mit dem Schwerpunkt Wasser. Durch unseren Erfolg wollen wir die CP als Instrument für Umweltschutz und Bürger:nnenbeteiligung etablieren. Ein Erfolg in der Hauptstadt Quito hätte zudem einen symbolischen Wert. Wir sind schon ziemlich weit gekommen. Wir haben es geschafft, in der ersten Runde genug Unterschriften zu sammeln, um das Referendum einfordern zu können.

EG, TE: Warum ein Referendum?

VJ: In Ecuador ist in der Verfassung festgelegt, dass bei Umweltentscheidungen die Menschen konsultiert werden sollen. Wir setzen mit unserem CP also bestehendes Recht um. Es sollte internationales Recht sein, dass denjenigen Menschen Entscheidungsmacht gibt, die von der Umweltverschmutzung durch Bergbau und anderen Förderungen fossiler Rohstoffe betroffen sind. Wir machen eine politische Kampagne und erzeugen Bewusstsein. Unsere Aufgabe ist es, die Natur zu verteidigen und laut zu werden, wenn sie nicht sprechen kann.

EG, TE: Inwiefern ist die Situation in Ecuador durch die Verfassungsrechte der Natur besonders?

VJ: Durch den Subjektstatus der Natur in der ecuadorianischen Verfassung hat diese Rechte und Pflichten. Wir helfen ihr also auch ihre Pflicht erfüllen zu können, ein gesundes Ökosystem aufrechtzuerhalten, was sie nicht kann, wenn der Mensch eingreift. Ecuador hat damit eine Vorreiterrolle. Aber trotzdem gibt es noch Lücken und Widersprüche. So sagt die Verfassung einerseits, dass die Natur Rechte hat, andererseits gehört alles, was unter der Erde ist, dem Staat. Neben den fehlenden Gesetzen, ist die Umsetzung des Rechts eine ganz andere Sache. Eigentlich sollte das dazu führen, dass wir über schwache Staaten oder beispielsweise die Sicherheitskrise, die die ecuadorianische Regierung nicht lösen kann, sprechen müssten. Wer ist dafür zuständig, geltendes Recht umzusetzen? Wenn die zu schützenden Gebiete und wirtschaftlichen Interessen in Konkurrenz treten, wird sich letzteres durchsetzen.
Ich sehe unseren Kampf als international, da wir ihn ohne weltweite Unterstützung und Aufmerksamkeit nicht führen können. Unsere Kämpfe, sowie unsere Umweltprobleme, sind sehr lokal, aber sie sind mit der globalen Wirtschaft verbunden. Wenn es keine Nachfrage an Gold in anderen Teilen der Welt geben würde, würden wir im Chocó Andino kein Problem mit Bergbau haben. Und umgekehrt, wenn die Ökosysteme auf dem Land zugrunde gehen, wirkt sich das auch auf die Gesundheit der Stadt aus. Und dabei kommen verschiedene Widersprüche zum Vorschein. Auch im Bereich der nachhaltigen Energiepolitik, der grünen Transformation, gibt es Beispiele dafür: Etwa wird im Naturschutzgebiet Yasuní Holz gerodet, das dann nach Europa exportiert und für Windräder verarbeitet wird. Wir müssen es schaffen, Alternativen für den Bergbau und für die Bevölkerung, die davon lebt, zu finden, wie den Ökotourismus zum Beispiel. Wie die Realitäten und Bedürfnisse von Menschen mit Naturschutz zusammenkommen, ist kompliziert. Deswegen ist es wichtig, dass wir von unseren verschiedenen Kämpfen erfahren, uns für einander interessieren und zusammenkommen, um so gemeinsam etwas zu erreichen. Genau wie in einer globalisierten Wirtschaft braucht es eine globalisierte Umweltbewegung, die Forderungen an Regierungen stellt und Bedingungen an die Produktion von Unternehmen richtet. Energiewende und soziale Gerechtigkeit gehen dabei Hand in Hand, genau wie eine lokale und eine internationale Perspektive.