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MALMOE

Moderne Frequenzen

Über organlose Körper, Drogen und Tanz
Selbst Subkultur kann sich der kapitalistischen Ökonomie nicht entziehen. Welche Möglichkeiten sich aus dieser Spannung für die Clubculture ergeben, war Thema des diesjährigen unsafe+sounds Festivals. Für MALMOE hat Nu diesen Faden weitergesponnen.

„Der Tanz ist der Beweis der Wahrheit“, schreibt Nietzsche und lässt uns einen Raum betreten, in dem längst nicht nur die Erben der Bohème ihrer schlaflosen Lust in technoiden Großstadtnächten gehorchen. Es ist ein umfassender und durchdringender Raum, in dem sich die konsumierenden Körper Wirklichkeit in bio- und bedürfnispolitisch definierten Dosierungen zuführen. Die Wirklichkeit bedient sich der Wirkungen einer modernen Pharmazie: Das Beten wird mit Prozac substituiert, den nötigen Antrieb fürs Arbeiten verschafft Adderall, Alkohol macht locker, entspannt und lässt vergessen, die Ekstase kommt aus den gleichnamigen Pillen. Selbst die Spiritualität ist nach dem Tod Gottes substanzinduziert. LSD, auf Zuckerstücken aus einem Basler Labor in die Welt getragen, wird für Millionen Menschen zum Sakrament, das den Beginn des New Age verkündet.
In diesem neuen Zeitalter, das an Geschwindigkeit noch zunimmt, zeichnen Drogenexperimente alle, wie Gilles Deleuze und Félix Guattari feststellen, „selbst diejenigen, die keine Drogen nehmen, weil sich mit ihnen die Wahrnehmungskoordinaten von Raum und Zeit ändern“. Die Droge entfaltet in mir ihre Wirkung, schon weil mein Körper auch der organlose Körper der Kultur ist, unter deren Einfluss ich stehe – jenem weltweiten rhizomatischen Geflecht, das sich ständig in Bewegung befindet und mich denken lässt, es sei ich, die da schreibt, denkt und tanzt. Das konsumierende Subjekt verliert seine Konturen, der organlose Körper, der weltweite Körper, widersetzt sich der Subjektivierung und macht damit das moderne Individuum zum Oberflächenphänomen in einer Welt aus Bildern und Plastik.
War on the real

War on the real

In der alles erfassenden Bewegung der Kultur, in der wir uns der Wirkung der Welt nicht entziehen können, haben für Deleuze alle Drogen zunächst mit Geschwindigkeiten und Geschwindigkeitsänderungen zu tun. Mit modernen Frequenzen werden die Räume bespielt, in denen sich zwischen Wiederholung und Veränderung kulturelle Anpassung, Aneignung, Einordnung und Widerstand vollzieht. Dem Tanz kommt darin eine besondere Rolle zu. Er ist nach Nietzsche nicht nur der Ort des Denkens, er ist der Ort der Droge. Das Tanzen vermag die Wirkung der Droge zu entfalten, unsere Wahrnehmung neu zu ordnen. Das heißt: die Ordnung des Realen erschüttern, mit oder ohne Pillen und Pulvern, jedenfalls begleitet und initiiert mit elektronischen Beats und Brüchen. Die Musik wie der Tanz sind dabei repetitiv, wiederholen, was das Denken vorschlägt und vernimmt – moderne Frequenzen. Die Musik wie der Tanz sind dabei repetitiv, wiederholen, was das Denken vorschlägt und vernimmt – eine pulsierende Maschine, zusammengesetzt aus Daten, Drogen, Körpern, Kabeln und Verstärkern.

Die Erfahrungen der Menschen im Gefüge bestimmter Musik und dem Experiment mit Tanz und Drogen finden ihre Entsprechung in bestimmten Handlungs- und Denkweisen. Der Hedonismus hat wie die Psychedelie und wie die Revolution seine Musik und seine Drogen, tanzt auf eine und zugleich viele Weisen. Es werden in unterschiedlichen Geschwindigkeiten und Intensitäten Vergiftungserscheinungen am Subjekt hervorgerufen. Der schleichenden Gewöhnung an die Vergiftung und der fortschreitenden Veränderung des Wirklichen möchte der war on drugs Einhalt gebieten, während der war on the real das Feld der Realität auflöst, auf dem der Krieg stattfindet. Eine Aufteilung des Sinnlichen kämpft hier gegen alternative Anordnungen. In den verschiedensten Subkulturen werden Ausnahmesensorien geschaffen, die im Weiteren die Kontingenz jeder sozialen Ordnung aufzeigen. Mit Jacques Rancière gedacht ist schon die Erfahrung, die nicht der Logik eines kontingenten Konsens gehorcht, Politik, noch vor jeder inhaltlich artikulierbaren Absicht oder politischen Intention. Im Gegenteil, das Verstehbare läuft ständig Gefahr in Konsens und Konsum auf- und unterzugehen, die „Wahrheit des Sinnlichen“ und die „Freiheit der Gleichgültigkeit“ zeigen uns das mögliche Andere. Man kann von einer Politik der Erfahrung sprechen, oder mit Kodwo Eshun von einer Politik des Sinnlichen oder mit Timothy Leary von einer Politik der Ekstase, des Außer-Sich-Seins, das sich der Subjektivierung und den Identitätszuschreibungen entzieht.

Becoming Pac-Man

Und doch und gerade, der Schweiß, der noch eben an der Clubdecke kondensierte, ist auch schon als Destillat im kapitalistischen Katalog verzeichnet. Wie sich’s so schreibt, wird es rauschhaft und die Dinge schwer unterscheidbar. Ich blicke einer Welt in die Augen, die auch den abhängigen Körper einer Ästhetisierung unterwirft – „speed sexy“. Stimulierende Substanzen, Aufputschmittel wie Amphetamin entsprechen in besonderer Weise den modernen Weisen – zu Anpassung und Ausbruch gleichermaßen von Finanzbuchhaltung und Beatpoetin benutzt – jedenfalls in ihrem Wesen der uns umgebenden Geschwindigkeit. In den Reihen der Cybernetic Culture Research Unit, einem experimentellen Kulturtheorie-Kollektiv im UK der 1990er und frühen 2000er, war Amphetamin eine sakrale Substanz, ein Mittel zur Intensivierung und Beschleunigung der Erfahrung, die Musik, die darin begleitet, an „abstract diagram of planetary inhuman becoming“. Das Subjekt ist hier der Preis für das Betreten des Virtuellen, in dem sich die modernen Frequenzen verbreiten.

Im Rhythmus des Rauf- und Runterkommens, im Einsetzen und Sich-Verlieren von Welten des Wirklichen ziehen vor dem Hintergrund der Geschwindigkeit Erschöpfung und Kälte ein. Wie uns die Müdigkeit vor dem steifen Gewöhnlichen tanzen lässt, fordert die Nacht den Tag, der Club die Sperrstunde ein. Und die Müdigkeit entlässt dann im Warmen des eigensten Inneren in die Weite des Schlafs, der in den Traum trägt, der die Welt verändert. Und der Tanz ist der Beweis der Wahrheit.

Nu