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MALMOE

Wasche meine Sünden mit Eis

Leila Aboulelas Roman Minarett erzählt die Geschichte von Nadschwa, einer Frau aus der sudanesischen Oberschicht, die wegen eines Putsches nach London flüchtet und nach zwanzig Jahren stetigen sozialen Abstiegs ganz unten ankommt, wo sie schließlich zu sich selbst findet.

Khartum, 1985: Nadschwa liebt Boney M., Wrangler Jeans und Pepsi. Politik und Religion kann sie nichts abgewinnen. Sie besucht gemeinsam mit ihrem Zwillingsbruder Omar die Uni, um Wirtschaft zu studieren. Als sie Anwar, einen eloquenten Kommunisten, kennenlernt, muss sie sich erstmals mit der Bedeutung von Klasse und sozialen Fragen auseinandersetzen. Die beiden verlieben sich ineinander, ihre Herkunft und seine Überzeugungen („Was sind denn deine politischen Ansichten?“, fragte er. „Ich weiss nicht, ich habe keine.“) lassen sie allerdings nie ganz zueinander finden. Als ihr Vater, Stabschef des Präsidenten, nach einem Putsch verhaftet wird, flüchten Nadschwa, Omar und ihre Mutter nach London, wo sie früher ihre luxuriösen Sommerurlaube verbracht hatten.

London, 2003: Nadschwa, inzwischen Ende dreißig, hat einen Job als Hausangestellte bei einer wohlhabenden sudanesischen Familie in London angenommen („Ich bin gesunken, tief gesunken.“). Ihre Hauptaufgaben bestehen darin, die Wohnung zu putzen und auf die Tochter der unnahbaren Hausherrin Lamja aufzupassen. Neben den beiden leben noch Lamjas jüngerer Bruder Tamer, ein streng gläubiger Muslim, und zeitweise die Oma, „Doktorin“ Sainab, in der Wohnung. Nadschwa besucht mittlerweile regelmäßig die Moschee in der Nähe ihres neuen Arbeitsplatzes. Die Frauen in der Moschee sind für sie zu einer Form von Familienersatz geworden, seit ihr Bruder wegen diverser Drogendelikte und Gewalttaten im Gefängnis sitzt und ihre Mutter gestorben ist.

London, 1991: Anwar musste inzwischen selbst aus Khartum fliehen, weil ein neuerlicher Putsch die Machtverhältnisse wiederum auf den Kopf gestellt hat. Er landet ebenfalls in London und kontaktiert Nadschwa. Sie verbringen viel Zeit miteinander und werden nun endlich das Liebespaar, das sie schon Jahre vorher im Sudan sein wollten. Die alten Barrieren sind aber nach wie vor vorhanden, neben Nadschwas blauem Blut ist ihr neu gewonnenes Interesse für den Koran ihm ein weiterer Dorn im Auge.

Nadschwas Wandlung von einer sorglosen jungen Frau hin zu einer durch eine Reihe von Schicksalsschlägen Gezeichneten, die weder den starren politischen Werten Anwars noch dem Hedonismus ihres früheren Lebens viel abgewinnen kann, ist bereits in vollem Gange. Anwar kann mehr Empathie für politische Konzepte aufbringen als für seine Freundin, und das ist Nadschwa bald zu wenig … „Das Rutschen und Stürzen kam an ein Ende. Langsam, aber sicher richtete ich mich am Boden ein. Es fühlte sich seltsam behaglich und schmerzlos an: so als ob da Schlimmste überstanden wäre. Und dort in der Tiefe vergraben lag die Wahrheit.“

London, 2003: Während ihrer Tätigkeit als Hausangestellte bei Lamja entwickelt sich im Laufe der Zeit eine zunächst platonische Beziehung zwischen Nadschwa und Tamer, dem 19-jährigen Bruder von Lamja. Die beiden haben von Anfang an einen besonderen Draht zueinander und sind durch ihre Abneigung gegenüber der Oberflächlichkeit ihrer Umwelt miteinander verbunden.

Als sie ihre Gefühle füreinander nicht mehr verbergen können, kommt es zum Eklat und Nadschwa muss abermals eine schwerwiegende Entscheidung treffen.

Minarett besticht durch gleichermaßen klare wie elegante, mitunter auch blumige Sprache, geradlinige Erzählweise und eine Protagonistin, die trotz ihrer Verunsicherung und Verletzlichkeit kompromisslos ihren Weg geht und sich nicht verbiegen lässt.

Leila Aboulela (2020): Minarett, Lenos Verlag, Basel. Selbstverständlich erhältlich im Stuwerbuch, Stuwerstraße 42, 1020 Wien.