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MALMOE

Pure Violence

Über 150 Jahre nach der Erstveröffentlichung überrascht der Arco Verlag mit einer zweisprachigen Ausgabe von Arrigo Boitos epischem Märchen Re Orso / König Bär.

König Bär ist ein despotischer Herrscher, wie er im Buche steht: kaltblütig, mordlustig, machtgeil und äußerst paranoid. Schon zum Auftakt warnt der Autor seine Leser:innenschaft vor. Bei Helmut Schulze, der sich für die skurrile und äußerst originelle Übersetzung des Textes ins Deutsche verantwortlich zeichnet, klingt das so: „Wenn eine Seel’ ihr habt / und christliches Gemüt / Wenn der Pfaff’ euch predigt – vom ‚Feind‘ und ‚Gott behü‘“, / Fürchtet Euch zu lesen / diese nun folgende / Schreckliche Legende“.

Getreu seinem Motto Terroris terror entledigt sich König Bär nach und nach sowohl seiner Feinde als auch seiner gesamten Belegschaft. Selbst seine engsten Vertrauten, der Hofnarr Papiol und Trol, der gleichzeitig als Koch und Scharfrichter fungiert, müssen früher oder später dran glauben. Der König hat nämlich ein Problem: Des Nachts hört er stets diese Stimme, die gebetsmühlenartig die folgenden Worte verkündet: „König Bär / Wurm er heißt / Hüt dich sehr / denn er beißt.“

Die Geister, die man ruft, wird man bekanntlich nicht mehr los und so hilft es dem Sire auch nicht, sich am Sterbebett im Beisein eines vermeintlichen Mönchs (der seine Vergebungsformeln seltsamerweise rückwärts herunterleiert) von seinen Missetaten freikaufen zu wollen.

Der Text platzt beinahe vor Querverweisen und Anspielungen, die glücklicherweise im üppigen Anhang aufgeschlüsselt werden. Vor allem Dantes Göttliche Komödie scheint es dem Autor angetan zu haben. Aber auch Zeitgenossen wie Victor Hugo und Richard Wagner übten großen Einfluss auf ihn aus. Boito ist irgendwo zwischen Dekadenz und Gothic Literature zu verorten, nimmt Ideen des Futurismus vorweg (Alfred Jarrys Ubu Roi nicht zu vergessen!) und verneint von vornherein jegliche Fragen der Moral („Nicht Predigt, nicht mal – die Spur von steifer Moral. Wer das sucht, folgt falscher Bahn“). Das macht ihn aus heutiger Sicht verdächtig, ein Anhänger der zu seinen Lebzeiten immer stärker aufkeimenden, menschenverachtenden Ideen des Faschismus zu sein. Die Ausgestaltung des grausamen Königs Bär, der mit Abstand die lächerlichste Figur dieses Stückes ist, das von bemitleidenswerten und tragikomischen Charakteren nur so wimmelt, spricht aber dagegen. Das Leugnen einer Moral dient Boito in erster Linie als Vehikel, um die Scheinheiligkeit des Christentums beziehungsweise der katholischen Kirche aufzuzeigen. Dazu lässt er kaum eine Gelegenheit aus. Dass der König seinen unzähligen Gräueltaten auch nach seinem Ableben nicht entkommt (hier kommt besagter Wurm ins Spiel), spricht zusätzlich dafür, dass der Autor sich mit der Problematik des schlechten Gewissens eingehender auseinandergesetzt hat, als er es uns Leser:innen weismachen will.

In erster Linie scheint Boito eine große Freude daran gehabt zu haben, groteske mittelalterliche Hofszenen zu entwerfen und diese mit allerlei skurrilen Figuren zu füllen, von kulinarischen Genüssen ganz zu schweigen („Morgen will ich für den Zwerg, dass man knete: eine Monsterpastete.“) Einen Bruder im Geiste hat Boito in Helmut Schulze gefunden, der wahnwitzige Übersetzungsergebnisse liefert – um nicht zu sagen: regelrechte Schweinereime („Dieser Wein hier kommt aus Burgund! / Hält ferne die Beerdigung!“). Ein Heidenspaß.

Arrigo Boito (2022): Re Orso / König Bär. Arco Verlag, Wuppertal Selbstverständlich erhältlich im Stuwerbuch, Stuwerstraße 42, 1020 Wien.