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Im Kapitalismus gibt es keine neuen Jobs

Aaron Benanav grätscht in den gängigen Automatisierungsdiskurs hinein und zeigt: nicht die Roboter nehmen uns die Jobs weg, sondern der Kapitalismus ist unfähig, neue Jobs zu schaffen

Die Phase der Fertigstellung von Automation and the Future of Work fiel in die Zeit, als die Corona-Pandemie an Fahrt gewann. Das Anpassen des Textes an die sich rasant veränderte Lage schien dem derzeit an der HU Berlin niedergelassenen Wirtschaftshistoriker Aaron Benanav recht leicht gefallen zu sein. Der Zusatz „COVID-19 will only intensify these trends“ findet sich wiederkehrend.

Während der Automatisierungsdiskurs sagt, die steigende Technisierung, Automatisierung und Digitalisierung ersetze zunehmend mehr Menschen, die deshalb keine Jobs mehr finden, sieht Benanav andere, und zwar systemischere Ursachen dahinter: Sinkende Wachstumsraten seien die Ursache der chronisch-sinkenden Nachfrage nach menschlicher Arbeitskraft. Diese fehlende Nachfrage würde sich, so der Bezug auf die Corona-Pandemie, nur noch intensivieren – Benanav spricht dabei beispielsweise von der COVID-19 recession.

Ähnlich sieht das wohl auch die europäische Zentralbank, deren Konjunkturausblick für die Eurozone stark getrübt ist. Infektionszahlen und Eindämmungsmaßnahmen hemmen das Produktionswachstum, die Nachfrage nach menschlicher Arbeit sinkt. Ebenso blickt das bekannte Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung an der Uni München in eine alles andere als rosige Zukunft für die deutsche Wirtschaftsleistung. Zurückgehaltene Investitionen der Einzelkapitale lässt die Konjunkturprognosen „noch bis zum Jahr 2022 auf niedrigem Niveau verharren“. Fehlende Investitionen manifestieren sich in einer stagnierenden Wirtschaft und dementsprechend niedriger Nachfrage menschlicher Arbeit.

Dieser „long downturn“, welcher sich durch die Corona-Pandemie intensiviert, begann schon in den 1970er Jahren, als in einem Land nach dem anderen der Beitrag des industriellen Sektors an der Wirtschaftsleistung stagnierte. Anhand von Statistiken zeigt Benanav, wie dieser Anteil im Sinken begriffen war und durch keinen anderen Sektor aufgefangen wurde. Damit verbunden sind sinkende Investitionsraten und sinkende Nachfrage nach Waren und Dienstleistungen, um die Produktion auszubauen. Somit sinkt auch die Nachfrage nach menschlicher Arbeit und als Folge fehlender Einkommen auch der Konsum. Dementsprechend ist die Schlüsselvariable zum Verständnis, warum immer weniger Menschen am Arbeitsmarkt gebraucht werden, die sinkende Wirtschaftsleistung und nicht etwa Produktivitätszuwächse durch Roboter.

Der Automatisierungsdiskurs sieht hingegen den zunehmenden Einsatz neuer Technologie wie Robotik, künstliche Intelligenz oder digitale Vernetzung als Grund, warum immer weniger Jobs zur Verfügung stehen. Dabei ist die Rechnung folgende: Zunehmende Produktivität führe dazu, dass weniger Menschen gebraucht würden. Benanav meint, es ist andersrum: es sei nicht die Produktivität gewachsen, sondern schlichtweg die Wirtschaftsleistung gesunken. Deshalb sieht es in der Gesamtschau so aus, als würden neue Produktivitätskapazitäten erschlossen, wodurch weniger Menschen gebraucht werden: „Poductivity growth in manufacturing has appeared rapid only because the yardstick of output growth, against which it is measured, has been shrinking.“

Diese sinkende Wirtschaftsleistung und die damit sinkende Nachfrage zeigen sich durch die Corona-Pandemie und damit unterbrochene Verwertungsspirale auch in Österreich recht deutlich: Unternehmen bauen im großen Stil Personal ab (MAN oder auch ATB), ganze Branchen schicken Lohnabhängige zum AMS (Gastgewerbe) oder Arbeitgeber handeln sich bessere Standortbedingungen aus (Agrana-Zuckerfabrik, Leopoldsdorf). Mit verheerenden Konsequenzen für ganze Regionen: So  sieht das Joanneum Research für die Steiermark einen Einbruch von 8 Prozent des regionalen Bruttoinlandprodukts – mit unmittelbaren Konsequenzen für das Herz der österreichischen Industrie in der Obersteiermark.

Während postkeynesianische Ansätze wie die „Modern Monetary Theory“ höhere Staatsausgaben fordern, um Produktionskapazitäten maximal auszulasten und Wirtschaftswachstum zu erzeugen, sieht Benanav ein systemisches Problem, das auf Dauer nicht überwunden werden kann. Wenn Jobs im Kapitalismus so zentral sind, um die eigene Existenz abzusichern, die Möglichkeiten darauf aber strukturell immer mehr zurückgehen, dann muss die Sinnhaftigkeit solcher Ökonomien hinterfragt und Widerstände dagegen organisiert werden.

Mit Automation and the Future of Work schreibt Benanav das Buch der Stunde; seine Argumentation wird durch die grassierende Corona-Pandemie sogar aktualisiert und die diskutierten strukturellen Tendenzen werden in aller Deutlichkeit vor Augen geführt.

Aaron Benanav (2020): Automation and the Future of Work, Verso, London/NYC. 12,99 Euro