MALMOE

Nachrichten aus dem beschädigten Alltag (#13)

Ein Traum in Wien

Am Rathausplatz in Wien kann man jetzt bergauf eislaufen. Die zig Quadratmeter Eislauffläche ließen sich nämlich nur mehr steigern, indem man die Eisbahnen übereinanderstapelte. Dem Publikum soll schließlich was geboten werden. Der „Wiener Eistraum“ wurde jetzt als „ÖkoEvent“ ausgezeichnet, weil er „Mehrweggeschirr, Lebensmittel in Bio-Qualität sowie viele kulinarische Angebote aus heimischer Produktion, ein verantwortungsbewusstes Abfallsystem und vieles mehr“ bietet. Damit zeige der Wiener Eistraum bereits seit vielen Jahren vor, wie Großveranstaltungen umweltfreundlich sein können. Das Zertifikat „ÖkoEvent“ ist folgerichtig und wohlverdient. Für das nächste Jahr ein Vorschlag: eine auf einem Eisbären reitende Greta Thunberg als Eisskulptur – die aber leider, leider jeden Tag neu gefräst werden müsste, denn es taut im neuen Wiener Winter einfach alles viel zu schnell. Woran das wohl liegt? Bei Temperaturen von 16 Grad plus laufen die Generatoren am Rathaus bis zum Glühen und so darf auf dem kaum mehr gefrorenen Eis ins Greenwashing-Wonderland gerutscht werden.

Nachtrag: Der Widerstand wächst: Am letzten Tag des Eistraums besetzten Aktivist*innen der Extinction Rebellion die tauende Eisfläche.

Love Island

Der Superexperte in Liebesfragen Marie-Henri Beyle (aka Stendhal) meinte, man solle sich die Liebe vorstellen, wie einen entlaubten Ast, der in Salzlacke gehalten wird. Zieht man ihn nach einer Weile heraus, sind die Ästchen mit faszinierenden, funkelnden Salzkristallen überzogen. Der Ast selbst ist an und für sich reizlos und gewöhnlich, erst durch die auf ihm wachsenden Kristalle wird er schön. Das ist es, was Liebende miteinander machen. Sie überziehen das geliebte Wesen, bis dieses verschwindet und der selbstgeschaffene Überzug verehrt werden kann. Tja, das war vor zweihundert Jahren so. Heute geht es im Fernsehen genau umgekehrt. Ein Haufen makelloser Schönheiten wird in GB, den USA und neuerdings auch in Deutschland vom Fernseh-Franchise Love Island auf eine ebenso makellos schöne Urlaubsinsel verfrachtet und soll vor laufenden Fernsehkameras die Liebe finden. Der „Reiz“ der Show liegt für das verelendete Publikum darin, zu sehen, wie die Beautys in Scheiße getaucht werden, aus der sie nie mehr auftauchen. Jedes Wort ist gelogen, alle Liebesschwüre falsch, jedes Fehlerchen kommt auf den Präsentierteller. Am Ende sind alle weinend davon gerannt, bis auf die Gewinner*innen. Gratuliere! Die haben dann bis zum Beginn der nächsten Staffel Zeit, ihre „Prominenz“ zu Geld zu machen. Die Moderatorin der britischen Original-Show, Caroline Flack, stand jetzt vor Gericht wegen eines gewaltsamen Übergriffs auf ihren Lebensgefährten, den sie im Schlaf attackiert hatte. Sie wollte sich die Schmach ihres ruhmlosen Karriereendes ersparen und nahm sich das Leben. Ihr Elend spottet jeder Beschreibung und soll auch nicht weiter ausgeführt werden, weil dies nur das Konzept des absurd erfolgreichen Franchise Love Island unterstützen würde. Denn in diesem wird das grausame Scheitern der Inselbewohner*innen von Beginn an mitgedacht und als sichere Sensation angepriesen. Zu so viel Niedertracht lässt sich nur mehr sagen: Alle Beteiligten sind einfach „reif für die Insel“.

Geld stinkt nicht

Angeblich kommt der Spruch mit dem nicht-stinkenden Geld von einem römischen Cäsaren, der sich nicht zu schade war, im antiken Rom Geld für Bedürfnisanlagen einzusammeln. Das Problem mit dem öffentlichen Raum und der Notdurft ist also schon sehr alt. Eine Schande bleibt es aber, Geld damit zu machen, dass wer mal muss. Die sozialdemokratische (?) Stadt Wien und ihr Kettenhund Wiener Linien eskalieren jetzt weiter in den Pipi-Wars. Die U-Bahn-Station Volkstheater bekommt ein Sanifair-Häusl und das ist bereits das sechste nach Westbahnhof, Karlsplatz, Schwedenplatz, Stephansplatz und Praterstern. Die Einrichtungen sind ideal für Leute, die sich gerne verscheißern lassen, denn man bekommt nach getaner Verrichtung einen Gutschein. Yeah, Gutschein! Den können dann die Erleichterten in den überteuerten „Partner“-Shops einlösen und ein Fläschchen Wasser für 2,31 statt 2,61 Euro beziehen. „Sanifair hat über 500 WC-Anlagen in ganz Europa und wir sind sehr froh, dass wir so einen Experten gewinnen konnten“, erklärte Barbara Pertl, Sprecherin der Wiener Linien. War sicherlich ein harter Kampf den Experten ins Boot zu holen, damit der die Bedürftigen schröpft und die ehemals freien Klo-Frau*-Unternehmen erledigt, die früher mit einem Teller auf gestickten Deckchen nett um Spenden gebeten haben. Die Anlagen mögen geschleckt sein wie Raumstationen und dennoch stinkt die Sache zum Himmel.

Straßenszene

Neulich begegnete ich auf der Straße dem österreichischen Gewissen. Eine unauffällige Erscheinung. Freundlich, zuvorkommend, vielleicht ein wenig verschlagen. Wir sprachen über die Lage. Sein Gesicht verfinsterte sich, denn das Thema erschien ihm unhöflich, es konnte aber keinen anderen Gesprächsstoff finden. Das österreichische Gewissen ist nicht sonderlich hell. Mitunter erfreut es sich an dem, was es nicht versteht. Glückliche Unschuld – gehalten in Dummheit. Dass es aber sehr wohl manches weiß, zeigte sich, als ich mit ihm über jene Zeit redete. Damals, als die Menschen plötzlich verschwanden. Ja, da hatte das Gewissen sogleich sorgfältig formulierte Erklärungen parat. Es sei doch ein Unglück gewesen. Niemand hatte es vorhergesehen und so etwas würde sich sicherlich niemals mehr ereignen. Heute sei man weit davon entfernt. „Aber gäbe es sie nicht wieder?“, fragte ich, vorsichtig meine Hörner am Kopf kratzend, jene Fremden, Bedrohlichen, denen man so allerlei nachsagt und die einfach nicht zu „uns“ passen. Diese Menschen, die niemals Teil „unserer“ geliebten Heimat sein können? Und diese Fremden seien doch ganz sicherlich zu viele. Viel mehr als „wir“, nicht wahr? Treuherzig stimmte das österreichische Gewissen dem zu. Ja, dies sei wohl wahr, murmelte es. Das Gewissen hatte meine Hörner zunächst nicht gesehen. Beschämt ließ es den Blick sinken und starrte stumm auf meine Pferdehufe. Dann meinte es: Alle Menschen habe es doch lieb und allen wünsche es nur das Beste. Und es sei bereit alles für die Fremden zu tun, wenn diese nur in der Fremde blieben. An sicheren Orten natürlich. Nicht unbedingt hinter Stacheldraht, aber doch gut bewacht, so dass niemand fliehen könne. Denn Flucht, das sei falsch. Ich lachte. Oh, österreichisches Gewissen, wohlgesprochen! Ich sehe, du hast dich schon längst entschieden. Du wirst sie wieder alle sterben lassen. Nicht aus Bosheit, mit der kenn ich mich aus, dazu fehlt dir das Format. Du tust es aus Bequemlichkeit. Ein anderes Leben willst du nicht und kannst es dir auch nicht vorstellen. Deswegen nimmst du den Tod dieser Menschen in Kauf und beruhigst dich, so lange du nichts vom Sterben siehst. Das österreichische Gewissen blickte auf und sah mir direkt ins Gesicht. Ich spürte, dass es jetzt gerne spitz gesagt hätte: „Das muss ich mir vom Teufel nicht sagen lassen.“ Aber dazu fehlte ihm der Mut und so ging es, ohne ein weiteres Wort, die Straße hinab.