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MALMOE

Der Täter bist du

Die sexuellen Übergriffe auf linken Festivals sind der #MeToo-Moment der deutschsprachigen Linken. Eine so große Anzahl Betroffener kann nicht ignoriert werden

Es war nur eine Frage der Zeit, bis bekannt werden würde, dass nicht nur auf dem Festival Monis Rache nicht-konsensuelle Videos gemacht wurden, sondern auch auf anderen linken Festivals. Im Januar 2019 deckte eine Reportage von Strg_F auf, dass ein Mitarbeiter von Monis Rache auf Dixietoiletten gefilmt und die Videos auf Pornowebsites hochgeladen hatte. Monatelang wusste ein kleiner Teil von Personen aus dem Organisationsumfeld davon – und schützte den Täter.

Laut eigener Aussage wurde Ende Januar das Kollektiv Kulturkosmos, das hinter dem Fusion Festival steht, durch anonyme E-Mails darauf hingewiesen, dass ähnliche Videos auch vom Fusion existieren. Auf dem Festival 2019 filmte ein bisher Unbekannter mit einer versteckten Kamera Personen beim Duschen. Die Aufnahmen wurden im Netz verbreitet und bis zu 37.000 Mal angesehen. Anders als bei den Übergriffen auf dem Monis Rache sind auch Männer betroffen. Der Kulturkosmos hat umgehend Anzeige erstattet, durch die Intervention einer Anwaltskanzlei wurden die Videos von der betreffenden Plattform gelöscht.

Etwas gelernt?

Die schnelle Reaktion des Kulturkosmos auf die sexuellen Übergriffe in Form von Videos zeigt, dass die Veranstalter*innen aus dem zuvor viel kritisierten Verhalten von Monis Rache-Organisator*innen gelernt haben. Das Team von Monis Rache hatte die Betroffenen nicht über die Videos informiert. Allerdings wurde der Kulturkosmos in den letzten Jahren vielfach für nicht ausreichende Awareness-Strukturen und mangelndes Bewusstsein für Sexismus kritisiert. Der faq Infoladen aus Neukölln veröffentlichte ein Statement dazu: „Seit vielen Jahren kämpfen FLTI*S für eine umfassende und vom Verein mitgetragene Awarenessstruktur. Vergeblich.“ Sexismus auf dem Festival ignoriere der Kulturkosmos. In einem Fusion-Newsletter von 2019 sprachen sich die Veranstalter*innen beispielsweise gegen „No Shirt, No Service“-Schilder an Tresen aus, stattdessen wollen sie, „dass alle sich frei fühlen können, unabhängig von ihrem Geschlecht, auf der Fusion so nackt rumzulaufen, wie sie sich wohl fühlen.“ Damit blendeten sie aus, dass der vermeintliche „Ferienkommunismus“ nicht frei von Sexismus oder sexueller Gewalt ist.

Es ist anzunehmen, dass die Übergriffe auf den beiden linken Festivals nur die Spitze des Eisbergs sind. 2014 konnte die Polizei Cuxhaven einen Mann festnehmen, der auf dem Deichbrand Festival heimlich Menschen in Duschen gefilmt hatte und zugab, auch auf anderen Festivals nicht-konsensuelle Aufnahmen angefertigt zu haben. Laut Spiegel wird nicht nur illegal auf Festivals gefilmt, sondern zum Beispiel auch in Duschen von Schwimmbädern und Fitnessstudios oder Umkleiden in Kaufhäusern. Bildbasierte sexuelle Gewalt stellt ein gesamtgesellschaftliches Problem dar, dem bisher zu wenig Beachtung geschenkt wurde. Es ist gut, dass der Kulturkosmos jetzt Anzeige erstattet hat. Eine Anzeige schafft Öffentlichkeit und es bedarf dringend einer Gesetzesänderung. Und solange die Linke nicht fähig ist, einen sinnvollen Umgang mit sexueller Gewalt in den eigenen Reihen zu finden, ist der Staat, so kritikwürdig er auch ist, die beste objektive Instanz, die es im Moment gibt.

Zwischen Transformative ­Justice und Täterschutz

Trotz der Kritik am Team von Monis Rache, hat sich im Umgang mit sexueller Gewalt in der linken Szene in den letzten Jahren einiges verändert. Der Versuch der Anwendung des Transformative Justice-Konzepts einiger Monis Rache-Mitglieder, die damit einem Ausschluss des Täters aus der Szene zuvorkommen wollten, ist ein direktes Ergebnis der Debatten um Definitionsmacht der letzten Jahre. Dabei hat sich Definitionsmacht als Konzept in Awareness-Strukturen größtenteils durchgesetzt, im Sinne der Parteilichkeit für Betroffene. Allerdings wurden bei der Anwendung dieses Konzepts Täter meist sofort ausgeschlossen oder ihnen wurde nicht kommuniziert, was ihnen vorgeworfen wurde. Das Transformative Justice-Konzept arbeitet zum einen mit der Definitionsmacht, zum anderen wird darin versucht, mit dem Täter zu arbeiten, der sich mit seinen Taten auseinandersetzen soll. Das Beispiel Monis Rache, in der eine kleine Gruppe von Mitgliedern des Orgateams versuchte, den Transformative Justice-Ansatz anzuwenden, zeigt, dass er sich eben noch nicht umsetzen lässt, nachdem zwei Broschüren zum Thema gelesen wurden. Täterarbeit muss professionalisiert werden. Denkbar wäre dies etwa in speziellen Therapieformen, wie es sie bereits für Pädophile in einigen Pilotprojekten gibt.

Ein weiteres, scheinbar bewährtes Mittel der Linken gegen sexuelle Gewalt ist das Hausverbot. Jedoch wird dadurch das Problem vom Umfeld abgetrennt. Um die Betroffenen zu schützen und weitere Taten zu verhindern, ist es ist wichtig, dass Täter Hausverbote in bestimmten Räumen erhalten. Doch im Endeffekt bekämpft ein Ausschluss nur das Symptom, nicht die Ursache: Das Problem ist weggesperrt, es muss sich nicht weiter damit auseinandergesetzt werden. Im Fall von Monis Rache haben teilweise auch Personen, die den Täter geschützt haben, Hausverbote erhalten. Täterschutz, wie sie ihn betrieben haben, sei nicht in Ordnung. Allerdings ist dies der einfache Weg, diese Personen als Mitschuldige zu schneiden. Es wird verkannt, dass sie zu dem Täter in komplexen Beziehungen standen. Dass die Personen genau so wie der Täter behandelt werden, ist unverhältnismäßig. Sie sind nicht der Täter.

Verantwortung übernehmen

Selbstverständlich muss auch das Umfeld von Tätern Verantwortung übernehmen. Sexuelle Gewalt geschieht nicht in einem luftleeren Raum, sondern in einer Gesellschaft, die den Nährboden dafür bietet. Es reicht nicht, feministische Theorie gelesen zu haben, um sich Feminist*in nennen zu können. Es liegt in der Verantwortung des Umfelds, das eigene und das Verhalten anderer zu reflektieren und zu verändern. Nicht ohne Grund ging das Video der chilenischen Aktivistinnen Un violador en tu camino viral und fand weltweit viele Nachahmerinnen: Der Vergewaltiger bist du, singen sie auf Spanisch. Männlich sozialisierte Personen müssen bei sich anfangen und können das Problem nicht einfach von sich wegschieben. Als sich 2017 die #MeToo-Bewegung formierte, war das Thema für viele Linke nicht neu. Debatten um Sexismus und sexuelle Gewalt hatte es in der Linken schon lange gegeben.

Geändert hat sich dadurch aber nichts. Der tatsächliche #MeToo-Moment der deutschsprachigen Linken ist erst jetzt gekommen. Möglich ist er durch die große Anzahl an Betroffenen von Monis Rache und der Fusion. Eine so große Anzahl von Betroffenen kann nicht ignoriert werden, ihnen muss zugehört werden. Es gibt wenig öffentlich gemachte Fälle von sexueller Gewalt in der Linken der letzten Jahre, einer der wenigen ist das Outing eines Mitglieds der Band Wolf Down. Obwohl es zahlreiche Fälle von sexuellen Übergriffen in linken Zentren und Kneipen gibt, werden sie meist inoffiziell verhandelt. Jetzt endlich ist das Klima so, dass Betroffene sich nicht nur trauen, ihre Stimme zu erheben, sondern dass das Umfeld sich verhalten muss und nicht länger wegschauen kann. Führten die Veröffentlichung von sexuellen Übergriffen in vergangenen Jahren teilweise zu Frontenbildung und Spaltungen, ist jetzt der Moment gekommen, wo es unmöglich wird, Täter zu verteidigen.

Sowohl in der Prävention als auch in der Aufarbeitung sexueller Übergriffe muss sich noch viel verbessern. In der Süddeutschen Zeitung forderte Teresa Bücker kürzlich, Jungs nicht zu Vergewaltigern zu erziehen. Außerdem müssen alle Personen lernen, Nein zu sagen und ein Nein zu akzeptieren. Es muss mehr Geld für Frauenberatungsstellen bereitgestellt werden und mehr Anlaufstellen für männliche Betroffene geben. Es muss bessere Awareness-Strukturen auf Festivals geben. Sexuelle Gewalt ist ein strukturelles Problem einer patriarchalen Gesellschaft und kann daher nur gesamtgesellschaftlich bekämpft werden.