MALMOE

Vom Affront ein „mit Körperlichkeit geschlagener, haarloser Affe zu sein“

Das Buch Transhumanistische Mythologie wirft einen Blick auf die Ideologie, die sich hinter den Science-Fiction-Konzepten einer Überwindung des Menschen verbirgt

Wer Science-Fiction Serien wie Black Mirror gesehen hat, ist vertraut mit Motiven wie dem Hightech-Implantat, das in den Körper eingepflanzt wird, um dessen Fähigkeiten übermenschlich zu erweitern, oder dass Menschen ihr Selbst auf einen Computer übertragen und nur noch virtuell existieren. Diese Ideen sind zwar nicht grundsätzlich neu, ihr ideologischer Gehalt hat sich in den letzten Jahren allerdings geändert: Grund dafür ist der Transhumanismus, eine relativ neue Ideologie, die dem Umfeld des Silicon Valley entspringt. Dabei kann man zwischen kohlenstoffbasiertem und siliziumbasiertem Transhumanismus unterscheiden: Ersterer befasst sich mit biologischen Veränderungen am menschlichen Körper, wie sie zum Beispiel die Protagonist_innen in der Black Mirror-Episode „Das Transparente Ich“ durch ihr erinnerungsspeicherndes Implantat erleben. Der siliziumbasierte Transhumanismus hingegen fokussiert sich auf die Schnittstelle zwischen Geist und Computer, wie besonders an der simulierten Welt von San Junipero der gleichnamigen Episode, die ebenfalls in der dritten Black Mirror-Staffel erschien, sichtbar wird. Was uns im Sci-Fi-TV als unterhaltsame Gedankenspielerei über die Zukunft begegnet, ist für die Anhänger_innenschaft des Transhumanismus Teil einer erstrebenswerten Realität, in der Menschen durch Technologie nicht nur optimiert, sondern erlöst werden sollen. Mit Transhumanistische Mythologie – Rechte Utopien einer technologischen Erlösung durch künstliche Intelligenz von Max Schnetker ist ein Buch erschienen, das die transhumanistische Ideologie als solche benennt und kritisch analysiert.

Totalitäre Erlösungsfantasien

Schnetker konzentriert sich auf die siliziumbasierte Ausprägung und geht dabei von einem kollektivistischen Transhumanismus aus. Das klingt zwar zunächst widersprüchlich, angesichts der lokalen Zuordnung zu der kalifornischen IT- und Hightech-Industrie, welche eher für ihren radikalen Individualismus bzw. Libertarismus bekannt ist, wird aber bereits im ersten Kapitel nachvollziehbar erklärt. Ausgehend von einem Streit zwischen Elon Musk und Mark Zuckerberg über die Forschung zur künstlichen Intelligenz (KI) skizziert Schnetker zunächst die Theorien von Transhumanisten (das Gendern wurde hier nicht vergessen, sondern bewusst weggelassen – der Transhumanismus ist sicherlich nicht zufällig extrem männlich dominiert) wie Ray Kurzweil und Ben Goerzel. Fundamental ist dabei das Konzept der existenziellen Risiken, eingeführt von dem Philosophen Nick Bostrom, welches davon ausgeht, dass es in einer technisch hochentwickelten Zivilisation Gefahren gibt, die jedes intelligente Leben auslöschen könnten – eine besonders aktuelle Gefahr stelle eine einzelne superintelligente KI dar, die der Menschheit schlecht gesonnen ist. Diese Maschine wäre dann ein sogenanntes „Singleton“, dieser eigentlich mathematische Begriff bezeichnet im Transhumanismus laut Schnetker „eine Weltordnung, an deren Spitze eine einzige entscheidungsbefugte Entität steht“. Je nach Entwicklung wird dieses Singleton entweder die Vernichtung der Zivilisation oder die volle Entfaltung des, wie auch immer gearteten, Potenzials der Menschheit bewirken, ist also entweder Erlösung oder Verdammnis – in jedem Fall aber totalitär.

Dass sich in diesem Wahnsinn religiöse Momente herauskristallisieren, demonstriert Schnetker, in dem er im Laufe des Buches den Zusammenhang zwischen dem Transhumanismus und dem religiösem wie auch säkulären Protestantismus herausarbeitet. Zunächst legt er aber die Elemente der transhumanistischen Ideologie dar: Da wäre einmal der „Cybernetic Totalism“ nach Lanier (Kapitel 2.1), der davon ausgeht, dass „unsere physische Umwelt und die darin existierenden Lebewesen genauso fungibel und formbar würden wie Computerprogramme“. Dies findet sich ähnlich auch im sogenannten „Value-Loading-Problem“ (Kapitel 1.4) wieder, welches sich mit der Frage auseinandersetzt, wie einer superintelligenten KI die „richtigen“ Werte beigebracht werden könnten. Hier lautet die Annahme nämlich, selbst Ethik und Moral wären formalisierbar und Maschinen einfach damit ausstattbar. Während also die Melange aus Cybernetic Totalism, materialistischem Mystizismus sowie einer metaphysischen Auffassung von Informationstheorie dazu führen, dass „Information als Essenz der Welt“ gesetzt wird, findet die Reduktion auf ethischer Ebene gleich doppelt statt: Nicht nur durch die Formalisierung, sondern auch durch die Maxime des Utilitarismus, das Wohl der Menschheit sei in der Nützlichkeit allein aufgehoben.

„Die Antiquiertheit des Menschen“

Schnetker verweist im Zuge dieser Analyse scharfsinnig auf ein unterbeleuchtetes Phänomen, das im Transhumanismus ausgelebt wird: Die Scham vor der eigenen Körperlichkeit und der Sehnsucht Maschine zu werden, um diese zu überwinden. Dies verdeutlicht er, indem er zeigt, dass und wie Transhumanisten bereits versuchen ihr Denken und Handeln an dem der Maschine zugeschriebenen mathematischen Rationalismus auszurichten um – wenn schon nicht den Körper – zumindest den Verstand von störenden menschlichen Elementen wie Emotionen zu befreien. In den beiden abschließenden Kapiteln spannt Schnetker schließlich den geistesgeschichtlichen Bogen von der Antike bis zur Moderne und arbeitet den Utilitarismus sowie den asketischen Protestantismus als historische Grundlagen des Transhumanismus heraus, wobei er zwei wesentliche Dinge aufzeigt: Die Allmachtsfantasie ist nicht neu, sondern nur digital geworden und das Streben nach der Auflösung der Körperlichkeit ist im Grunde eine Streben nach der Auflösung der Differenz zwischen dem Menschen und seiner Arbeit und in letzter Instanz eine Auflösung der Individualität. Hierin liegt auch das Heilsversprechen den (digitalen) Kapitalismus schon überleben zu können, wenn man sich diesem nur konsequent genug unterwirft. Darin sind die faschistischen und autoritären Elemente angelegt, die dazu verpflichten den Transhumanismus nicht nur als wirres Nischenphänomen abzutun, sondern als politische Weltanschauung gut im Blick zu behalten.

Günther Anders beschrieb in Die Antiquiertheit des Menschen schon in den 50er Jahren das Gefühl der Menschen gegenüber der Maschine, sein zu wollen wie sie und dabei ob seiner Unterlegenheit verlegen zu sein, als prometheische Scham. Dass sich solche Empfindungen in der hochtechnologisierten Welt des 21. Jahrhunderts verschärfen, sollte offensichtlich sein, aber diese Tatsache findet in der Debatte zu wenig Beachtung. Das ist kein Zufall: Immerhin wird sie einerseits ausgehend von der Maschine anstelle des Subjekts geführt und andererseits wird bestimmten Annahmen über Technologie und deren Möglichkeiten entweder feindlich oder euphorisch begegnet – anstatt diese zunächst mal auf ihre Richtigkeit beziehungsweise ihren ideologischen Gehalt zu überprüfen. Letzteres tut Max Schnetker mit seinem Buch. Es ist keine normative Anleitung zu einem mündigen Umgang mit Technologie, sondern eine Kritik im besten Sinne: Bevor man die richtigen Maßstäbe setzen kann, gilt es die falschen nicht nur zu identifizieren, sondern auch zu zeigen, warum diese falsch sind. Dies ist ihm gelungen.

Max Franz Johann Schnetker (2019): Transhumanistische Mythologie. Rechte Utopien einer technologischen Erlösung durch künstliche Intelligenz, Unrast Verlag, Münster