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Basspredigt im Dom im Berg

Die 15. Ausgabe des Elevate Festivals fiel zusammen mit dem 15-jährigen Bestehen des Labels Hyperdub, Kode9 sorgte daher für das Nachtprogramm auf der Dom-im-Berg-Bühne

Nach seiner Entstehung im Jahre 2005 wurde das Elevate in Graz bald zu einem Aushängeschild österreichischer Musikfestivals. Allen voran aufgrund der Auswahl der Acts aus dem Bereich elektronischer und experimenteller Musik ist es mittlerweile durchaus international renommiert; beispielsweise fand das Elevate in den letzten Jahren immer wieder Erwähnung im einflussreichen E-Zine Resident Advisor.

Die 15. Ausgabe des Festivals für Musik, Kunst und politischen Diskurs fiel in diesem Jahr zusammen mit einem anderen Jubiläum: dem 15-jährigen Bestehen des in London ansässigen Labels Hyperdub. Die Verbindung von Hyperdub und Elevate hat schon Tradition, bereits zweimal war Hyperdub-Gründer Steve Goodman alias Kode9 eingeladen, eine Bühne am Festival zu kuratieren, nämlich 2014 und 2009 anlässlich des 10. bzw. 5. Geburtstages seines Labels.

Die Hyperdub-Philosophie

Hyperdub steht für elektronische Bassmusik, genauer gesagt prägte das Label maßgeblich die Entwicklung des Anfang bis Mitte der Nullerjahre in Southern London entstandenen Dubstep. Aus einem vielfältigen Mix von Dub, Reggae und Jungle bis zu Grime, UK Garage und Two Step kreierten Kode9 und seine Mitstreiter wie Zomby, King Midas Sound oder The Bug den Signature-Sound von Hyperdub.

Besonders viel Aufmerksamkeit erregte ein DJ und Produzent, der inzwischen Legendenstatus besitzt: die Rede ist von Burial. Über dessen Werk ist in den vergangenen Jahren viel geschrieben, ja philosophiert worden. Nach Simon Reynolds, einem bedeutenden britischen Kulturjournalisten, ist die 2007 erschienene Burial-LP Untrue das wichtigste Album im Bereich der elektronischen Musik im 21. Jahrhundert. Dem bedauerlicherweise 2017 verstorbenen Autor und Kulturtheoretiker Mark Fisher zufolge ist das Außergewöhnliche an Burials „desolate elegies“, dass der Künstler dahinter zunächst zwar anonym blieb, dennoch etwas sehr Persönliches vermittelte. So unterstreicht Fisher die Zeitbezogenheit Burials: Dieser vertone den verloren gegangenen Glauben an eine bessere Zukunft, nachdem der neoliberale Kapitalismus alle Gesellschaftssphären durchdrungen und eine hedonistische Rave-Kultur ihr Ende gefunden hat.

Dass über den Sound von Hyperdub tiefgründig reflektiert wird, ist durchaus die Intention von Labelgründer Steve Goodman. Er besitzt selbst einen Ph.D. in Philosophie, lehrte an der University of Warwick und gab ein Buch mit dem Titel Sonic Warfare – Sound, Affect, and the Ecology of Fear heraus, in dem er sich mit den unterschiedlichen Funktionen von Klängen beschäftigt: Mittels Sound kann der menschliche Körper angegriffen werden (zum Beispiel als Foltermethode oder zur polizeilichen Zerschlagung von Demonstrationen), aber auch mobilisiert und aktiviert werden (wie im Clubkontext).

Im Sinne Goodmans ist Hyperdub letztlich gewissermaßen ein Experiment, philosophische Ansätze über den Sound als Medium in die für die Tanzfläche konzipierte Bassmusik zu übertragen. Dabei werden Motive wie Angst oder Verlorenheit aufgegriffen und versucht, diese durch melancholische, aber progressive Techno-Poesie konstruktiv zu verarbeiten. Für ein Festival wie das Elevate, das sich auf die Fahnen geschrieben hat, politischen und kulturellen Diskurs zu fördern, liegt es daher nahe, den Hyperdub-Acts die Bühne zu überlassen. Allerdings muss hinzugefügt werden, dass sich der Sound von Hyperdub seit den Jahren 2009 und 2010 diversifizierte und die hinzugekommenen Künstlerinnen und Künstler nicht mehr unbedingt in eine Linie mit Kode9, Burial und deren Gedanken zur Soundästhetik bringen lassen. Vor allem der sogenannte Footwork-Stil, Glitch- und Future-R’n’B-Einflüsse wurden in den letzten Jahren zunehmend tonangebend. Dementsprechend gestaltete sich das Line-up der von Kode9 am Festival-Freitag kuratierten Dom-im-Berg-Bühne.

Von Ambisonics über Rough Kuduro zu Gqom

Den Auftakt machte Shannen SP, ihres Zeichens Kuratorin der Clubreihe Ø in den Londoner Corsica Studios; leider bekam sie nicht zu sehen, wer beim zeitgleichen Auftritt der Drone-Doom-Legenden Sunn O))) im nahegelegenen Orpheum weilte. Auch nicht zu sehen bekam man Act Nummer zwei, Lee Gamble, was daran lag, dass die Bühne, auf der er spielen sollte, meist dunkel blieb. Es dauerte eine Weile bis zur Feststellung, dass Lee Gamble seine sogenannte 3D-Ambisonic-Performance von einem Platz vor der Tontechnik steuerte.

Als Bindeglied zwischen diesem Warm-up-Programm und den Hauptacts fungierte der in Angola geborene und in Belgien aufgewachsene Nazar, der für seine Musik die Bezeichnung „Rough Kuduro“ schuf. Kuduro ist eine Form rasanter und dynamischer Elektromusik, die ihren Weg von Angola aus über Portugal nach Europa fand. Als „rough“ möchte Nazar seine Kuduro-Variante verstanden wissen, weil er mit vielen seiner Tracks auf die Gewalt und die Folgen der Militärdiktatur in der ehemaligen portugiesischen Kolonie Angola rezipiert. Dieser Idee des „Rough Kuduro“ folgend spielte Nazar ein eindringliches, aber auch abwechslungsreiches und lebhaftes Set, das vielleicht besser in die kleinere und düsterere Tunnel-Venue als in den Dom im Berg gepasst hätte.

Als Nächstes folgten Okzharp & Manthe Ribane, deren Stil auf dem der südafrikanischen House-Szene entsprungenen Genre Gqom basiert. Dass ein bis dato in weiten Teilen eher träges Publikum langsam in Wallung kam, lag vor allem an den Performance- und Tanzkünsten von Manthe Ribane.

Kode9 und Lady Lykez als Höhepunkte

Anschließend übernahm Kode9 selbst die Regler und Turntables. Mit von der Partie war der Visual-Artist Konx-om-Pax, dieser ließ an Cyberpunk-Ästhetik angelehnte Anime-Sequenzen über die Leinwand flimmern. (Aufgrund mangelnder Kenntnisse über die japanische Trickfilmkultur müssen Informationen zu dieser visuellen Darbietung ausgespart bleiben.) Den Visuals fügte Kode9 passenderweise eine Art Videospiel-Sound hinzu – das funktionierte gelegentlich gut, in anderen Momenten wirkte es jedoch etwas überdreht. Seine charakteristischen Bassline-Spielereien ließ Kode9 dabei nicht missen, dennoch kam erst gegen Ende des Sets, als sich Konx-om-Pax bereits von der Bühne verabschiedet hatte, das typische Kode9-Schema – rhythmusgetrieben, in der Ferne aufbauend und dann in die Magengegend wummernd – vermehrt zur Geltung.

Der Labelchef wurde von Lady Lykez und Scratchclart aka Scratcha DVA abgelöst. Das Duo verstand sich wohl als Hiphop-Dancehall-Electroclash-Soundsystem und brachte eine gehörige Portion Power mit. „Energy, energy, energy!“, rief Lady Lykez immer wieder ins Mikro und begeisterte durch ihr dynamisches und explosives MCing.

Zum Abschluss betrat mit Ikonika ein weiteres Hyperdub-Urgestein die Bühne. Ihr kam die undankbare Aufgabe zu, das nun spärliche und im Dom verstreute Elevate-Publikum bis zur Closing Time bei Laune zu halten. Dass dieses Vorhaben von überschaubarem Erfolg gekrönt war, lag nicht maßgeblich an Ikonika, ihre Mischung aus Freestyle House und unorthodoxen Synth-Arrangements hätte vermutlich zu einer anderen Zeit, an einem anderen Ort mehr gezündet.

Der Tunnel war eine attraktive Alternative

Ein Wort sei hinsichtlich des Geschlechterverhältnisses des Hyperdub-Line-ups gesagt: Hyperdub wurde als Label mit ausschließlich männlichen Acts gegründet, erst mit Cooly G oder Ikonika und später mit Inga Copeland, Jessy Lanza oder Laurel Halo änderte sich dies. Beim ersten Blick auf das Elevate-Programm fiel die relativ ausgeglichene Besetzung zwischen männlichen und weiblichen Acts positiv auf. Dieser Eindruck relativierte sich wieder. Shannen SP und Ikonika bekamen die leidigen Slots ganz am Anfang beziehungsweise ganz zum Schluss, zwischendurch standen mit Manthe Ribane und Lady Lykez zwar Frauen auf der Bühne, jedoch nicht ohne den männlichen Begleiter, der dafür Sorge trug, dass eine Frau sich nicht noch zusätzlich um die Beats zu kümmern hat.

Zum Schluss soll ebenfalls nicht unerwähnt bleiben, dass abseits der Hyperdub-Acts auf der Dom-im-Berg-Bühne der sogenannte Tunnel – ein langgezogener, enger Stollen, in dem jede Frequenz augenblicklich durch Mark und Bein geht – eine mindestens genauso verlockende Venue war. Allen voran Deena Abdelwahed und Vladimir Ivkovic boten umwerfende Sets, die gerade für jene Besucherinnen und Besucher äußerst reizvoll waren, die in dieser Freitagnacht am Elevate nicht nur eine etwas pfundigere Showcase-Atmosphäre, sondern anspruchsvolle Ekstase und vielleicht auch etwas „depressiven Hedonismus“ (Mark Fisher) suchten.