MALMOE

Nachrichten aus dem beschädigten Alltag (#16)

An der Ampel

Ein großer Mercedes-SUV mit getönten Scheiben fläzt vor dem Zebrastreifen. AMG-Tuning. Der eingefleischte Radler, der sich vorsichtig hinter dem teuren, schwarzen Lack positioniert, denkt sich, dass die Kiste sicher nicht billig war. Die Ampel bleibt ewig rot und quält die Wartenden. Der Blick fällt auf die Rückseite des dunklen, bulligen Fahrzeugs. Diese ist reich beklebt. In einem Wappenaufkleber ist ein lächelnder (?) Schäferhund zu sehen. Ein Kürzel verweist auf eine Hundestaffel. Weiters zu sehen, ein Wappen der Polizeispezialeinheit WEGA, ein Stern mit dem Schriftzug „Dein Freund und Helfer“ und zwei sich schüttelnden Hände. In der Mitte des Fahrzeugs ein weiteres Wappen mit der Aufschrift „Militärstreife“ und dann zahlreiche, etwas ungeschickt verteilte Aufkleber mit dem Schriftzug „Polizei“. Aha, hier schätzt jemand die Arbeit der Exekutive und ist womöglich selbst dort beschäftigt, folgert der Radler. So weit, so nachvollziehbar. Irritierend ist nun aber ein weiteres Detail. Zwischen den zahlreichen Aufklebern ist jeweils ein gewölbter Metallsticker angebracht in Form eines silbernen Totenschädels. Die bildliche Sequenz die sich dem Radler bietet aus: Polizei – Totenkopf – Hundestaffel – Totenkopf – WEGA – Totenkopf – Militärstreife – Totenkopf und nochmals Polizei gibt Rätsel auf. Ist dies eine „mixed message“ oder bilden die Embleme gemeinsam den Markenkern ab? Die Ampel schaltet auf Grün, der Koloss zischt per „Kavalierstart“ ab und hinterlässt eine Gas- und Staubwolke. Was immer der oder die Klebende mit den Aufklebern aussagen wollte, zur Sicherheit aller Beteiligten empfiehlt sich ein „Defund the Police“.

Tote lügen nie

Jaime Rolando Urbina Torres, Bürgermeister der kleinen peruanischen Gemeinde Tantará, gönnte sich trotz Ausgangssperre eine kleine Sauftour mit seinen Freunden. Als die Polizei auf die Zechbrüder aufmerksam gemacht wurde und die Corona-Schutzmaßnahmen durchsetzen wollte, hatten sich Torres und seine Kumpanen bereits in ein Krematorium geflüchtet. Die Polizei traf sie dort, in offenen Särgen liegend, an. Noch im Tod um das Wohl seiner Mitmenschen bemüht, hatte sich Bürgermeister Torres sorgsam eine Atemschutzmaske gegen die Virusverbreitung übergestreift. Die Exekutivbeamten waren von der Charade nicht überzeugt und baten den Herrn Bürgermeister, der vor ihnen, mit fest zugekniffenen Augen, lag, doch bitte aufzustehen und mit auf die Wache zu kommen. Dann folgte der Satz der in die ewigen Annalen engagierter Lokalpolitik eingehen wird. Jaime Rolando Urbina Torres sagte: „Compañeros, Ihr könnt mich nicht festnehmen, ich bin tot!“ – Die MALMOE ist zurückhaltend mit Wahlempfehlungen. In diesem Fall sind wir aber zu einer Ausnahme gezwungen. Die Menschen in Tantará sollten unbedingt Torres wiederwählen, denn er hat eindrucksvoll bewiesen, dass er seinen Gegner*innen immer einen Schritt voraus ist und auch in scheinbar auswegloser Lage noch die richtigen Worte findet. 

Spielwaren

Gerade zur Weihnachtszeit könnte auch Menschen, die selbst keine Kinder haben, der schwerwiegende Baufehler der Spielzeugindustrie bewusst werden: Alles Spielgerät hat ein Ablaufdatum. Meistens endet die Empfehlung bei 14 Jahren, einige wenige Spielzeuge sind noch für 16-Jährige, dann ist Schluss. Bekanntlich hilft die MALMOE, wo sie kann und liebend gern auch der Spielwarenindustrie. Deswegen hier der Vorschlag, der den Konsument*innen-Gap zwischen kindlichen und erwachsenen Endverbraucher*innen füllen wird. Wie wäre es mit der Produktserie „Lego Porn“? Beispielsweise. „We put the play in foreplay.“ Zahlreiche schöne Innovationen wären denkbar. „Ring My Bell“, eine anatomische Nachbildung der Klitoris, zum Nachbasteln und Selbsterkunden aus eckig-spitzen Legosteinen. Playmobil-Figuren mit ausklappbaren primären Geschlechtsmerkmalen und zum Ineinanderstecken. Die Industrie hat sich ja nicht so, deswegen alles auch schön queer und sex-positive. Lasst Eure Manderln cruisen! Roger Behrens erkannte schon richtig, dass im Klötzchenbauen auf Lego-Format, die junge Seele alles beigebracht bekommt, was sie über kapitalistische Verwertung zu lernen hat, und der Großhexenmeister des kindlichen Marketings, Walt Disney, hatte seinem Konzern bereits vor langem das geheime Motto verpasst: „Selling sex to children“. Bevor die Kleinen noch wissen, was da untenrum mit ihnen geschieht, prägt die clevere Micky Mouse das Begehren der unschuldigen Kinder und wird es – wie Cinderella mit ihren „sexy long legs“ – nie mehr freigeben. Ist einmal der Bannfluch ausgesprochen, dann ist alle „erwachsene“ Geilheit in den Dschungel der Produktpaletten geführt, aus dem es kein Entrinnen mehr gibt.

Die Internationale

Im Wiener Wahlkampfherbst des Jahres 2020 wurde die Polizei von erbosten FPÖlern gerufen, weil diese sich in der Ausübung ihrer Rechte verletzt sahen. Die Blauen hatten soeben auf der Straße einen Tapeziertisch zum Behuf der Bewerbung ihres Wahlkampfprogrammes aufgestellt. Dies wiederum empfanden die Bewohner*innen der Wohnung, die sich unmittelbar oberhalb des Tapeziertisches befand, als unzulässige Belästigung, da sie die blaue Wahlwerbung (nicht ganz zu Unrecht) als das Versprühen von Pest und Galle empfanden. Der aus dem Fenster geäußerten Bitte, den Tapeziertisch mit seinen Hassbotschaften um ein paar Meter zu verrücken, wurde nicht stattgegeben, die Hausbewohner*innen schritten deshalb trotzig zur Tat. In die Fensteröffnungen der Wohnung wurden große Boxen gewuchtet (in der WG leben Musiker*innen) und mit der Beschallung der Straße begonnen. „Deine Gewalt ist nur ein stummer Schrei nach Liebe“, tönte es bald derart laut im Genick der Blauen, dass diese unwillkürlich ein paar Schritte nach vorne stolperten und sogleich die Exekutive riefen. Die folgte dem Ruf augenblicklich. Mittlerweile hatten die blauen Wahlkämpfer schon Bella ciao in voller Lautstärke lauschen dürfen und dann abschließend auch der Internationalen. Die Exekutivbeamten unterbanden sogleich die nachmittägliche(!) Ruhestörung und befahlen das Musikgerät auszuschalten. Auch drohten sie mit einer Anzeige wegen Wiederbetätigung. An der Stelle waren die Bewohner*innen baff. „Wiederbetätigung wegen was, Herr Wachtmeister?“ Na wegen der Internationalen natürlich. Der energischen Bitte, doch ihre Dienstnummern zu hinterlassen, folgten die Beamten nicht. Sie trollten sich eilends in ihr Fahrzeug und wurden nicht mehr gesehen. Frage: Haben Polizist*innen in Wien außergewöhnliche Bildungsdefizite? Eher nicht. Wenn irgendetwas im Land der Berge und Bildungslücken hängengeblieben ist, dann die antikommunistische Propaganda des Kalten Krieges.

Weihnachtsgeschichte

Im Tal der warm-weichen Schmuserchen war es jeden Tag wie Weihnachten. Alle waren gut zueinander. Die plüschigen Schmuserchen liebten es, wie Mann und Frau im Bett zu liegen, und dösten gerne bis mittags in der Falle. Sie hatten nicht viel, aber was sie hatten, teilten sie gerne. Neid und Streit waren unbekannt und alle dachten nur das Beste voneinander. Eines Tages kam der Handelsvertreter Ägidius Eulenbrück in das Tal der Schmuserchen und erkannte sogleich eine „business opportunity“. Er stellte sich auf eine eigens dazu mitgebrachte Kiste und hielt den Schmuserchen eine Rede. „Werte unbekannte Wesen, ich sehe, ihr habt die Fähigkeit …“ Es folgten ermüdende und nichtssagende Lobeshymnen. Was Eulenbrück im Sinn hatte? Er wollte die kleinen Gesellen verscherbeln, entweder als Haustiere und wenn dies nicht zog, vielleicht Pelzmäntel aus ihnen schneidern. Die Schmuserchen durchschauten den Plan – blöd waren sie nicht – und weil sie zu keinerlei Zorn und Kampf fähig waren, zerfielen sie in bunt funkelnden Staub. Eulenbrück steckte enttäuscht den Finger in den Staub und schleckte das glitzernde Zeug ab. Es schmeckte irgendwie süß. „Na gut“, sagte er, sammelte den Schmuserchen-Staub ein, übergoss ihn mit Pfützenwasser und füllte ihn in Flaschen. Er nannte es „Kokain-Brause“, war aber später zu einer Namensänderung gezwungen. So endet dieses Weihnachtsmärchen, das wie alle Weihnachtsgeschichten in der spätbürgerlichen Phase des Kapitalismus wahr ist, mit dem Hinweis, dass noch heute die Kinder an Weihnachten jene Brause in Flaschen genießen, die ihnen ein Herr in einem roten, verbrämten Mantel (vage an die Gestalt Eulenbrücks angelehnt) serviert. Warm ums Herz wird den Kindern von dem Gesöff nicht, aber ihre Zähne werden klebrig und sie müssen rülpsen. Frohe Weihnacht allseits!