MALMOE

Warum man Hotelzimmer liebt

Für die MALMOE-Literaturseite schreiben Katharina Pressl und Marie Luise Lehner über das Wohnen, manchmal hochpolitisch oder eindringlich, manchmal humorvoll oder seicht.

Folge 7: Über die wundersamen Fähigkeiten eines Hotelzimmers.

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Hotelzimmerfreiheit

Das Betreten eines Hotelzimmers ist wie das Betreten eines Multiversums. Diese Welt ist rein und wunderschön. Jedem Kubikmeter Raum ist Befähigung eingeschrieben. Zwar scheint es, als dienten die Decken am Bett dazu, in ihnen verloren zu gehen, aber man wird hier sein, mitten im frischen, sauberen Hotelzimmer, mitten in der besten Zeit des Lebens. Der Raum gehört einem ganz allein. Nur für diese Nacht, aber immerhin für diese Nacht. Und das für lau, denn jemand ist auf die wagemutige Idee gekommen, die Rahmenbedingung für den auch andernorts zur Arbeit benötigten Schlaf zu bezahlen. Als Kirsche auf dem Sahnehäubchenbett liegt da eine kleine Karte, die einen willkommen heißt; erster Buchstabe des Vornamens, des Nachnamens, Herz. Beim Wort „Freiheit“ liegt die Latte so tief – man kann unbesorgt feststellen: Freiheit ist ein Hotelzimmer. Die Freiheit der offenen Klotür, die Freiheit der Klimaanlage, die Freiheit lauter Masturbation bei unbekannten Nachbar:innen. Es ist, als falle man durch die Zeit, sei plötzlich irgendeine Art Star, die es längst nicht mehr gibt; Free-TV oder Rock’n’Roll. Trunken liegt man dort, duscht sich oder duscht sich nicht, schaut befriedigt fern und schlürft in kleinen Mengen abgefüllte Getränke. Man fällt auch durch die Welt und ist plötzlich in keiner europäischen Stadt mehr, sondern in den USA, so gut, wie das Wasser aus kleinen Flaschen schmeckt. Man kommt zum Entschluss, dass die Schwierigkeit, die der Aufgabe „genug Wasser trinken“ zugeschrieben wird, allein von der aufwendigen Prozedur, sich ein Glas zu richten, herrührt und das leitungskalt einfach nicht ganz herankommt an kühlschrankkalt.

Solche Unterscheidungen sind einem wichtig geworden, seit man das Hotelleben lebt, auf sowas hat man gelernt, Wert zu legen, in den letzten dreieinhalb Stunden. Die Packung Erdnüsse reißt man mit den Zähnen auf, und auch sonst gehört einem die Welt, man ist jetzt ein kleiner Wolf und draußen die Wall Street. Oder so. Ja, man macht Fehler, aber dadurch verliert man nicht den Anspruch auf Zuwendung. Das lehrt das Hotelzimmer. Deswegen liebt man das Hotelzimmer. Der Shampoospender applaudiert. Die Handtücher in perfekten Größen klopfen motivierend auf die Schulter. In der Lampe ist keine Glühbirne, die heiß werden kann; das Zimmer wird nicht abbrennen, vergisst man, sie auszuschalten und die Deckenzipfel aus ihrer Nähe zu entfernen. Alles ist gut in der Nacht, erblickt aus dem Raum hinter den versperrten Fenstern. Einer von vielen Blicken, die geworfen werden, untereinander, nebeneinander. Kariert, so wie sie auch von außen gesehen werden, die viereckigen Lichter, Einheiten der Freiheit im Koordinatensystem der Hochhauswand. Von hier aus kann man risikoreiche Nachrichten doch absenden, hier ist die Chance auf der gleichen Achse wie der Punkt, der man selbst ist. Vielleicht kann ja doch etwas werden aus einem, und wenn nicht, richtet es vielleicht eine Nacht in einem zwar viel zu weichen, aber sehr weißen und bezahlten Bett. Hier geht die Sonne auf, wenn man ausgeschlafen ist, ein Kater verpufft noch vor dem Frühstücksbuffet. Vorsichtig löst man sich aus der Umarmung des Hotelzimmers. Es will einen nicht gehen lassen, so ein Schlingel. Verständnisvoll streichelt man die cremeweiße Wand des Zimmers, immerhin ist man ihm Lebensinhalt. Man atmet die Luft ein, nimmt die Reinheit mit, das Solitäre und das kleinste Handtuch. Die Tür lässt man leise zufallen, um noch nicht allzu unnotwendig früh aus dem Multiversum erweckt zu werden.

Gleich kommt ohnehin das alte Gefühl. Das Zu-Hause-schlafen-und-Miete-zahlen-Gefühl. Gleich ist man wieder dort, wo man immer war. Gleich muss man darauf bestehen, dass man recht hat, oder eingestehen, dass man falsch lag. Gleich kommt die Antwort der risikoreichen Nachricht, gleich schaut man nicht mehr aus dem Fenster in die Dunkelheit, sondern steht am Boden der Stadt. Nur noch der Gang, der Lift und die Lobby. Der Dreck kommt näher. Spätestens an der Rezeption riecht man ihn. Die Erinnerung an die Reinheit wird blasser, nur leise spürt man noch den ermutigenden Griff des Handtuchs am Körper. Wer weiß, vielleicht fängt die Lampe doch Feuer? Man gibt den Schlüssel ab und damit auch einen Teil von einem gerade erst neugewonnen Stück von sich selbst. Hinter der Drehtür alles nur Schmutz und das dumpfe Gefühl, zu wenig getrunken zu haben.

Katharina Pressl