MALMOE

Treibsand

Becoming Digital (0x10)

Das Moore’sche Gesetz besagt, vereinfacht gesprochen, dass sich die Menge der auf einer bestimmten Fläche Halbleitermaterial unterzubringenden Transistoren in etwa alle 1,5 Jahre verdoppelt. Das ist insofern bedeutsam, als dass es heisst dass sich die Leistung von Prozessoren nicht nur linear sondern exponentiell entwickelt. Zwar stößt die Miniaturisierung von Schaltkreisen seit einigen Jahren an ihre physikalischen Grenzen, weitere Effizienzsteigerungen sind trotzdem durch andere technische Verbesserungen in ähnlich kurzen Zeitabschnitten, sprich Produktzyklen, zu beobachten. Während die Endprodukte also sowohl durch technologische Innovation als auch physikalische Grundlagenforschung immer effizienter rechnen, hat sich ihr eigentlicher Fertigungsprozess, vor allem dessen immenser Bedarf an Energie und Wasser, kaum verändert. Die kurze Lebensdauer von Chips hat, in Kombination mit dem enorm gestiegenen Gesamtbedarf an Halbleitern, zu einem beispiellosen Bedarf und Verbrauch an Ressourcen geführt. Während in den vergangenen Jahren dabei vor allem exotische Materialien wie Lithium und seltene Erden im Zentrum des Diskurses um die (ethisch vertretbare) Herstellung elektronischer Geräte standen, treten nun, befeuert durch den beginnenden Klimawandel, auch so scheinbar banale Ressourcen wie Wasser und Strom in den Vordergrund.

So mussten mit Samsung, Infineon und NXP gleich drei chipherstellende Konzerne aufgrund eines ungewöhnlich schweren Schneesturms mit darauf folgendem Stromausfall in Texas ihre Produktionsstätten teilweise stilllegen. Da das An- und Abschalten der komplexen Fabriken teilweise mehrere Wochen in Anspruch nimmt, und die betroffenen Werke beinahe 10% der amerikanischen Halbleiterproduktion abdecken, sind Lieferengpässe unvermeidbar. Noch weit größere Auswirkungen könnte die seit Monaten andauernde Dürre in Taiwan haben. Die dort ansässigen chipherstellenden Konzerne, allen voran TSMC, decken in vielen Konsumgüterbereichen 50% des weltweiten Bedarfs an Halbleitern ab, verbrauchen dafür jedoch täglich bis 150.000 Tonnen Wasser. Ein Ausfall dieser Produktionsstätten hätte nicht nur Auswirkungen auf die Verfügbarkeit von Endgeräten hierzulande, sondern würde auch zu einem großflächigen Stocken von Lieferketten in vielen Industrien führen. Bereits jetzt werden europäische Automobilwerke in Kurzarbeit geführt, weil bestimmte Komponenten nicht in ausreichender Stückzahl beschaffbar sind. Gleichzeitig werden in Taiwan die sowohl für die Landwirtschaft als auch für Menschen verfügbaren Mengen Trinkwassers bereits jetzt zugunsten der Halbleiterindustrie rationiert.

All das zeigt wie wenig resilient die momentane digitale Infrastruktur mit Blick auf ihre Herstellungsketten ist und wie groß ihre Auswirkungen auf und ihre gleichzeitige Abhängigkeit von Ökosystemen auch jenseits ihres unmittelbaren Betriebes sind. Zwar scheint es wenig bedrohlich, wenn die Wartezeit für ein neues Smartphone ein paar Wochen beträgt. In Anbetracht der Tatsache jedoch, dass von medizinischem Gerät bis hin zu smarter Stromversorgung nur noch wenig ohne Halbleiter funktioniert, kann ein längerfristiger Engpass bei bestimmten Komponenten zu einem echten Problem werden. Zwar kann ein hochentwickeltes Land wie Taiwan Ernteausfälle derzeit problemlos durch den Import von Lebensmitteln kompensieren. Dass dies in Anbetracht immer häufigerer Dürren kein dauerhaft tragfähiger Zustand ist, ist jedoch ebenso klar.

Nun ließe sich diese Verknappung von Halbleitern freilich auch als Chance begreifen, Innovations- und Produktionszyklen zu verlängern, über langlebigere Produkte nachzudenken und endlich eine sinnvolle Rückgewinnung von Rohstoffen aus den immensen Mengen an Elektroschrott zu organisieren. Ebenso exponentiell wie die Leistung der hergestellten Chips steigt jedoch momentan auch ihr Bedarf. Während im vergangenen Coronajahr viele Wirtschaftszweige schrumpften, konnte die Halbleiterindustrie doppelt so schnell wachsen wie die restliche Weltwirtschaft. Initiativen wie die vom EU-Parlament vorgeschlagenen „Richtlinien zum Recht auf Reparatur“ und zur „Kennzeichnungspflicht für die Produktlebensdauer“ die das EU-Parlament in seinem „Entwurf zu einem nachhaltigeren Binnenmarkt für Unternehmen und Verbraucher“ kürzlich vorlegte, könnten diesen Bedarf zumindest einhegen, scheitern aber bislang an den ‚Warnungen’ von Lobbyverbänden. Bleibt zu hoffen, dass die Millionen Tonnen verbauten Siliziums in Chips überall um uns nicht bald zu zivilisatorischen Treibsand werden.