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MALMOE

Wer sagt denn das

Becoming Digital (0x10)

Als Twitter verkündete, dass politische Werbung auf seiner Plattform von nun an strengeren Regeln unterworfen sein würde, in jedem Falle aber einem Faktencheck standhalten müsse, war meine erste Reaktion durchaus Zustimmung, ja sogar Erleichterung. Die Idee, dass es nunmehr unmöglich wäre politisch motivierte Desinformation mit hoher Reichweite zu betreiben, schien mir durchaus vernünftig. Erst auf den zweiten Blick stellte sich mir die Frage, wie viele Chancen auf breite Wahrnehmung Gruppen wie Fridays for Future oder Extinction Rebellion wohl hätten, wenn politisch motivierte Werbung tatsächlich, wie teilweise gefordert, ausschließlich auf „harte Fakten“ beschränkt wäre. Warum? Weil die Fake News verbreiten? Sicher nicht! Keiner der beiden Gruppen würde ich willentliche Desinformation unterstellen. Dennoch liegen die meisten ihrer Kernanliegen in „einer Welt der essentiellen Womöglichkeiten“1Martin Krohs Klimaballade, Lettre International 128, 2019. Sie können einem Fact-Checking niemals standhalten, weil sie eben wissenschaftliche Postulate sind, „Deutungen von Deutungen prekärer Daten“2Martin Krohs Klimaballade, Lettre International 128, 2019. Es sind, so ungern wir das manchmal hören, eben nur Wetten auf ein bestimmtes, wenn auch durchaus wahrscheinliches, Ergebnis eines hochkomplexen Experiments. Eben deshalb verfehlen die Forderungen nach Faktentreue ihr Ziel: Es ging nie um Fakten oder Daten, es ging stets um Narrativ und Intention. Wer will zu was motivieren und mit welchen Aussagen.

Der Versuch, die Erosion der klassischen Gatekeeper der Information (die primär eine neoliberale Erosion der Medienlandschaft war und ist, auch wenn Sie gerne hinter technologischer Innovation und Disruptionsphantasien versteckt wird) durch den Rekurs auf eine imaginäre sichere Faktenlage zu kompensieren, ist wohl das sichtbarste Symptom eines breiten Scheiterns des Experiments der radikalen Öffnung der Informationskanäle. Die verschämte Erkenntnis, dass diese Offenheit wieder genau jene Desinformation und Repression hervorbringen könnte, die wir durch sie abzuschaffen gedachten. Das Meme behält recht: „Remember when we all thought that collective stupidity was rooted in a lack of access to information? Well, it wasn’t that.“ Es scheint, als starteten wir wieder bei Null. Mit dem Unterschied, dass nun tatsächlich eine Unmenge an Information öffentlich verfügbar ist, jedoch das Wenigste vertrauenswürdig erscheint.

Als Cocktailkirsche auf dem Shit-Emoji steht am vorläufigen Ende dieses Prozesses die Absurdität, dass nun die neoliberalsten (oh ja, man kann dieses Wort steigern!) aller Institutionen, die digitalen Plattformen, das Fact-Checking besorgen sollen. Man muss sich das auf der Zunge zergehen lassen. Dieselben (sich durchaus links empfindenden) Intellektuellen, die Zeter und Mordio schrien, als der Digital- und Crowdjournalismus Einzug hielt (mit in weiten Teilen absolut berechtigter Kritik), fordern nun, dass die Hauptakteur_innen dieser Disruption die zerstörten Institutionen ersetzen. Fordern, dass Organisationen, die ihrem ganzen Wesen nach ausschließlich Wachstum und Profit verpflichtet sind, als Garant_innen vertrauenswürdiger Information auftreten sollen. Es klingt nach Satire – ist aber absolut ernst gemeint. Der Übergang vom hoffnungsvollen „Pump up the volume“ der 90er zum „Wer sagt denn das“ der Gegenwart ist, neben den zu Tode thematisierten Prekarisierungen, auch und vielleicht vor allem ein Prozess des Hineinwachsens in eine Umgebung „existenzieller Unsicherheit“3Martin Krohs Klimaballade, Lettre International 128, 2019 auf intellektueller Ebene, einer geistigen Prekarisierung. Ob der versteckte Rassismus und Sexismus in scheinbar objektiven Forschungsergebnissen oder die Unwägbarkeiten hoch spekulativer Klimamodelle und Pandemieberechnungen: Kein Fact-Checker der Welt wird uns abnehmen können, die Intentionen hinter den Geschichten, die wir konsumieren zu bedenken, zu befragen, abzuwägen. Für all jene, die diese Aufforderung nun als Verblendung linker Bildungsbubbles abtun, die in der „echten Welt“ (oh, the irony) keine Relevanz hätte, wenn Demagog_innen die Massen aufhetzen, sei nochmals wiederholt: Es ging nie um Faktizität, es geht stets um die Erzählung. Und die Erzählungen der modernen Demagog_innen wird auch ein Faktencheck nicht brechen, so lang keine brauchbaren Alternativen im Angebot sind.