MALMOE

„Ich liebe meinen Kanzler“

Poesiealbum Türkis-Grün #5

Langweilig wird’s nicht in der schrägsten Demokratie Europas. Ständig passiert etwas historisch Einmaliges und nie Dagewesenes und dank der gewieften Selbstdarsteller*innen der ÖVP ist das Aufzählen der Fakten bereits Satire. Wir lachen uns zu Tode.

An ihren Ausreden sollt ihr sie erkennen!

Die Sondersitzung des Nationalrats zur „dringlichen Anfrage“ an Sebastian Kurz, wegen der staatsanwaltlichen Ermittlungen gegen ihn, zeigt deutlich, welches Demokratieverständnis die „türkise Bewegung“ hat. Lieferte Jörg Haider einst den „Feschismus“, dann überzog Kurz das Land mit der „Enkeltrick-Diktatur“. Zunächst ist alles Gefühl und Nettigkeit. Die weinerliche Stimme des jungen Kanzlers ergeht sich in langen Ausführungen, wie schwer es für ihn, die Mama, den Papa und auch die Freundin ist. Viele im Land würden ihn aber unterstützen. Der Einserschmäh des Sebastian Kurz! Immer hat ihn wer angerufen oder ihm einen Dankesbrief geschrieben, mal ist’s das Taufkind, mal die geistig verwirrte Nachbarin. Und die schreiben dann immer genau das, was Kurz der Welt zu sagen hat. So ein Glück auch. Gestärkt von diesem Rückhalt geht der Kanzler dann im Austria’s-First-Opfer-Modus weiter. Nein, bäh, schiach ist sie, die Opposition, die doch wirklich gegen ihn ist, statt sich mit ihm zu freuen, was er alles geschafft hat. Immer schön nicht beim Thema bleiben ist das Motto der Schulaufsätze, die Kurz in die Mikrofone der Journalist*innen quatscht, und das Parlament kriegt auch nicht mehr geliefert. Die dringlichen Fragen der Abgeordneten beantwortet der Kanzler dann in wenigen Minuten im „neuen Stil“: „Zu den Fragen 17 bis 39: Nein. Fragen 39 bis 50 sind Suggestivfragen, schiach seid’s ihr alle, schämen solltet ihr euch etc.“ So bleibt der Kanzler Antworten schuldig und geht gleich wieder zum Gegenangriff über. So weit, so deppert. Dann aber kommt die dunkle Seite der Macht zum Vorschein. Sebastian Kurz droht: der Demokratie, der Gewaltenteilung und dem Rechtsstaat, indem er unumwunden sagt: Ihr mögt das Recht auf eurer Seite haben, aber das Volk ist auf meiner! Zwei Wahlen habe er bereits gewonnen und die Menschen werden ihn wieder wählen. Ihr werdet schon sehen, sagt der Bosnigl, der eben noch der nette Enkel war: Das Volk wählt mich auch zum Bundeskanzler, selbst wenn ich verurteilter Straftäter bin, denn das Gefühl ist mehr als das Recht! Ein entsetzlicher Abgrund totalitärer Bedrohung tut sich vor den Abgeordneten auf, denn den Rechtsstaat kann ein Land nur erhalten, wenn alle Parteien sich dafür einsetzen. Die ÖVP geht jetzt ihren eigenen Weg.

Ein U-Ausschuss in den Ofen

Der Graben zwischen den Parlamentsdebatten und dem Abstimmungsverhalten bei den Grünen ist groß. Das Motto lautet: Das Richtige sagen und dann das Falsche tun. Das ist wohl erwachsene und „verantwortungsvolle“ Politik und dafür haben die Grünen jahrzehntelang in der Opposition geübt, um nun genauso belämmert zu agieren, wie jene, die sie früher mit Kritik überzogen haben. Aber von welcher Verantwortung reden sie da überhaupt? Für die Umwelt wollen sie sich einsetzen, und für den Neustart nach Covid erwarten sich die Menschen, dass jetzt „gearbeitet“ wird (brav, immer schön die Talking Points der ÖVP benutzen), und wenn sie jetzt alles hinschmissen, dann wäre niemandem genützt, vor allem einem selbst nicht. So machen sie eben weiter in einer Koalition mit möglichen Straftätern, die den Rechtsstaat und den Parlamentarismus verlachen. Zur Belohnung wird sich die ÖVP sicherlich zu veritablen Zugeständnissen bewegen lassen, indem sie etwa mithelfen, das 1-2-3-Umweltticket bereits im Jahr 2027 einzuführen und es dann sogar in manchen steirischen Gemeinden (Modellregion) anerkannt werden könnte. Bahnfahren könnte im Einzelfall dadurch etwas günstiger werden, insbesondere für Menschen die gerne hochkomplexe Geschäftsbedingungen studieren. Ein schöner Erfolg für die Grünen und die Umwelt ist somit bereits in Fernsicht. Als Vorleistung Nummer 2374 blasen die Grünen deshalb jetzt den Untersuchungsausschuss zur Käuflichkeit der türkis-blauen Koalition („Ibiza-U-Ausschuss“) ab, weil schon viel zu viel Druck auf den armen, türkisen Koalitionspartner gemacht wurde. „Wen der Anstand wählen würde“, wie die Grünen einst rhetorisch fragten, werden wir wohl nie erfahren. Ob aber die politische Vernunft die Grünen je noch wählen kann, ist bereits klar, denn hier hat sich eine Partei ein paar Mal zu oft verbogen. Mit der vorzeitigen Beendung des U-Ausschusses spielen sie nun das Spiel der ÖVP, die so lange verzögert und verschleppt, bis endlich abgedreht wird. Die Grünen machen folglich bei der Verhinderung der Aufklärung fleißig mit und das erscheint dann noch mehr „belämmert als die anderen“.

Opposition, anyone?

Die Stimmung ist ja mies im Lande des Kurz. Zum Mauthausen-Gedenken konnte sich die ÖVP zwar nicht bequemen (zu viele rote Fahnen), aber ins Schweizerhaus kam man geölt geeilt, den grünen Pudel unterm Arm. Es sollte ein Aufsperrfest erster Sorte werden, schließlich hatte man Covid besiegt. Aber dann wurde der Strahlekanzler ausgebuht und musste sich unter Polizeischutz trollen. Wer da buhte, ist unklar, und damit ist zugleich das Problem der Opposition auf den Punkt gebracht. Die „Kurz muss weg“-Rufer*innen sind teils waschechte Neonazis, Impfgegner*innen und Corona-Leugner*innen. Ihr Hohepriester heißt Herbert Kickl und dem geht’s mit all dem gut, schließlich ist Leugnen das neue Hetzen. Corona, Ibiza, Klima – kann alles schön weggeleugnet werden. Nur ist leider nicht zu leugnen, dass Kickl kein Koalitionsmaterial ist. Mit ihm kann und will wirklich keiner und damit hat die ÖVP ihre Sperrmajorität im Parlament sicher. Die Buhrufer*innen im Schweizerhaus sind aber nicht nur Durchgeknallte gewesen, es gibt viele Menschen im Land, den Kurz auf den Zeiger geht. Nur wie diese vereinen und eine Mehrheit gegen Kurz bilden? Die SPÖ hat einen drachenstarken Plan: Sie tritt einfach als drei Parteien an! Brillant, wird sicher hinhauen. „SPÖ eins“ ist die Ludwig-SPÖ (Parteifarbe Rot-Schwarz), die sich durchaus irgendwie eine Koalition mit Kurz vorstellen kann und darauf hofft, dass die Bürgerlichen überlaufen. „SPÖ zwei“ ist die kleine Räudige aus dem Burgenland (Parteifarbe Rot-Braun), die sehr wohl Übereinstimmungen mit der FPÖ entdeckt und weil die Blauen dauernd alles so schön leugnen, hat man das meistens auch schon wieder vergessen. „SPÖ drei“ ist die der Parteichefin Pamela Rendi-Wagner (Parteifarbe Farblos). Mit ihrem menschlich berührenden Wahlspruch „Ich habe das alles nie gewollt“ wird sie zur Kanzlerin der Herzen gewählt. Weil aber leider die Koalitionsverhandlungen innerhalb der SPÖ scheitern, bleibt dann doch Kurz Kanzler.