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MALMOE

Parteibuch Nummer 1

Vor über 100 Jahren wurde im 10. Gemeindebezirk Wiens eine der ältesten kommunistischen Parteien der Welt gegründet

Viel Informationen zum Tag, an dem die Kommunistische Partei Deutsch-Österreichs, KPDÖ (ab 1920 KPÖ) ins Leben gerufen wurde, sind nicht bekannt. In den Eichensälen, die es heute nicht mehr gibt, auf der Favoritenstraße 71 im 10. Bezirk, unweit des heutigen Hauptbahnhofs, tagte die Versammlung am Sonntag, den 3. November 1918 und gründete die Partei in Folge des „Waffenstillstand von Villa Giusti“ (heißt: Kapitulation), der das Ende der Habsburgermonarchie einleitete.

Durch die Augen des Feindes

Wie zu oft sind es auch hier Polizeiberichte, die Aufschluss über die Zusammensetzung des Gründungstreffens an jenem Tag geben. In der Polizeiakte, die heute im „Archiv der Republik“ im 3. Bezirk liegt, findet sich ein Sitzungsprotokoll der Gründung. Das Dokument wurde bei der Hausdurchsuchung eines Genossen konfisziert und gilt als einzig überliefertes schriftliches Zeugnis zur Gründung der Partei. Im Protokoll werden zwei Sitzungspunkte vermerkt: 1. Gründung der kommunistischen Organisation und 2. Eventuelles. Das Programm des Abends war also klar, eine Partei als Organisationsform sollte her und das so schnell wie möglich.

In der Polizeiakte findet sich auch eine Niederschrift der Rede, die vermutlich am Gründungsdatum gehalten wurde. Neben bekannten Spitzen gegen die Sozialdemokratie, die ihren kämpferischen Jugendcharakter verloren habe und den Sozialismus in einer indifferenten Zukunft suchen würde, wurde das Programm der KPDÖ prägnant so zusammengefasst: „An Stelle der bürgerlichen Umwälzung müssen wir die soziale fordern.“

Das Ins-Leben-Rufen kommunistischer Parteien war eng verbunden mit der Gründung eigener Presseorgane. So wurde am selben Tag in Favoriten, auch die Zeitung Der Weckruf gegründet, die sich 1919 bereits in Die Rote Fahne umbenannte, um dann nach 1945 (bis heute) in Österreich unter dem Namen Volksstimme zu erscheinen. Die von Ruth Fischer herausgegeben Publikation Die Revolutionäre Proletarierin erschien als eine Beilage des Weckruf. Die ersten zwei Ausgaben der Zeitung wurden direkt von den Behörden konfisziert.

Von welchen Diskussionen und Debatten die konstituierende Sitzung begleitet war, ist nicht überliefert. Es gibt auch kaum Auskünfte darüber, wer die 40 bis 50 Sozialist_innen waren, die zur Gründung erschienen. Überliefert ist, dass sich um die Teilnahme Friedrich Adlers bei der Sitzung bemüht wurde. Als Sohn von Victor Adler, des Gründers der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei, Vorläufer der heutigen SPÖ, wäre das natürlich symbolisch durchschlagend gewesen. Doch er lehnte diese und auch weitere Einladungen der Kommunist_innen ab.

Ruth Fischer als ambivalente Gründungsfigur der KPÖ

Neben Filip Filipović aus Serbien, der ein paar Monate später die Kommunistische Partei Jugoslawiens mitgründen sollte, sowie einigen abtrünnigen Sozialdemokraten, war es Ruth Fischer (geb. Elfriede Eisler-Friedländer), die – mit ihrem Mann – selbst zu einer Hauptinitiatorin der Gründung der Partei zählt. Dies drückt sich nicht nur in ihrer Parteimitgliedsnummer – 1 – aus, sondern auch in ihrem transnationalen Wirken in diversen kommunistischen Bewegungen und Parteien ihrer Zeit.

Fischer und Filipović eint, dass sie Stalins Terror zum Opfer fielen. Während Filipović 1938 erschossen wurde, konnte sich Fischer, nach einem Treffen mit Stalin 1925 und ihrer Festsetzung in Moskau, befreien und zurück nach Berlin gehen. In den stalinistischen Schauprozessen wurde sie in Abwesenheit verurteilt. Aus Berlin musste sie 1933 vor den Nazis über Paris, wo sie bis 1940 bliebt, in die USA fliehen.

Wie freigegebene Geheimdokumente von der CIA aus dem Jahr 2010 offenlegen, arbeitete sie eng mit den USA zusammen. Unter dem Pseudonym Alice Miller war sie führende Agentin der Geheimgruppe The Pond, die beteiligt war an den anti-kommunistischen Politiken der sogenannten McCarthy-Ära. Erklärt wird dies als ihr persönlicher Rachefeldzug gegen Stalin, da sie überzeugt war, dass ihr Lebensgefährte Arkadi Maslow durch Stalins Schergen auf Kuba 1941 umgebracht wurde.

Auch wenn sich das Leben der Ruth Fischers alias Elfriede Eisler-Friedländer alias Alice Miller alias Leader of The Pond gut in ein Netflix Miniserienformat übertragen ließe, wäre es wichtig, sich nicht nur im Rahmen der KPÖ Gründung stärker an sie zu erinnern. Sie war sozialistische Jüdin, von den Nazis und Stalin verfolgt, in internationalen Bewegungen aktiv und nach dem Ausschluss aus der Kommunistischen Partei Deutschlands in Wedding (Dem Berliner Pendant zu Favoriten) als Sozialarbeiterin tätig und biete damit viele Orientierungspunkte, von denen aus sich spannende Bezüge aufmachen ließen. Doch die gilt es noch freizulegen und zu bergen.

Ohne Favoriten keine KPÖ?

Gerade weil so wenig Informationen über die Gründung der KPÖ überliefert sind, kann nur spekuliert werden, warum es ausgerechnet Favoriten war, in der die dritt-älteste Kommunistische Partei der Welt gegründet wurde. Klar, Favoriten stellte schon vor 100 Jahren ein Ballungsgebiet dar, in dem viele verarmte Menschen lebten, die von einer sozialistischen Politik profitieren sollten. Doch das trifft auf viele Bezirke im Wien jener Jahre zu. Also war es vielleicht ein historischer Zufall, dass es ausgerechnet die Eichensäle waren? Diese Frage lässt sich heute nicht mehr beantworten.
Fest steht: Damals wie heute, bleibt Favoriten, dank der sozialen Frage einer der spannendsten und wichtigsten Bezirke für sozialistische Politiken und Bündnisse, wovon Gruppen wie die ATIGF (Föderation der Arbeiter und Studenten aus der Türkei in Österreich) zeugen.