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MALMOE

Next Stop Matzleinsdorfer Platz

Verkehrsknotenpunkte sind attraktive Orte mit einem hohen Grundrauschen. Sie sind vielschichtige Orte des Austauschs, dicht und flüchtig zugleich – eine mächtige Infrastruktur

Der Matzleinsdorfer Platz im Süden von Wien ist so ein schöner Ort des Widerspruchs. Er liegt an der historischen Fernverkehrsstraße nach Süden. Der Name geht auf die ländliche Vorstadtsiedlung Matzleinsdorf zurück. Verkehrsknoten und Platz entstanden mit der Errichtung des Linienwalls, also der äußeren Stadtgrenze, zugleich Steuergrenze im Jahre 1704. Beinahe zweihundert Jahre war der Platz eine echte Grenzstation, ein Tor zur Stadt. Die Eisenbahn entstand entlang des Walls und schrieb die Grenze fort. Außerhalb entwickelten sich Industriebetriebe und mit ihnen ein migrantisches Proletariat, argwöhnisch beäugt, aber halbwegs eingegrenzt durch unsichtbare und manifeste Linien: Favoriten.

Der Matzleinsdorfer Platz ist heute noch ein tosendes Nadelöhr. Das derzeitige Aussehen des Platzes geht auf die 1950er und 1960er Jahre zurück. Damals wurde als stadtplanerisches Prestigeprojekt der Platz als autogerechtes Verkehrsbauwerk konzipiert. Dafür wurden alle Straßenbahnlinien unter die Erde gelegt, der Fußverkehr an den Rand gedrängt oder ebenfalls unterirdisch geführt und auch alle weiteren Verkehrsmittel verdrängt. Gleichzeitig bauten die Stadtväter in unmittelbarer Nähe am ehemaligen Heumarkt einen weitläufigen Gemeindebau inklusive erstem Wohnhochhaus der Gemeinde Wien. Rundum eine mondäne Sache. Nun betrat das Auto mit Wucht die Bühne.

Nicht-Ort?

Fünfzig Jahre später gilt der Matzleinsdorfer Platz als häßlicher Unort, als Nichtort und als diffuse Verkehrshölle. Diese Wahrnehmung ist das Resultat der damaligen Stadtplanung, eines stetig anwachsenden Autoverkehrs, einer kontinuierlichen Entwertung. Niemand hat sich für den Platz interessiert.

Wirklich verstehen kann man den Wandel am Platz nur, wenn man die politischen und ökonomischen Veränderungen mitdenkt, die seit den 1970er Jahren in Wien und weltweit geschehen sind – das Schlagwort dazu lautet: Neoliberalismus. Abbau sozialer Sicherheiten und demokratischer Teilhabe, verbunden mit einem Kult um Eigensinn und individuelle Stärke, enorme Kapitalkonzentrationen bei zunehmender Ungleichheit etablierten sich entlang unternehmerischer Denkweisen in allen gesellschaftlichen Bereichen. Wer sollte unter dem Eindruck solch allgemeiner Entsicherung des Lebens noch Schutz, Geborgenheit oder städtisches Verantwortungsgefühl hinter den gefliesten und neonbeleuchteten Passagen vermuten?

Eine relativ neue Facette dieser Politik ist die mediale Instrumentalisierung von Verkehrsknotenpunkten als Kommunikationsplattformen für ordnungspolitische Inszenierung. Der öffentliche Verkehrsraum wird in Erzählungen, Reportagen und Bildern als verwahrlost und gefährlich dargestellt. Arme und Fremde sind das Problem. So die Erzählung. Das Ziel: „sozial verträgliche Bilder“ (Polizeipräsident Pürstl). Ein Bild das via Überwachung, Verordnungen, Polizei, Securities, Shopping, Licht und Sauberkeit hergestellt wird. Dabei profitieren Medien und Politik. Die Politik kann Handlungsmacht demonstrieren, die Polizei dehnt ihre Befugnisse aus, die Medien erhalten lukrative Bilder.
Jetzt kommt die U-Bahn zum Matzleinsdorfer Platz. Zusätzlich zur S-Bahn, zu den Zügen, den Autos und den Straßenbahnlinien der Unterpflasterstraßenbahn (Ustraba). Sie verspricht eine direkte Anbindung von Favoriten an die sogenannte Innere Stadt.
Innerhalb der nächsten zehn Jahre soll ein komplett neuer Platz und auf Favoritner Seite ein neuer Stadtteil mit Hochhäusern entstehen – der Platz wird also erneuert und verschönert. Aber was heißt Verschönerung? Wollen wir überhaupt solche Verkehrsknotenpunkte? Welche Art von Aufwertung geschieht hier?

Soziale Grenzen

Kommt die U-Bahn am Matzleinsdorfer Platz allen zugute? Natürlich nicht. Mit Verweis auf den Linienwall möchte man sagen „nein“, genauso wenig wie die damalige Grenze und die damit verbundene absolutistische Stadterweiterung und Steuergesetzgebung allen zugutekam, sondern drastische Einschnitte wie Verteuerungen für das Alltagsleben der Vorstadtbevölkerung brachte. Damals wie heute gilt jedoch: bezahlt werden die Großprojekte über Steuereinnahmen. Nach derzeitigen Plänen kann man also davon ausgehen, dass hier eine soziale und räumliche Grenze eher bestärkt und nicht aufgelöst wird.

Im Verkehrsbauwerk der ÖBB sind die Mieter – wie das kleine Café am Eck – bereits verschwunden. Nach dem Umbau soll ein kapitalstärkerer Mieter („Nahversorger“) einziehen. Die U-Bahn wird in der Umgebung die Wohnungsmieten steigen lassen. Die Kleingartensiedlung auf „Baufeld1“ wird nach aktuellem Stand geschliffen, weitere Pächter wahrscheinlich abgesiedelt. Die Bäume und der dortige Bewuchs werden verschwinden, und mit einem öffentlich zugänglichen „Aktivpark“ zwischen Hochhäusern und Wohnbauten ersetzt. Auf Baufeld 1A plant der Investor „Rainer Gruppe“ eine dichte Verbauung mit 35 Meter hohen Wohnbauten und gewerblicher Nutzung, obwohl dieser ehemalige städtische Platz eine recht aktuelle Flächenwidmung hat, in welcher Wohnbau explizit untersagt und eine Bauhöhe von nur 12 Metern vorgeschrieben ist.

Ist das Glück, Zufall oder doch ein gängiges Muster in der Stadtentwicklung? Grundstücke werden der Allgemeinheit entzogen, billig verkauft und dann durch öffentliche Infrastrukturen im Wert in die Höhe getrieben. Die Investoren haben gute Kanäle zur Politik, finden dort offene Ohren und erhalten Flächenwidmungen mit viel zu geringen Auflagen. Man spricht anscheinend die selbe Sprache.
Wenn die Flächenwidmung als gemischtes Bauland in einigen Jahren durch den Gemeinderat geht, dann wird der größte direkte Profiteur von der neuen U-Bahn am Matzleinsdorfer Platz ein Investor sein, der mit Autohandel zu Reichtum gelangt ist und am Gürtel mit dem Slogan „Hauptsache Auto“ wirbt.

Keine Fachkonzepte?

Es existieren Fachkonzepte für Verkehr, für Hochhausbauten oder für Partizipation. In all diesen Papieren sind teilweise progressive und weitreichende Ziele und Vorgaben enthalten – die sich in diesem Stadtplanungsprozess bislang kaum wiederfinden. Bezeichnend ist auch, dass die Leitlinien in der Stadtentwicklungskommission anscheinend diskussionslos beschlossen wurden.

Man kann nur hoffen, dass die Vorgaben im Zuge der Entwicklung des städtebaulichen Leitbildes deutlich nachgeschärft werden, sonst droht ein halber Grünraum, privatrechtliche Aushöhlungen der Flächenwidmung und ein unverändert autozentrierter Verkehrsknoten. Das wird wohl kaum den „außerordentlichen Mehrwert für die Öffentlichkeit“ darstellen, der im Fachkonzept für Hochhäuser vorgegeben ist. Das gute an dem Prozess ist: Es ist noch Zeit.

http://matzleinsdorferplatz.at