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MALMOE

Nicht einmal die Hälfte von Wien hat gewählt!

Erstmals in der Geschichte der Zweiten Republik sinkt die Wahlbeteiligung der Wohnbevölkerung unter 50 Prozent. Die Politik muss endlich gegensteuern

Die Wiener Gemeinderats- und Landtagswahlen sind geschlagen. Die wahlberechtigten Wiener*innen haben entschieden, wer in den nächsten fünf Jahren ihre Interessen im Landtag und Gemeinderat vertreten wird. Jedoch: Von den 1,6 Millionen Wiener*innen im Wahlalter gaben nur 739.485 ihre Stimme ab. Das sind gerade einmal 45,8 Prozent und damit erstmals in der Zweiten Republik weniger als die Hälfte Wiens. Die volle historische Dimension geht sogar noch darüber hinaus: Noch nie seit Einführung des Frauenwahlrechts musste das Wiener Parlament seine Macht auf einer dünneren Wähler*innen-Basis legitimieren. Wie demokratisch ist das noch?

Zwei-Drittel-Demokratie Wien

Hauptgrund für diesen historischen Tiefpunkt ist nicht die Corona-Pandemie und deren möglicher Effekt auf die Wahlbeteiligung unter Wahlberechtigten. Diese lag 2020 bei 65,3 Prozent und damit nur geringfügig unter dem Schnitt der letzten fünf Wahlen. Die reale Wahlbeteiligung der Wiener Wohnbevölkerung lag jedoch deutlich unter der 50-Prozent-Marke. Hauptgrund für den Demokratieverfall ist der immer größer werdende Bevölkerungsteil, der aufgrund nicht-österreichischer Staatsbürger*innenschaft vom Wahlrecht ausgeschlossen ist. Mittlerweile haben 30 Prozent der Wiener Bevölkerung kein Wahlrecht bei der Gemeinderatswahl. Die österreichische Demokratie wäre also in der Bundeshauptstadt auch bei einer Wahlberechtigten-Beteiligung von 100 Prozent nur eine Zwei-Drittel-Demokratie.

Wien wächst, die Demokratie schrumpft

Während es heute um ein Viertel mehr Wiener*innen als 1990 gibt, ist die Zahl der Wahlberechtigten nicht mitgewachsen. Es gibt in Wien sogar weniger Wahlberechtigte als 1990, und das, obwohl 2002 das Wahlalter von 18 auf 16 Jahre gesenkt wurde. Der Anteil der Wiener*innen im Wahlalter, die aufgrund ihrer nicht-österreichischen Staatsbürger*innenschaft vom Wahlrecht ausgeschlossen werden, hat sich zwischen 1990 und 2020 verdreifacht. Diese Entwicklung ist kein Wien-Spezifikum. Auch österreichweit hat sich der Anteil der Nicht-Wahlberechtigten in den letzten dreißig Jahren verdreifacht (von 5,0 auf 16,3 Prozent).

Drei Faktoren hatten bzw. haben einen maßgeblichen Einfluss auf diese Entwicklung. Da wären erstens die Migrationsbewegungen in den vergangenen Jahrzehnten, zweitens die strikte Koppelung von Wahlrecht und Staatsbürger*innenschaft und drittens vor allem die sozial ausgrenzenden Hürden zur Erlangung der österreichischen Staatsbürger*innenschaft. Wer zu wenig verdient oder eine zu niedrige Pension bezieht, bleibt in Österreich dauerhaft von der Staatsbürger*innenschaft und somit auch vom Wahlrecht ausgeschlossen. Das führt dazu, dass vor allem in einkommensschwachen Wiener Bezirken die demokratiepolitische Lage äußerst brisant ist. Im ärmsten Bezirk Österreichs, Rudolfsheim-Fünfhaus, sind 42 Prozent der dort lebenden Menschen nicht wahlberechtigt.

Politik muss handeln

In Wien sind wir jetzt also in der Situation, dass weniger als die Hälfte der Stadt bestimmt, wer sie regiert. Damit ist eine kritische Grenze unterschritten. Die stetig wachsende Kluft zwischen Wohnbevölkerung und Wahlberechtigten ist gefährlich. Sie nimmt den Menschen die Zugehörigkeit zur Demokratie und der Demokratie den Rückhalt der Menschen. Die Politik ist angehalten hier rasch gegenzusteuern, damit der Trend der schrumpfenden Wahlbeteiligung durchbrochen werden kann. Dafür braucht es neben einer substanziellen Senkung der Einbürgerungshürden auch erweiterte Möglichkeiten für Doppelstaatsbürgerschaften und einen bedingungslosen Rechtsanspruch auf Einbürgerung für hier geborene oder lange hier lebende Menschen, damit bei der nächsten Wienwahl wieder mehr als die Hälfte der Wohnbevölkerung zur Wahlurne geht.

Die Autor*innen arbeiten bei der Menschenrechtsorganisation SOS Mitmensch, die mit der Pass Egal Wahl auf die wachsende Demokratiekluft in Österreich und insbesondere in Wien hinweist.