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MALMOE

Filmvermittlung im Lockdown?

Ästhetische Bildung in Covid-19 Zeiten

Wie geht es dem Film in Zeiten von Covid? Was für Erfahrungen werden aus dem Lockdown für die Vermittlung bleiben? Diese und andere Fragen besprachen wir mit Alejandro Bachmann. Er war lange Zeit für das Österreichische Filmmuseum tätig und arbeitet jetzt freiberuflich in der Vermittlung. Er gestaltet Seminare für Kinder, Jugendliche und Erwachsene, wie etwa die Lecture „Kino als politischer Raum“ oder die Summerschool im Filmmuseum.

MALMOE: Die Kinos sind zu. Filmische Erfahrung haben wir hauptsächlich vor Fernseher und Computer. Aber Vermittlung beginn, wenn wir über das gemeinsam Wahrgenommene ins Gespräch kommen. Das ist gerade höchstens in einem privaten Kontext möglich. Wie nimmst du die derzeitige Situation wahr und wie geht es dir als Kulturarbeiter, der in der Vermittlung tätig ist?

Alejandro Bachmann: In Bezug auf die Vermittlung war, oder ist, Covid erstmal eine interessante Erfahrung, weil es den Blick schärft, was man mit Vermittlung eigentlich meint. Vermittlung von Film, oder jeder anderen Kunstform, ist nämlich weniger die Vermittlung von Wissen – über Genres, Theorien, filmische Mittel – als vielmehr das Herstellen eines Erfahrungsraums. Und dieser Erfahrungsraum ist eben ein realer, physischer, und, am besten, ein Kino.

Es geht also um zwei Punkte: die Erfahrung der Bilder und Töne in einem möglichst idealen Setting und die Erfahrung des gemeinsamen Sehens und Austauschens in einer geteilten Zeit und einem geteilten Raum. Ich habe Filmvermittlung in den letzten Jahren im Grunde schon so praktiziert, aber Covid hat mir selbst nochmal bewusst gemacht, wie wichtig mir dieses Teilen und die Gemeinschaft ist.

Abgesehen von ökonomischen Faktoren, dem Wegfall von Seminaren und damit Honoraren, drehte sich für mich sehr viel um diese Fragen. Aus dieser Perspektive sind Vermittler*innen dann nicht nur Menschen, die Seminare anbieten, sondern Menschen, die eben auch Kinobetreiber*innen, Festivalleiter*innen, allen möglichen Leuten kollektive Erfahrungsräume für den Film gestalten und eröffnen. Vor einem solchen Hintergrund kann man gut sehen, wie unterschiedlich verschiedene Akteur*innen der Filmkultur ihre Funktion begreifen. Wenn Festivals ihr ganzes Programm online zeigen, dabei aber nur noch in Nebensätzen artikulieren, dass man natürlich geknickt sei, weil es nicht real im Kino stattfinden konnte, um dann mit neuen Reichweiten und Vermarktungsketten die Krise zum Erfolg zu machen, wundert mich die Krise des Kinos nicht wirklich. Da scheint es eher darum zu gehen, sich als gute Manager*in zu positionieren. Wofür genau man kuratorisch steht, ist sekundär.

Die Unterscheidung von Wissen als Information (Genre, Titel, Jahre etc.) und Wissen als Erfahrungsraum sehe ich als eine wichtige Differenzierung im Vermittlungskontext. Und davon ausgehend ist Covid als ein Bruch zu verstehen, der uns dazu zwingt, mit einer neuen Situation umzugehen. Das erinnert mich an Hannah Arendts Ausspruch „To Stop and Think – nicht über sich selbst, sondern über das was man tut.“ Dass das aber gerade nicht passiert, prangerst du in einem gemeinsam mit den Diagonale-Leitern Sebastian Höglinger und Peter Schernhuber verfassten Artikel an. Ihr seht die Gefahr, dass eben nicht nachgedacht wird, sondern der immaterielle Wert von Vermittlung in physischen Räumen ignoriert und maßgeblich durch quantifizierbare Faktoren, wie Klicks und Shares, wegrationalisiert wird. Auf erschreckende Weise nähern sich Kapitalisierungslogiken und Informationslogiken an: Es geht um Messbarkeit und die Abrufbarkeit von Datensätzen, sei es in Form von Multiple-Choice-Tests oder in Jahresabschlussberichten. Vermittlung, die dort ansetzt, wo der Film gelaufen ist, kann so gar nicht als quantifizierbare Wert erfasst werden. Was sind deine Gedanken zu den Möglichkeiten, Vermittlung als ein Format zu begreifen, das sich jenseits von Verwertungs- und ohne einen permanenten Legitimierungszwang bewegen kann?

Vermittlung, wie ich und viele andere Vermittler*innen und Kurator*innen sie begreifen, ist genau das: eine Erfahrung, die man gemacht haben muss, und nicht ein Wissen, das man runterbeten kann. Vor dem Problem stehen etwa Filmfestivals. Üblicherweise konnten sie zurückblicken und von einer Erfahrung sprechen, die alle gemeinsam gemacht haben. Garniert haben sie das mit Zuschauerzahlen, die ganz magisch jedes Jahr gewachsen sind. Ich verstehe und akzeptiere dies ja auch. Ich kann nachvollziehen, dass man Sponsoren irgendwie klarmachen muss, dass das Geld gut angelegt ist und das bedeutet für sie: Die Werbung hat viele Leute erreicht.

Das Traurige ist jetzt aber, dass viele Festivals den Moment der Krise nicht genutzt haben, um darauf zu verweisen, was nicht stattfinden konnte. Stattdessen wurde diesen Logiken nur noch leidenschaftlicher beigegeben. Tatsache ist, dass nur ganz wenige Festivals sich die Mühe gemacht haben, genauer zu beschreiben, was das ist, was uns da abhandengekommen ist. Das bedeutet für mich zweierlei: Zum einen haben sie wohl zu wenig Verständnis davon, was sie als Festival an Erfahrung bereitstellen; und zum anderen, dass sie schon selbst nur noch in Zahlen denken. Wir haben das in unserem Text angedeutet und Heide Schlüppmann hat es ein wenig später noch deutlicher formuliert: „Zeigen sie mit ihren Programmen digitale ‚Präsenz‘, so überspielen sie die Möglichkeit das Fehlende zu spüren, die Sehnsucht wachsen zu lassen und dem, zumindest zur Zeit, Verlorenen nachzudenken.“ Vermittlung wird vor diesem Hintergrund noch mehr zu einer politischen Frage: Es geht nicht nur um die Annäherung an eine Kunstform und sein Medium, um ästhetische Potenziale und um ein Denken, das in dem Medium möglich ist. Es geht auch darum, ein anderes Verständnis von und eine andere Auseinandersetzung mit Kunst quasi mit zu vermitteln. Das kann passieren, wenn man nach einem Film über einen Film spricht. Es kann in einem Text sichtbar gemacht werden und in der Art und Weise, wie man ein Festival denkt und dann tatsächlich kuratiert.

Wer einfach alles 1:1 vom Analogen ins Digitale übersetzt und anschließend seine Klickzahlen abfeiert, arbeitet aber an einer anderen Politik ganz fleißig mit. To be sure: Es geht mir nicht darum, dass das Digitale per se keine Form ist, in der Film gezeigt oder vermittelt werden kann. Es geht mir eher um den sprachlichen Rahmen, mit dem das Abwandern völlig unterkomplex und ohne viel Reflexion als Erfolg gefeiert wird.

Siehst du die Möglichkeit, dass Vermittlungsformate nach den Covid-bedingten Einschränkungen gestärkt auftreten und mehr gefördert werden – Krise hier als Realisierungschance? Oder ist der angerichtete Schaden irreparabel und wir müssen uns auf eine Zukunft einstellen, in der die Möglichkeiten von Räumen, in denen politischen Fragen verhandelt werden können, noch kleiner werden?

Wie genau sich diese Dinge entwickeln werden, kann ich nicht einschätzen. Zugespitzt festhalten würde ich, dass es zwei Umgangsweisen mit der neuen Situation gab: eine, die sich den Gegebenheiten reibungslos anpasst und weiter an der Optimierung von Reichweiten, Maximierung von Zuschauerzahlen etc. arbeitet; und eine andere, die umso mehr darauf beharrt, dass nicht alles eben mal so ins Digitale übersetzbar ist. Natürlich gibt es da viele Abstufungen und viele Beispiele, etwa Festivals, die zwar online gegangen sind, aber das sehr überlegt und ohne groß verkaufte Erfolgsstory getan haben. In der Debatte um die Sache wurde das aber schnell als einfache Gegenüberstellung gedacht. Dem Artikel von Sebastian Höglinger, Peter Schernhuber und mir wurde sogar vom Leiter der Kurzfilmtage Oberhausen ein „Diskurs der Eigentlichkeit“ vorgeworfen. Das gibt einem ein gutes Bild davon, wie bedrohlich schon nur das Hinterfragen der Digitalitäts-Begeisterung aufgefasst wird. Für die Filmvermittlung bedeutet das vermutlich eine Zuspitzung jener Situation, in der sie sich ohnehin schon befand: Kann Filmvermittlung auf digitalen Plattformen entlang der Idee eines Kompetenzerwerbs als Zur-Verfügung-Stellen säuberlich portionierter Einheiten medienanalytischer Begriffe stattfinden? Oder geht es um Erfahrung, persönliche Auseinandersetzung und spezifische Orte des Films? Ich bin durchaus optimistisch, dass einzelne Institutionen an einer nicht ganz so marktorientierten Vorstellung von Filmvermittlung festhalten werden. In der Breite wird sich aber vermutlich „Bildung als Kompetenzerwerb“ durchsetzen. Aber Filmvermittlungsprogramme wie jene des Österreichischen Filmmuseums oder des Deutschen Filminstitut & Filmmuseum (DFF) werden ganz sicher weiter daran arbeiten, die die Erfahrung, die Reibung, das Gemeinschaftliche ins Zentrum rückt. In den letzten Monaten habe ich in einer Gruppe des Hauptverbands der Cinephilie (HVC) mitgearbeitet, die nun ein Positionspapier zur Filmbildung verfasst hat. Es argumentiert stark für die gesellschaftliche Relevanz des Ortes Kinos und plädiert dafür, Vermittlung als einen zentralen Teil der Politiken um das Kino im Allgemeinen zu denken. Es gibt also nicht wenige, die weiter für so eine Idee von Vermittlung eintreten.

Was für Möglichkeiten siehst du in Formen von digitaler Filmvermittlung?

Wie fast alle anderen muss ich selbst erstmal herausfinden, was genau das ist. Natürlich habe ich mittlerweile schon einige Formate online durchgeführt und kann bisher zwei Dinge für mich feststellen: Ich bin erstmal nur froh, wenn es überhaupt funktioniert, dass Teilnehmer*innen eines Kurses irgendwie ein bisschen das Gefühl bekommen, in etwas eingebunden zu sein – in einen Prozess, eine Erfahrung, einen Austausch, eine Begegnung, eine Reibung. Zudem muss ich zum jetzigen Zeitpunkt sagen, dass mir nicht klar wäre, worin die Vorteile einer Vermittlung via Zoom oder dergleichen im Vergleich zum Kino liegen könnten. In einer Lecture, die ich regelmäßig für 15-Jährige mache, mit dem Titel „Das Kino als politischer Raum“, arbeiten wir in zwei Stunden heraus, worin das Spezifische des Kinoraumes liegen könnte. Das liegt einerseits in seiner architektonischen Form begründet, es hat aber auch mit dem Verhältnis zu tun, das der Raum zur Welt außerhalb einnimmt – und dass das vor allem eine spürbare Differenz beinhaltet. Darin liegt sein Potenzial für die ästhetische Bildung. Das Vermitteln via Screen scheint mir dieses Potenzial zurzeit kaum zu besitzen. Auf den Bildschirm blicken, mit mehreren Browserfenstern hantieren, der Aufenthalt in den privaten Räumen – diese Rahmung einer Vermittlungssituation fühlt sich nach einer Verlängerung jener Lebens- und Arbeitsweisen an, in denen wir ohnehin existieren. Der Ort einer Vermittlung müsste dem etwas entgegensetzen.