MALMOE

Fünf Jahre prekär und jetzt weg

Mit der endgültigen Schließung des Notquartiers Apollogasse, einer Notschlafstelle für obdachlose Männer unweit des Westbahnhofs, macht eine der letzten zentrumsnahen Unterbringungsmöglichkeiten für Betroffene dicht.

Prozesse von Verdrängung und Unsichtbarmachung definieren das Stadtbild Wiens zunehmend. Mit dem aktuellen Winterpaket der Stadt Wien für wohnungslose Menschen wird das Notquartier (NQ) Apollogasse nach fünf Jahren nicht mehr seine Pforten öffnen. Auf dem Gelände des 2017 stillgelegten Sophienspitals soll mit 2024 das Wohnquartier Sophie 7 fertiggestellt werden. An diesem Vorgang lassen sich einige stadtpolitische Entwicklungen Wiens nachzeichnen.

Großer Verlust für Betroffene

Das ehemalige Sophienspital beherbergte eine Notschlafstelle für insgesamt 120 obdachlose Männer, betrieben vom Wiener Roten Kreuz. Die Entscheidung für die Bebauung und Umstrukturierung des Geländes wurde im September mit dem Ende eines Bauträgerwettbewerbs besiegelt. Anfang 2022 soll dann zu bauen begonnen werden.

Für die Wiener Wohnungslosenhilfe bedeutet das einen großen Verlust – vor allem für die von Obdachlosigkeit betroffenen Menschen. Trotz der Tatsache, dass die Unterbringung von vornherein nur als temporäre Nutzung gedacht war, trifft das endgültige Aus den Bereich hart. Unter den Obdachlosen war das NQ Apollogasse sehr begehrt. Straßensozialarbeiter*innen berichten von Menschen, die es vorziehen, bei Minusgraden auf der Straße zu schlafen, als in ein anderes NQ zu gehen. Denn das ehemalige Sophienspital bot gute bauliche Voraussetzungen zur Nutzung als Notschlafstelle: geräumige Mehrbettzimmer mit mehreren Sanitäranlagen, großläufige Gänge sowie ausreichend Aufenthaltsräume und Rückzugsmöglichkeiten – ein relativer „Luxus“ im Vergleich zu anderen Obdachloseneinrichtungen. Diese Bedingungen wirken auch präventiv gegen Platznot und Privatsphärenmangel. Das kann immerhin ein bisschen mildernd sein für Menschen, die sowieso permanent mit dem psychischen Stress von Armut, Unsicherheit und Traumabewältigung leben müssen. Zudem war es das einzige NQ, das barrierefrei und für Hunde zugänglich war und allein deswegen für viele Klienten die einzige Option darstellte. Besonders wichtig ist auch die zentrale Lage am Westbahnhof. Gürtel und Mariahilfer Straße gelten für viele obdachlose Menschen als wichtige soziale Räume, in denen sie sich aufhalten und ihre Netzwerke haben. Nicht zuletzt die Großstadt verschaffte den Betroffenen ein bisschen Anonymität, in der sie nicht permanent stigmatisierend markiert werden. Deshalb ist es umso wichtiger, wenn Einrichtungen und ihre Angebote an das soziale Umfeld im Stadtzentrum anknüpfen. Mit dem endgültigen Ende des NQ Apollogasse fällt all das mit einem Schlag weg.

Klientelaustausch im Grätzl

Das abgesegnete Projekt wird das Klientel austauschen. Zu beobachten ist das bereits jetzt: Die Zwischennutzungspolitik wird von einer Agentur namens Art Phalanx betrieben, die auch schon den Sechs-Personen-Pool am Gürtel vermarktungstechnisch begleitet hat. Ein Blick auf die Homepage verrät den Einschlag der Richtung: Das Projekt „West“ soll einen Raum für Begegnungen schaffen, die um die Themen Urbanität, Kreativität und Ökologie kreisen. Inhaltlicher Schwerpunkt ist alternative Kreislaufwirtschaft in der Modebranche – weil: „Modebezirk“ Neubau! Somit findet wöchentlich ein Vintage-Flohmarkt statt und es wird dazu eingeladen, über „kreative Alternativen“ zu „Fast Fashion“ nachzudenken. Das neue Klientel, das darüber angesprochen werden soll, kommt sowohl aus dem kreativ-urbanen Prekariat und mischt sich mit einem „weltoffen“-neoliberalen Milieu. Diese Klientelpolitik passt bestens zu den Grünen, die im Bezirk Neubau fest verankert sind. Plakativer und zynischer kann man diesen Austausch nicht beschreiben. Den Sommer über standen die Bewohner des Notquartiers dem Treiben der Schickeria mit Neugierde gegenüber, zumal sie durch die Zwischennutzung erstmalig selbst die Parkanlage nutzen durften. Doch wer letzten Endes gehen muss und wer bleiben darf, liegt im Interesse der politischen und wirtschaftlichen Profiteur_innen und richtet sich an den Bedürfnissen eines Ober-und Mittelklassemilieus aus. Die ehemaligen Nutzer – die Obdachlosen – passen leider nicht in das Konzept der „Urbanen Oase“.

Gentrifizierung heißt das Spiel

Die Vermarktung von Raum zeichnet sich in Wien durch eine von oben koordinierte Zwischennutzungspolitik aus. Waren Gentrifizierungsprozesse in westlichen Metropolen lange dadurch gekennzeichnet, dass Studierende und Kunstschaffende in eine vernachlässigte und damit günstige Nachbarschaft zogen und die Gegend durch ihr kulturelles Kapital für Investoren attraktiver machten, so sind diese Prozesse in Wien mittlerweile stärker orchestriert und von der Stadt selbst gesteuert. Die Venue Nordbahnhalle im 2. Gemeindebezirk ist ein Bilderbuchbeispiel dieser Dynamik. Die Grün-SPÖ-geführte Stadt kann sich mit der (befristeten) Vergabe von („Frei-“)Räumen für Kunst- und Kulturprojekte brüsten und so Imagepflege betreiben. Zwischennutzungsverträge werden aufgesetzt – längere und nachhaltige Strukturen können sich darüber aber nie wirklich etablieren. Auch nachbarschaftlichen Kulturinitiativen, die sich für den Erhalt des gemeinschaftlichen Raumes gegründet und organisiert haben, werden nicht als innovatives Raumnutzungsprojekt begrüßt, sondern im Gegenteil, ihnen werden Steine in den Weg gelegt und sie werden schließlich oft aufgelöst. Über solch ein Zwischennutzungskonzept kann sich nur eine oberflächliche Beziehung zwischen Ort und Grätzl herausbilden, das Verbindungsglied ist dabei nicht zwischenmenschliche Beziehung, Austausch und Freundschaft, sondern Geld.

Offensive Vermarktungsstrategien der Stadt

Die Zwischennutzung des „Sophienparks“ bereitet den Weg für den Wohnkomplex „Sophie 7“, der insgesamt 160 Wohneinheiten bereitstellen soll – wie sie verteilt werden, bleibt unklar. Großspurig wird angekündigt, es gehe um 100-prozentig geförderten Wohnbau inkl. Housing-First-Wohnungen und besondere Einheiten für Senior_innen. Wie das allerdings genau aussieht, wird nirgends näher erläutert. Doch ist anzumerken, dass geförderter Wohnbau keine Garantie dafür ist, Armut zu bekämpfen. Ganz im Gegenteil stehen die Zugangsbeschränkungen scharf in der Kritik, da sie mit ihren Voraussetzungen besonders ausgegrenzte Personengruppen gar nicht erreichen.

Die offensive Vermarktung des neuen Quartierareals propagiert eine neue Lebensqualität. Die Verbindung zwischen öffentlichem Raum, sozialem Wohnbau und staatlichen Einrichtungen wie Volksschule und Kindergarten werden ergänzt um Shops, Cafés, Pop-up-Stores und Co-Working-Spaces. Es werden also unternehmerische genauso wie konsumistische Flächen mit eingebunden und so öffentlicher Raum kommerzialisiert. Das Zusammenspiel aus Wirtschafts- und Stadt-/Sozialpolitik soll Investitionen und Kapital anziehen.

Diese Umgestaltung lässt sich in einen längerfristigen Transformationsprozess rund um den Gürtel am Westbahnhof beobachten. Die abnehmende Bedeutung des Westbahnhofs öffnet Tore für privatwirtschaftliche Investitionen. Die Ankündigung einer IKEA-City-Zentrale an der Äußeren Mariahilfer Straße wurde mit offenen Armen begrüßt. Die Aufwertung soll auch in den 15. Bezirk expandieren und dazu wird eine Strategie der Verbindung vom 7. in den 15. verfolgt, was sich gut an dem Gürtelpool-Projekt erkennen lässt. Diese Aufwertungsstrategie ist eng verzahnt mit den Sicherheitspolitiken am Gürtel, der bereits seit Jahrzehnten im Fokus der Repressionsbehörden ist. Mit Racial Profiling und Kriminalisierungsmethoden soll am Gürtel aufgeräumt werden. Mit der Kommerzialisierung und kulturellen Aufwertung des Gürtels wird sich die soziale Landschaft weiter massiv verändern. Menschen am Rande der Gesellschaft werden immer weiter an den Rand der Stadt verdrängt.

Prekäre NQs im Stadtzentrum – auch keine Lösung

Obwohl mit der Schließung des NQ Apollogasse die Förderlandschaft um eine sehr wichtige Ressource beschnitten wird, darf nicht vergessen werden, dass mit der Etablierung des Winterpakets (Start heuer 28.10.) sich in Wien eine prekäre und punktuelle Förderlandschaft herausgebildet und institutionalisiert hat. Jedes Jahr werden prekäre Arbeitsplätze von strukturell-strategisch unterbesetzten Stellen zu schlechten und sogar gefährlichen Arbeitsbedingungen geschaffen, wie die Initiative Sommerpaket kontinuierlich transparent macht. Die punktuelle Hilfe der Stadt erhält ein System von Elendsverwaltung aufrecht. Für Betroffene wird, wie die FH Campus Wien-Lehrenden Manuela Hofer und Marc Diebäcker festhalten, genau so viel getan, dass Obdachlose nicht den Kältetod sterben, denn das würde dem Bild eines scheinbar funktionierenden Sozialstaates widersprechen. Und trotzdem ist die Reduktion von NQs in Zentrumsnähe ein herber Verlust, auch wenn es natürlich keine Forderung sein kann, prekäre Notquartiere im Stadtzentrum zu eröffnen, nein, dem Problem muss auf breiterer transeuropäischer politischer Ebene begegnet werden – und das heißt erst einmal, Wohnraum nicht als Spekulationsobjekt zu sehen.