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MALMOE

Im Keller des Horkheimer’schen Wolkenkratzers

Zoonotisches aus dem Seuchen-Tagebuch von Sylvia Köchl-Bartu

Das erste Youtube-Video, das ich mit dem Suchbegriff „Corona“ Anfang März in einer damals noch überschaubaren Liste gefunden habe, ist die wütende My Sharona-Parodie eines hawaiianischen Skaters, in der er sich bei den Einwohner_innen von Wuhan dafür „bedankt“, dass sie „snakes and bats for lunch“ essen.

Die virale Zoonose

Bei der Suche nach dem „Schuldigen“ für jene Zoonose, also Tier-zu-Mensch-Übertragung eines Virus, die sich jetzt zur Corona-Pandemie verdichtet hat, spielen Schlangen aber keine Rolle. Und Fledertiere sollten gut durchgekocht eigentlich auch kein Problem sein – obwohl sie Wirtstiere für sehr viele gefährliche Viren sind.

Wer also hat sich bei den Fledermäusen angesteckt und als Zwischenwirt fungiert? Der beinahe ausgerottete Pangolin, dessen Schuppen gegen alle möglichen Krankheiten helfen sollen und dessen sehr teures Fleisch mit Vorliebe in den Kochtöpfen chinesischer und vietnamesischer Wohlhabender landet? Oder die bei Spezialitätenrestaurants und Gourmets in China und anderen Ländern Asiens ebenso beliebten Schleichkatzen, die schon für die Sars-Pandemie 2003 verantwortlich gemacht worden sind?

Der Wildtiermarkt in Wuhan wurde nun vorläufig geschlossen, allerdings gehört der Wildtierhandel weltweit zu den einträglichsten Sparten, speziell, wenn er illegal und international betrieben wird.

Die häusliche Zoonose

Kann ich mich bei meinem Hund oder meiner Katze anstecken?, fragten sich jene besorgten Österreicher_innen, die einen eher kuscheligen Lockdown erlebten. Wie gesund es schon vor der Pandemie war, sich von einem Hund das Gesicht ablecken zu lassen, seit dahingestellt – aber was das Sars-CoV-2-Virus betrifft, gilt Entwarnung: Einzelne bisher positiv getestete Hunde und Katzen wurden von ihren Menschen angesteckt.

Die wilde Zoonose

Erobern sich die Wildtiere jetzt „menschliches Terrain“ zurück? Sichtungen von Delfinen in den plötzlich wieder Kreuzfahrtschiff-freien venezianischen Kanälen waren wohl eher hoffnungsvolle Imaginationen, aber rund um den Bosporus hat ihre Zahl tatsächlich deutlich zugenommen. Und in thailändischen Städten treten vermehrt marodierende Affenbanden auf, die es gewohnt waren, von Tourist_innen gefüttert zu werden. Auch in Österreich wurde Anfang Juni klar, dass sich die Wildtiere an den Autobahnen schon an neue Freiheiten gewöhnt hatten und dafür in hoher Zahl überfahren werden.

Gorillas, Orang-Utans, Bonobos und Schimpansen wiederum, so hieß es Mitte April, sollten vor dem Kontakt mit Menschen geschützt werden, da sie sich mit Coronaviren anstecken können. Der gebotene Social-Distancing-Abstand beträgt zehn Meter.

Meeresgebiete, die sowieso unter der industriellen Überfischung leiden, wurden in den letzten Monaten regelrecht geplündert, weil wegen der Pandemie keine Kontrollen mehr stattfanden.

Ebenso „im Schatten der Pandemie“ haben sich auf der Arabischen Halbinsel enorme Heuschreckenschwärme entwickelt, die in Indien und mehreren Ländern Ostafrikas und des Mittleren Ostens gerade ganze Ernten verschlingen – und der Nachschub an Insektiziden ist aufgrund des weitgehenden Shutdowns der Handelswege ausgeblieben.

Reiche Großwildjäger_innen haben, das soll hier nicht verschwiegen werden, auch Probleme mit diesen Verkehrsbeschränkungen: Der Weg zur Beute ist versperrt! Seit Ende Mai machen sie auf ihre Lage aufmerksam und betonen dabei, dass sie ja nicht in erster Linie Adrenalinkicks und Trophäen sammeln, sondern Arbeitsplätze in Wildparks sichern.

Und schließlich hat sich die Pandemie auch auf die Zucht von Wildtieren ausgewirkt: Da wieselartige Tiere für Coronaviren anfällig sind, haben sich im Mai einige Nerze in niederländischen Pelzfarmen angesteckt – und die Infektion prompt an einige Mitarbeiter_innen zurückgegeben. Tausende Nerze wurden deshalb getötet. Was wohl aus ihren Fellen geworden ist?

Die experimentelle Zoonose

Ohne Tierexperimente kein Impfstoff und keine Behandlung. Hauptbeteiligte sind (wie schon früher) Rhesusaffen sowie die Grünen Meerkatzen, deren Nierenzellen sich besonders gut für das schnelle In-vitro-Züchten (nicht nur) des Sars-CoV-2-Virus eignen.

Im Mai wurde in Hongkong dann sogar die Wirksamkeit der einfachen OP-Masken an Tieren überprüft: In getrennten Käfigen saßen sich infizierte und gesunde Hamster gegenüber, zwischen ihnen waren Masken gespannt. Bei der Hamster-Kontrollgruppe ohne Masken infizierten sich zwei Drittel der Gesunden innerhalb einer Woche.

Die fundamentale Zoonose

1934 hat Max Horkheimer in New York einen kurzen Text geschrieben, in dem er die menschliche Gesellschaftsstruktur in Gestalt eines Wolkenkratzers skizziert und die verschiedenen globalen Klassen von oben nach unten ihren Plätzen zuordnet. Im Keller befindet sich demnach „die Tierhölle der menschlichen Gesellschaft“ und es arbeiten dort jene Menschen, die das „Fundament des Elends“ bilden.

Seit April dringt immer mehr Licht in diesen Keller und macht riesige Schlachthäuser sichtbar. Seit damals nämlich gibt es in den USA in mindestens 167 Fleischfabriken Outbreaks mit Tausenden Infizierten und Dutzenden Toten. Ob Schweine, Rinder, Schafe oder Geflügel – geschlachtet und verarbeitet werden sie vor allem von Niedriglöhner_innen aus Mexico und Mittelamerika, die schlecht versichert sind und kaum jemals Lohnfortzahlungen erhalten, wenn sie sich krankmelden. Das Infektionsrisiko ist in den „meatpacking plants“ nicht nur wegen der Arbeit in der Kälte so hoch, sondern auch wegen der enormen Geschwindigkeit, auf die die Fließbänder mit den zu verarbeitenden Tieren eingestellt sind: Sie ist so hoch, dass die Arbeiter_innen Schulter an Schulter stehen müssen, um mitzukommen. Bei dieser Schwerarbeit ist das Atmen durch MNS-Masken nicht möglich – die Arbeiter_innen keuchen gezwungenermaßen an den Masken vorbei. Und erst im September 2019 hatte US-Präsident Trump – nach Jahren intensiver Lobbyarbeit der Fleischindustrie – die bis dahin geltende gesetzliche Höchstgeschwindigkeit der Fließbänder in Schweineschlachthäusern aufgehoben.

Deutsche Schlachthöfe der Fabriksklasse wurden dann Anfang Mai zu Hotspots – zuletzt breitete sich das Virus bei Tönnies in Nordrhein-Westfalen aus. Und – wenig verwunderlich – auch der Rassismus: Covid-19 sei von rumänischen und bulgarischen Arbeiter_innen „eingeschleppt“ worden, so der zuständige Ministerpräsident Laschet (CDU) in einer ersten Reaktion. Dieser rassistische Outbreak erklärt sich sicherlich nicht nur aus der Tatsache, dass Deutschland neben den USA und Spanien zu den weltweit größten Exporteuren von Schweinefleisch gehört.

Und die Fälle in österreichischen Schlachthöfen, die Anfang Juli nach gezielten Testungen aufgedeckt wurden – auch „eingeschleppt“? Ja, wenn es nach diversen Landeshauptmännern geht, die allerorten „Einschleppungen vom Balkan“ sehen …

Lesetipp! Caravan von Marina Lewycka – speziell der Abschnitt ab Seite 151 der dtv-Taschenbuchausgabe, wenn Tomasz, Jola und Marta vorübergehend in einer englischen Hühner-Großschlachterei arbeiten.

Die fiktive Zoonose

Die gute Nachricht zum Schluss! Seit Ausbruch der Pandemie sind zwei neue Tierarten entstanden: die „Corona-Ente“ und der „rüssellose Babyelefant“.

Die scheue „Corona-Ente“ wurde hierzulande zwar erst selten gesichtet, es gibt sie aber! Zum Beispiel als „Beacon“, der anstelle der „Stopp Corona“-App den zwei Millionen Smartphone-losen Österreicher_innen seit Ende April versprochen wird.

Und laut österreichischer Regierung soll hierzulande ja eine „Babyelefantenlänge“ Abstand zueinander gehalten werden. Für diese lebensnahe Empfehlung wurde eine Werbeagentur engagiert, die neben dem Babyelefanten noch eine Riesenschildkröte und einen Besenstiel vorgeschlagen hatte. Blöd ist: Die Ein-Meter-Rechnung geht nur auf, wenn das süße Elefäntchen keinen Rüssel hat.