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MALMOE

„Können Forschung nicht mal eben zu einem Paper verwursten“

Madita Standke-Erdmann ist wissenschaftliche Mitarbeiterin (PraeDoc) im Projekt „Gewalt gegen geflüchtete Frauen“ am Institut für Politikwissenschaft der Universität Wien. Zusammen mit Kolleg*innen hat sie einen offenen Brief zur Situation von Nachwuchsforscher*innen verfasst, in dem sie akute sowie strukturelle Missstände für akademisches Personal kritisiert.

MALMOE: In eurem Brief weist ihr auf die prekäre Situation von wissenschaftlichem Nachwuchspersonal im Angesicht der Corona-Krise hin. Was sind die konkreten Probleme, die Jungwissenschafter*innen betreffen?

Madita Standke-Erdmann: Jungwissenschafter*innen haben in Diskussionen rund um Wissenschaft keinen Platz. Es geht nie um uns. Das Bild des Parade-Wissenschafters ist das eines weißen Mannes mittleren Alters, der keine Betreuungspflichten hat, der durch einen unbefristeten Vertrag abgesichert ist und sich in seine Forschung stürzen kann. Das ist für uns nicht Realität! Viele haben kein gut ausgestattetes Homeoffice, haben nicht jedes teure Buch gekauft, sondern leihen es aus einer Bibliothek aus. Es wird aber trotzdem erwartet, dass wir unsere Produktivität aufrechterhalten und neben der Lehre auch die Forschung einfach online fortsetzen. In den ersten Forschungsjahren ist man erst dabei, Daten zu sammeln und kann nicht mal eben bereits durchgeführte Forschung zu einem neuen Paper verwursten. Wenn wir jetzt Zeit verlieren, egal ob wegen geschlossener Archive oder weil Forschungsaufenthalte nicht möglich sind, können wir das nicht mehr aufholen. Das ist nicht zuletzt unseren befristeten Verträgen geschuldet, welche nur zeitlich, aber nicht finanziell verlängert werden können. Bei einer von der Universität finanzierten Stelle ist das ähnlich unflexibel gestaltet wie bei Drittmittelstellen, bei denen die Verantwortung und Entscheidungsmacht jedoch bei unterschiedlichen Akteur*innen liegt. Wenn unsere Lebenswirklichkeiten ausgeblendet werden, gibt es auch keine Maßnahmen, die auf uns zugeschnitten sind.

Welche bestehenden Missstände macht die Krise nun besonders sichtbar?

Strukturelle Ungleichheiten sind nicht erst mit Corona entstanden. Die befristeten Anstellungsverhältnisse und Kettenvertragsregelungen sind bedenklich, weil sie Forscher*innen nicht genug absichern. Wenn wir am Ende unserer Verträge unsere Dissertationen nicht fertig haben, ist das unser Problem. Sämtliche Infrastruktur steht uns dann schlagartig nicht mehr zur Verfügung, sei es Arbeitsplatz, Softwarelizenz oder Reisekostenzuschüsse für Konferenzteilnahmen.
Was auch deutlich geworden ist: Personen mit Betreuungspflichten sind überhaupt nicht am Radar der Uni. Das betrifft vor allem Frauen. Wie soll jemand forschen und lehren, wenn Kinder in der Wohnung rumturnen? An Videokonferenzen mit Studierenden ist oft gar nicht zu denken. Die zahlreichen Telefonate mit Personalabteilung und Betriebsrat zur Genehmigung von Sonderurlaub mussten die Betroffenen meist selber führen. Es hätte von Anfang an mitbedacht werden müssen, dass das Abhalten der Lehre einfach nicht möglich sein wird.

Ihr fordert einen Krisenfonds für Wissenschaft und Hochschulen. Wie genau soll dieser aussehen? Was braucht es abseits davon noch, um die Lage zu verbessern?

Hier stellt sich die Frage, wie viel Geld die Politik bereit ist in die Hand zu nehmen, welchen gesellschaftlichen Stellenwert Wissenschaft haben soll. Um die verlorene Zeit zumindest teilweise auszugleichen, müssen Verträge verlängert werden – allerdings dezidiert nicht kostenneutral und ohne Einschränkung bezüglich Auslaufdatums des Vertrags. Auch wenn das einem Forschungsprojekt zwar mehr Zeit verschafft, ohne zusätzliche Mittel für Gehälter etc. ist das nur eine weitere Prekariatsspirale. Die Möglichkeit auf Verlängerung der Arbeitsverhältnisse, die inzwischen geschaffen wurde, darf es nicht nur für Einzelfälle geben, denn das geht an den Problemen vorbei, die wir im offenen Brief schildern. Drittmittelprojekte sind auf Personalkosten angewiesen, um eine Projektverlängerung zu ermöglichen. Für sie sind diese Maßnahmen ein Tropfen auf dem heißen Stein.
Es wäre wichtig, politische Verantwortung zu übernehmen und mit den Betroffenen zu sprechen, was denn gebraucht wird. Wir können an Lösungen mitarbeiten, wenn man uns lässt. Die Verantwortung, uns Uni-Mitarbeiter*innen die Arbeit zu ermöglichen, liegt aber bei der Politik und unseren Arbeitgeber*innen.

Was hat sich für dich persönlich durch die Pandemie und die Maßnahmen an deiner Arbeit verändert?

Erstmal hat sich natürlich der Arbeitsplatz verändert. Da ich in einer WG lebe, habe ich jeden Tag im gleichen Zimmer gearbeitet, in dem ich meine Freizeit verbringe, schlafe und versuche, abzuschalten. Die Trennung von Arbeitsplatz und Privatleben fand dadurch natürlich nicht mehr statt. Die permanenten Telefonate und Jitsi-Calls sind irgendwann sehr anstrengend geworden und kosten immer noch Kraft. Der soziale Austausch am Institut fehlt mir sehr. Es hat sich schnell so angefühlt, als würde jede Person in ihrem Kämmerchen mit den eigenen Problemen sitzen und abwarten, bis die Krise ‚vorbei‘ ist. Leider kamen von der Universität sehr verspätet und nur vereinzelt Informationen zum Notbetrieb. Da ich in einem Drittmittelprojekt arbeite, wurde mir irgendwann klar, dass sich eigentlich alle Arbeitsschritte meiner Doktorarbeit nach hinten verschieben würden und dass das mit dem Ende meines Vertrags, der die Laufzeit der Arbeit sowieso nicht abgedeckt hätte, kollidieren würde. Deshalb schreiben wir im offenen Brief auch, dass viele von uns langfristig von den Folgen der Krise betroffen sein werden und das unbedingt mitbedacht werden muss.
Und dann waren die psychischen Auswirkungen auch nicht ohne. Ich habe mich in den ersten Wochen der Quarantäne ernsthaft gefragt, warum meine Forschung überhaupt noch relevant ist. Alles schien stillzustehen, nichts war mehr wichtiger als dieses Virus. Das scheint mir manchmal immer noch so zu sein. Das ist natürlich ein verzerrtes Bild. Aber es war wirklich schwierig, sich aufzuraffen und nicht permanent von dieser omnipräsenten Unruhe übermannt zu werden. Und dann zeigt diese Krise eben, wie viele Dinge eigentlich weltweit im Argen liegen. Das hat mich zusätzlich sehr beschäftigt, da ich Familie, Freund*innen und Bekannte in verschiedenen Ländern habe, die Virus und dessen Auswirkungen unterschiedlich zu spüren bekommen.
Ich glaube, dass eine Mischung aus Ohnmachtsgefühlen und Austauschbedarf letztlich zu diesem Brief geführt hat.

Der offene Brief zur Situation von Nachwuchsforscher*innen ist unter https://forms.gle/QYLPv6nYaUMXyfnw9 zu finden. Er kann von allen Uni-Mitarbeiter*innen, Studierenden und Alumni unterzeichnet werden.