MALMOE

This is being done, after all

Keinen Tag zu früh wurde Nach der Flut das Feuer von James Baldwin neu übersetzt und aufgelegt

Neben drei Romanen liegt nun der auf Deutsch lange vergriffene Essayband Nach der Flut das Feuer im Münchner dtv Verlag vor. Darin findet sich der knapp 80 Seiten lange Essay Vor dem Kreuz und ein Brief an Baldwins damals fünfzehnjährigen Neffen und Namensvetter James anlässlich des hundertsten Jahrestages der Sklavenbefreiung in den USA („Du weißt es, und ich weiß es: Dieses Land feiert hundert Jahre Freiheit hundert Jahre zu früh“). In diesem brillanten Brief aus einer Landschaft meines Geistes gibt Baldwin zunächst Einblicke in seine eigene Biographie: Man liest beispielsweise von einem einschneidenden Erlebnis in einer Kirche in Harlem, der darauffolgenden Episode als Jugendprediger und schließlich seiner Abkehr vom christlichen Glauben („…wer wirklich ein moralisches Wesen sein möchte […] muss sich zunächst von allen Verboten, Verbrechen und Heucheleien der christlichen Kirche lossagen“). Doch über diesen persönlichen Bericht hinaus, wirft Baldwin auch und vor allem einen genaueren Blick auf die USA und ihre Geschichte. „Die Schwarzen in diesem Land – dem einzigen, in dem es streng genommen und gesetzlich definiert ‚Negroes‘ gibt – lernen im Grunde von dem Augenblick an, da sie das Licht der Welt erblicken, sich selbst zu verachten“.

In erster Linie bleiben Baldwins poetische Sprache voller biblischer Anleihen und seine Fähigkeit, gleichzeitig sanft und unnachgiebig – dabei stets höchst präzise in der Formulierung – zu schreiben,    im Gedächtnis. Er führt uns so vor Augen, dass man enorm wütend sein kann, ohne zu hassen und dass es ungemein wichtig ist, sich diese Unterscheidung ein Leben lang zu bewahren. Hass, so Baldwin, führt zu Gewalt und Gewalt unweigerlich zu Erniedrigung. Einmal an diesem Punkt angelangt, ist es, laut Baldwin, bereits zu spät, denn: „Wer andere erniedrigt, erniedrigt sich selbst.“ Deshalb war es für ihn auch keine Option, sich der zu jener Zeit im Aufwind befindenden Nation of Islam um den charismatischen Elijah Muhammad anzuschließen, von dem Baldwin zum Essen eingeladen wurde, wovon er ebenfalls in Vor dem Kreuz erzählt.

Populistische Maßnahmen und Parolen waren Baldwins Sache nicht, was ihn aber nicht daran hinderte, in aller Deutlichkeit darzustellen, wo das größte Problem der Vereinigten Staaten von Amerika liegt: Die seit jeher an den Hebeln der Macht sitzenden Weißen projizieren ihren scheinbar unendlichen Selbsthass auf die von ihnen selbst konstruierten „Negroes“, bis zum heutigen Tag.

Die ersten Sklaven wurden, je nach Darstellung, 1565 beziehungsweise 1619 aus Afrika nach Amerika gebracht, also vor circa 450 beziehungsweise 400 Jahren.Vor knapp einem Monat wurde George Floyd in den USA von einem Polizisten getötet.Die beiden hier besprochenen Texte von James Baldwin wurden erstmals 1962 publiziert, also vor fast sechzig Jahren.

God gave Noah the rainbow sign,

No more water, the fire next time!“

Wer es sich leisten kann und will, dem sei zusätzlich The Fire Next Time aus dem Taschen Verlag (2019) empfohlen, der Baldwins Texte (im englischen Original) mittels Steve Schapiros beeindruckenden Schwarz-Weiß-Fotografien in den historischen Kontext stellt (Bombingham, Marsch auf Washington).

Und wer sich eingehender mit dem Leben und Werk des Autors beschäftigen will, kommt außerdem nicht ohne den Film I am not your Negro (2016) aus, in dem der Regisseur Raoul Peck mit Hilfe eines unvollendeten Manuskripts James Baldwins den tief verwurzelten Rassismus in der US-amerikanischen Gesellschaft aufzeigt.

James Baldwin (2019): Nach der Flut das Feuer, dtv, München. Natürlich erhältlich in der Buchhandlung im Stuwerviertel, Stuwerstraße 42, 1020 Wien.