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MALMOE

Der Akku muss ­immer voll sein

Ich heiße Karina und arbeite als Betreuung für ältere Leute, weil ich ein gutes Herz und viel zu viel Geduld habe. Zu meiner jetzigen Patientin bin ich wegen eines Unfalls der vorigen Betreuerin gekommen. Das war ganz spontan und ein Glück für mich. Mein Chef hat angerufen und gefragt: „Karina, kannst du helfen?“ Vier Stunden später war mein Koffer gepackt und ich bin nach Österreich gekommen. Wenn ich etwas Gutes für andere tun kann, komme ich, weil es das Richtige ist. Ich bin hergekommen, um zu schauen, ob es geht, erst einen, dann noch einen Monat und schon hatte ich sieben Jahre gearbeitet. Ich weiß nicht, warum so lange.

Malmoe: Seit wann bist du an diesem Arbeitsplatz und was sind deine Aufgaben?

Karina: Ich war zum ersten Mal im August hier. Ich hab mir gedacht, es ist ein guter Platz. Und Gott sei Dank hat mich meine Patientin akzeptiert. Wenn die Chemie nicht stimmt, funktioniert es nicht. Jetzt bin ich das vierte Mal hier. Um 7 Uhr muss ich aufstehen, Sauerstoff geben, Frühstück machen, inhalieren, Blutdruck messen und alles aufschreiben. Nachher duschen, anziehen, Windel wechseln und eincremen. Und reden. Wer nicht kommuniziert, kann nicht mit Patientinnen arbeiten! Danach Kaffee um 10 Uhr, eine Zeit lang in Ruhe lassen und dann dazukommen, reden. Kochen, Mittag essen und Mittagsschlaf. Zwei Stunden täglich habe ich Pause. Falls es nicht regnet, gehe ich spazieren. Das ist wichtig für diese Arbeit, weil ich muss von draußen Energie mitnehmen. Wenn ich zurückkomme, bin ich optimistisch und mit vollem Akku, der bis zum Abend hält. Nachher mache ich verschiedene Aktivitäten mit der Patientin, spielen oder lesen. Schließlich Abendessen, Fernsehen und Medikamente austeilen. Um 10 Uhr abends bin ich fertig. Es kann später werden, wenn sie noch fernsieht. Ich schlafe nur mit einem Auge, und wenn ich ein Geräusch höre, muss ich aufstehen und nachschauen, was passiert ist. Beispielsweise ist sie letztens um 2 Uhr nachts vor der offenen Eingangstür gestanden. Auch Wochenenden und Feiertage sind normale Arbeitstage. Man muss vor allem Geduld haben und schön reden, immer schnell eine Antwort parat haben, die für die Patientin passt. Noch habe ich Geduld.

Wie hat sich die Corona-Krise auf deine Arbeit ausgewirkt?

Überall in Europa ist Lockdown und ich bin hier. Der erste Arbeitstag war am 17. Februar. Normalerweise dauert ein Turnus einen Monat. Bis heute sind es fast drei Monate. Das ist nicht meine Schuld. Was kann ich machen? Ich muss mehr Geduld haben, muss weiter Hände waschen und aufpassen. Diese Pandemie ist nicht so schwierig. Ich mache jeden Tag, was ich sonst auch mache. Für mich sind es normale Tage, nur aufpassen muss ich, dass alles desinfiziert und sauber ist. Üblicherweise wird die An- und Abreise mit einem Kleinbus durchgeführt. Aber wegen der Abstandsregel könnte der Bus nur halb voll fahren. Die Grenzen sind zwar nicht zu, aber wenn ich über die Grenze nach Rumänien fahre, muss ich zwei Wochen in Quarantäne. Egal, was ich hier gemacht habe. Aber ich bin gesund, meine Patientin auch, warum also? Ich will nachhause, aber nicht solange es die Quarantäne gibt. Ich war hier drei Monate wirklich nur im Haus und ich hab nur zwei Stunden Pause täglich. Ich will zuhause nicht noch zwei Wochen eingesperrt sein oder die Polizei vor der Tür haben, die mich zurück ins Haus schickt. Ich muss optimistisch denken, sonst geht es auch der Patientin schlecht. Vielleicht kann ich bald nachhause gehen. Ich muss den Akku für den nächsten Tag vollmachen und arbeiten. Ich kann nichts anderes machen, ich bin allein mit der Patientin. Wenn der dritte Turnus fertig ist, muss ich mir sagen, beispielsweise nächste Woche gehe ich nachhause. Bis dahin bleibe ich stark. Und wenn die nächste Woche vorbei ist, sage ich mir: übernächste Woche. Auch für die Patientin ist das lange, weil es findet kein Personalwechsel statt. Gott sei Dank gibt es die entsprechende Technologie, nur für ein Kind ist das nicht genug: „Mama, ich will, dass du nachhause kommst! Ich will dich sehen, in die Arme nehmen!“ Mein Sohn ist momentan nicht in der Schule. Er hat mit meinem Mann gekocht, geputzt und im Garten gearbeitet. Aber es war auch schwierig, weil es waren nur die zwei Männer im Haus.

Was fehlt dir oder brauchst du momentan?

Meine Familie. Zuerst will ich meinen Sohn sehen. Dann will ich frei sein. Niemand weiß, wie schwer es ist. Du musst beispielsweise lachen, wenn du mit der Patientin bist, egal wie du dich fühlst. Eben habe ich geweint, aber wenn ich aus dem Zimmer gehe, soll ich lachen. Der Akku muss immer voll sein. Entschuldige, dass ich geweint habe. Ich will nicht, dass die Leute denken, ich sei nicht stark. Aber ohne Gefühl kannst du diese Arbeit nicht machen. Wenn die Patientin weint, muss ich sie streicheln, in die Arme nehmen; vielleicht weine ich auch.