MALMOE

Zehn Platten zu Weihnachten

Unser Rückblick auf die empfehlenswertesten Alben des Jahres 2019: von Indie Rock zu Doom Jazz, von Art Pop zu Industrial Techno – und mit einem Geschenktipp, für Menschen, die man nicht sehr mag

Big Thief – U.F.O.F. (4AD)

Wir schließen uns den Jubelchören an: Keine andere Band aus dem Bereich Indie Rock/Alternative Folk war dieses Jahr so bedeutsam wie Big Thief aus New York. Adrienne Lenker und ihre drei Mitstreiter hoben ein in jüngerer Vergangenheit eigentlich ausgelaugtes Genre wieder auf ein äußerst ansehnliches Niveau. Sowohl das im Mai veröffentlichte U.F.O.F. als auch das nur fünf Monate später erschienene Two Hands wurde allerorts gefeiert. Im Vergleich zum gleichsam grandiosen Two Hands besticht U.F.O.F. durch seine verhuschte Magie und der beklommenen Atmosphäre, die immer wieder kraftvoll durchbrochen wird.

Blood Orange – Angel’s Pulse (Domino)

Angel’s Pulse ist wie die Transition vom wachen zum schlafenden Zustand, in der der Geist in andere Sphären abdriftet. Diese Bruchteile von Sekunden, die sich bewusst gar nicht herbeiführen lassen, überführt Dev Hynes alias Blood Orange in softe Vibes. Das Loopen und Stretchen friedlicher Passagen aus einer bunten Textur von akustischen Instrumenten variiert mit analog geschreddertem Synthie-Sound. Der Titel des Mixtapes ergibt schon Sinn: Engels Impulse eben. Dev Hynes zählt zu spannendsten Popkünstler*innen der Gegenwart; und ist – apropos – ein großer Unterstützer der LBTIQ-Bewegung.

Culk – Culk (Siluh Records)

Bei Lifeshows von Culk sollte es in alter Punk-Manier wieder ausgedruckte Songtexte fürs Publikum geben. Sängerin Löw zeigt jedenfalls, wie schön es sein kann, in Uneindeutigkeit zu schwelgen. Nicht nur, dass die Texte lyrisch abstrakt und dahingezogen schwer verständlich sind, auch ansonsten ist der Sound eher dreckig als herauspoliert. Genau das Richtige also, wenn man sich in Shoegaze und Post Punk wohl fühlt. Schwermütig, aber doch nicht zu sehr ist das Debütalbum der in Wien ansässigen Band. Der mit Synthie und Pedals verzerrte Retrosound bekommt auf alle Fälle das Qualitätslabel „tanzbar“. Bitte, bitte mehr Songs wie Begierde/Scham und Vollendung!

FKA Twigs – Magdalene (Young Turks)

Fünf Jahre ließ sich Tahliah Barnett aka FKA Twigs Zeit, um der viel gepriesenen LP1 ein zweites Album nachzuschieben. Das heißt Magdalene und ist ein fulminantes Stück Art Pop. Titelgebend ist die biblische Figur der Maria Magdalena, von deren Geschichte und Deutungen sich Barnett inspirieren ließ. Die mystischen Züge des Albums entspringen jedoch mehr dem avantgardistischen Sound, der an manchen Stellen vertrackt und sperrig wirkt, dann klar und befreiend. Mit dieser Mischung entwickelt Magdalene eine irre Sogkraft.

Fontaines D.C. – Dogrel (Partisan)

Im Fahrwasser der überdrüber gehypten Idles haben zuletzt einige Bands versucht, ihren Status upzugraden. Am besten gelang dies Fontaines D.C. aus Dublin. Ihr Ansatz ist kein innovativer, zündet allerdings prächtig: Mittels wuchtigem Gitarrengeschrammel und scharfzüngigem, irischem Slang bringen Sie ihren Zorn und ihre Verbitterung über eine Gesellschaft zum Ausdruck, deren Engstirnigkeit zum Brexit geführt und somit noch einigen Generationen die Zukunft versaut hat. Zugleich bleibt Dogrel eine Huldigung an den Rock’n’Roll, sprich ein Album geprägt von theatralischer Larmoyanz und der Suche nach Authentizität innerhalb zerrütteter Lebensumstände.

Giant Swan – Giant Swan (Keck)

Giant Swans Sound haut dich vom Hocker. Das Duo aus dem englischen Bristol bringt einen rauen Punk-Habitus mit, der ihrem ohnehin sehr energiegeladenen Industrial Techno eine Extra-Portion Hochspannung injiziert. Seit 2014 veröffentlichten sie einige EPs und Singles, diesen November folgte schließlich Debütalbum mit zehn edgy Tracks, die die Synapsen zum Pulsieren bringen.

Radare – Der Endless Dream (Golden Antenna)

Kennt ihr diese Nächte, in denen ihr nicht wisst, ob ihr die ganze Zeit wach liegt oder nur davon träumt, wach zu liegen? So fühlen und hören sich Radare an: instrumentaler Doom-Jazz-Sound kommt mit reduzierten Melodien und schleppendem Tempo daher. Schwingende Gitarrensaiten mischen sich mit Saxophon und Synthie. Das hinterlässt ein beklemmend düsteres Gefühl. Mit dem ersten Titel Loup de mer gewinnt man noch soliden Boden, bevor dies schlagartig mit Stalker irritiert wird. Kurze melodietragende Songs (Der Endless Dream) wechseln sich mit Post-Rock-Strukturen ab (Room). Am Ende der spannungsgeladenen Odyssee ist Second Son fast so etwas wie Erlösung durch Auflösung.

Steve Martin and the Steep Canyon Rangers – The Long-Awaited Album (Rounder Records)

Eigentlich ist dieses Album gar nicht aus dem Jahr 2019. Allerdings ist Steve Martin damit immer noch auf Promo-Tour und erheitert alle Liebhaberinnen und Liebhaber des Banjos. Der berühmteste Banjo-Spieler der Fernsehgeschichte ist bekanntlich Kermit, der Frosch. Einfach klasse der grüne Knabe. An seine Seite wagte sich einst Steve Martin, um ein Banjo-Duett mit dem Muppet-Theater-Doyen zu wagen. Das Publikum konnte diesen Auftritt, trotz Medikamenteneinnahme, nie vergessen und Martin lieferte endlich (?) ein neues Banjo-Album. Das Prinzip des Banjo-Spiels liegt in der Unmöglichkeit von Zwischentönen. Es wird an den Seiten über der gespannten Trommelhaut gestrichen und gezupft, dass die Fingernägel rauchen und es kann nie schnell genug sein. Nach wenigen Sekunden geht das Publikum innerlich in Squaredance-Position und ist bereit, seine Gliedmaßen davonzuschmeißen. Selbstverständlich ist die Platte nicht sonderlich gut, aber sie hat einen kuriosen Charme, der sie zum idealen Weihnachtsgeschenk für Menschen macht, die man nicht übermäßig mag.

The Who – Who (Polydor)

Also, The Who haben jetzt nach 13 Jahren eine neue Platte gemacht und sie Who genannt. Für die wenigen Menschen, die der englischen Sprache nicht mächtig sind, und jene, die bei schrägen Witzen ein bisschen Vorlauf brauchen: Ja, es stimmt, die Band heißt „Die Wer“ und die Platte „Wer“. Wir kennen solche Dialoge aus dem Rock-Altersheim: „Die wer?“, hallt es durch den Gang und aus der Teeküche wird ein lautes „Wer?“ zurückgebrüllt, das die unbefriedigende Antwort bekommt: „Na‚ ‚die Wer‘ halt mit ‚Wer‘“. – „Was?!?“ Gut, Pete Townsend stand jetzt bald sieben Jahrzehnte neben dem Gitarrenverstärker und der war so laut aufgedreht, dass es kein Wunder ist, dass er und der andere Überlebende von The Who Rodger Daltrey schwerhörig sind. Die Platte ist übrigens gut. Erster Satz: „I don’t care, I know you gonna hate this song.“

Thom Yorke – Anima (XL)

Radiohead-Sänger Thom Yorke tritt schon lange immer wieder solo in Erscheinung, The Eraser war 2006 sein erste offizielle LP ohne die Stammband, letztes Jahr brillierte er mit dem Soundtrack zum Film Suspiria. Anima ist ein Album, das nahtlos an das bestechende Werk des 51-Jährigen anknüpft – wenn man nur die Solo-Veröffentlichungen betrachtet, dann geht es vielleicht sogar darüber hinaus. Es klingt hier alles abstrakter und verknarzter als bei Radiohead, Highlight ist der Song Dawn Chorus.