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MALMOE

Magischer Rückblick auf die Wienwahl 2020

Erneute Zwischeneinträge ins österreichische Stammbuch in einem luluwarmen November 2019

Ach Gott*in, die Koalitionsverhandlungen. Laaaaangweilig ist es, dabei zusehen zu müssen, wie der kieselsteinige Weg zu Türkis-Blau Zwei zurückgelegt wird. Die Sache verzögert sich etwas, weil das blaue Kaninchen mit dem braunen Streifen aus dem Zylinder des Zauberkünstlers Kurz dem Publikum mächtig entgegenstinkt. Oder sollte türkise*r Juniorpartner*in etwa doch – gähn – die Grünen werden, die dank ihrer Bundesländervertretungen ihre linke Schminke abkratzen und sich endlich dazu bekennen, eine liberale Partei zu sein? Eine Partei also, die alles tut, was Kurz will, um bei der nächsten Wahl freudig ihrer Annullierung entgegenzutreten. (Hier könnte eine jener krankhaften On-Off-Beziehungen entstehen, bei der die Grünen bei jeder zweiten Wahl bei 14 Prozent landen, um dann bei der jeweils darauffolgenden wieder rauszufliegen. Wäre Österreich zuzutrauen.) Da aber alles hinter verschlossenen Türen passiert und niemand der Beteiligten mit der MALMOE reden wollte, entschlossen wir uns lieber in die Zukunft zu blicken. Deswegen besorgten wir uns eines von diesen Kristallkugeldingern und begutachteten das Wahlergebnis der anstehenden Wienwahl. Ganz schön bunt so eine Kugel! Hier das phosphoreszierende, bunt-blitzende Ergebnis. Ein Farbenspiel, das zumindest einige (kleine) Überraschungen parat hält.

Bläuliches Blau

Viele neue, spannende Parteien traten bei der Wahl zum Wiener Gemeinderat im Jahr 2020 an und aus dem Stand auf 12 Prozent plus schaffte es die Gruppierung mit dem eingängigen Namen „Monster HC und seine Philippa“. Ihr Wahlspruch „Bussi Bababschi, alles ist verziehen“ avancierte im Wahlkampf zum geflügelten Wort. Die goldige Altpartei FPÖ landet kurz vor ihrer monströsen Abspaltung auf dem zufriedenstellenden Ergebnis von 13 Prozent. Breitenwirkung wurde erzielt durch einleuchtende Logik: „Sei kein Depp, wähl den ehrlichen Nepp“. Spitzenkandidat Dominik Nepp konnte sein Glück kaum fassen, denn der in Zusammenarbeit mit dem Kronehit Radio entwickelte Wahlslogan war einfach der Renner. Insbesondere im nicht gerade kleinen Wahlsegment der Gehirntoten.

Türkis-Schwarz

Katzenjammer war hingegen die meistgespielte Musik bei der ÖVP. Sie trat mit dem tief-türkisen Spitzenkandidaten und Altphilologen am Balance Board Gernot Blümel an, der unerwartet aufrichtig, aber vergleichsweise erfolgsarm als „Das Arschloch von nebenan“ gelabelt wurde und nur den Achtungserfolg von 6,3 Prozent einfuhr. Kluge Wahlkampfanalytiker*innen haben dies vorhergesehen und mahnten, die ÖVP könne ebenso gut gleich mit einem Blumentopf antreten. Dies sei deshalb so, weil in Österreich und Wien eine besondere Wahldialektik geschätzt wird: Im Bund wählt man Türkis, obwohl man es eh ein bisschen kacksi findet, bei der Wienwahl straft man die Konservativen dann dafür ab, dass man sie zuvor gewählt hat. Die Gedankenwege des Elektorats sind unergründlich.

Transparente Farbe

Die Liste Pilz trat mangels noch verfügbarer Namen an als „Die Liste der Listen“ und erbeutete 1,9 Prozent, insbesondere unter den Irritierten. Das Wahlprogramm war vollmundig, man schrieb einfach alles auf, was die Sozialdemokratie nicht mehr zu fordern wagte, und würzte dies mit Ausländerhass. Dass linker Populismus nie funktioniert und insbesondere dann nicht, wenn mindestens drei rechtspopulistische Parteien als unverkennbare Originale antreten, dämmerte dem Mastermind Peter Pilz und er versprach in Zukunft als Fußballexperte beim ORF anzuheuern.

Rostrot

Ein furioser Wahlerfolg für die SPÖ! Will sagen, nur geringe Verluste. Was macht diese Wiener SPÖ so stark? Nach innen ist es das unnachahmliche Gemeinschaftsgefühl: Alle, wirklich alle, hassen einander und gönnen sich nicht die kleinsten Erfolge. Nach außen ist es die absolute Garantie vollständiger Visionslosigkeit, die durch Bürgermeister Ludwig eindrucksvoll verkörpert wird. Ob man an der Ecke Zollgasse, Hintere Zollamtsstraße einen Baum pflanzen soll? Platz wäre vorhanden, nur wenn die Opposition behauptet, es ginge ein Parkplatz verloren? Nein, da lässt man es lieber. Das sichere Gefühl in der „lebenswertesten Stadt“ nur verlieren zu können, lässt jede Änderung abwegig erscheinen. Außerdem man hat genug anderes zu tun. Das gebräuchlichste Wort im SPÖ-Sprech lautet „profitieren“. Und für die, die gerne profitieren, also die diversen Industrien von Tourismus bis Bauwirtschaft, die sich die Stadt schmatzend einverleiben, ist man bereit alles zu tun. Die erschöpften Wähler*innen danken es angstvoll mit einer Mehrheit der Stimmen.

Krautkrappelgrün

Bei den Grünen rauchten seit langem die Eiweiß-Prozessoren, weil man nach Wegen suchte, die Komplettverbürgerlichung durchzuführen (sprich gefügiger ÖVP-Juniorpartnerin zu werden), ohne dass es der linke Parteiflügel und dessen Sympathisant*innen merken. Die Quadratur des Kreises wirkt hier im Vergleich wie eine Fingerübung. Mehrheiten gäbe es nur rechts der Mitte. Ist so und basta, deswegen muss diese umgarnt werden und den Linken könne so lange aufs Haupt gekotet werden, wie diese ihre zart-revolutionären Sprüchlein absondern und hören dürfen. Der Wahlkampf setzte dies erfolgreich mit dem Wahlversprechen um: „Wir sind nicht die, die wir gewesen sein hätten sollen, sondern vielmehr die, die wir am besten morgen schon waren.“ Das Publikum war verzweifelt und begeistert zugleich und belohnte die Grünen mit dem viertbesten Ergebnis einer grünen Partei in einer westeuropäischen Stadt, die älter als zweitausend Jahre alt ist. Ganz Europa applaudierte: Niemand kann sich Erfolge besser herbeireden als die Austrian Greens.

Neonfarben

Die NEOS fuhren ihren alten Erfolgskurs weiter und machten einen auf weltoffen und liberal. Ideal für alle Vernagelten, die den Neoliberalismus nicht erkennen, wenn er vor ihnen steht, und auch dann nix merken, wenn ihnen dieser mit spitzem Rechen die Haare blutig krault. Man glaubt einfach, der Mist sei eh irgendwie links, und belohnt die NEOS mit knapp 10 Prozent. Gemäß ihrem Wahlspruch „Geld ist geil“ bleiben die sich ja auch wirklich treu. Sie und ihre verdorbenen Freunde wollen halt schnell und „nachhaltig“ reich werden und sind bereit, dafür – szenetypisch – alles zu tun. Beispielsweise erzählt man in Großstädten dem halb-politisierten Klientel irgendwas von liberalen Freiheitsrechten („Wir haben echt nix gegen Schwule“) und macht einen auf „sauber“, so als wäre Ausbeutung, wenn sie legal ist, vollkommen okay. Hinter allem steht als graue Eminenz Hasi „Ich kauf mir das ganze Scheißland zusammen“ Haselsteiner und der weiß, wie das geht.

Alle Farben dieser Welt

Das allzu breite namenlose Bündnis aus: Aufbruch, Abbruch, Zusammenbruch, Wien Andas, Anders Wien, reformierten Reformmarxisten und konvertierten Alt-Trotzkisten, die Partei, die Partei der Biertrinker, die Partei der Weinbeißer, Donnerstagsdemo, Freitagsdemo und eigens gegründeter Mittwochsdemo, sowie Wandel, Verwandel, Chance 2000 und viele, viele mehr, schaffte es mit 0,7999999 Prozent wenige Millimeter unter das Ergebnis, das die KPÖ gehabt hätte, wenn sie allein angetreten wäre. Ein beachtlicher Erfolg, allein schon logistisch, da auch zahlreiche Ein-Personen-Parteien zur Mitarbeit gewonnen werden konnten. Von Wahlprogramm und Wahlwerbung musste man leider absehen, hier war zu keinem Zeitpunkt eine Einigung in Sicht gewesen. Die Beteiligten versprachen aber weiterzumachen und sich bei der nächsten Wahl noch breiter aufzustellen.