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MALMOE

Die Antithese zu ­Wanda

Dives sind einer der spannendsten Newcomer-Acts Österreichs

So viele Handykameras wie an diesem Abend sind in der Regel nur bei Acts gezückt, die schon so richtig fame besitzen. Dabei präsentiert die Band auf der Bühne gerade mal ihr Debütalbum. Ein „Mini-Album“, wie sie es nennen, sechs Tracks, 24 Minuten Spielzeit. Doch als Dives am 18. November im bis ins letzte Eck gefüllten Fluc ihre Release-Show zelebrieren, ist unverkennbar, dass es diese Band in der kurzen Zeit ihres Bestehens bereits einigen Leuten ziemlich angetan hat.

Senkrechtstart

Offiziell gründeten sich Dives – namentlich Dora de Goederen (Schlagzeug), Viktoria Kirner (Bass, Gesang) und Tamara Leichtfried (Gitarre, Gesang) – im Februar 2016. Ihren Ursprung hat die Band allerdings im Girls Rock Camp 2015 in Linz. Das autonom organisierte Netzwerk rund um das jährlich stattfindende Camp ist mit seinem queer-feministischen Anspruch ein wesentlicher Anlaufpunkt für junge Frauen und Mädchen, die sich abseits von männlichen role models musikalisch weiterentwickeln möchten. Die Liste an Projekten, die aus dem Camp heraus entstanden sind und in der Folge eine zentrale Rolle in der österreichischen Underground-Musikszene eingenommen haben, ist mittlerweile lang; zuletzt herrschte um Bands wie Aivery, La Sabotage oder Schapka eine ähnliche Begeisterung, wie jetzt bei Dives aufkommt. „Ohne den Support vom Girls-Rock-Camp-Netzwerk“, sagt die Band, „wären wir heute aber immer noch nur im Proberaum.“

Dives streiften das Prädikat eines Insidertipps flugs ab. Bereits ein knappes Jahr nach Gründung nahm man zusammen mit der Fleißbiene des österreichischen Punk-Rocks, Wolfgang Möstl, das nun erschienene Album auf. Dives hatten gerade ein Konzert in Graz gespielt und den letzten Song im Set mehr schlecht als recht über die Bühne gebracht. Ein paar Augenblicke später tauchte Möstl vor ihnen auf: „Bist deppert! Des letzte Lied! Ich weiß, wo des hingehen hätt solln.“ Nicht einmal 24 Stunden später kam seine SMS: „Wenn ihr aufnehmen wollt, ich wär dabei.“

Die Aufnahmen fanden im März 2017 statt, mittlerweile sind Dives FM4-Soundpark-Band des Monats November und müssen sich ernsthaft Gedanken machen, ob das Fluc für den Andrang bei ihrer Release-Show ausreichend Platz bietet. „Dass das alles diese Ausmaße annimmt, dass wir so viel Aufmerksamkeit bekommen, damit haben wir nicht gerechnet“, erzählt Viktoria Kirner. Dummerweise sind die sonstigen Bedingungen drei Tage vor dem Konzert eher bescheiden. Die Musikerinnen schleppen sich mit unterschiedlichsten Gebrechen zu ihren letzten Proben: eine hartnäckige Erkältung, ein verstauchter Fuß, eine Sehnenscheidenentzündung – die physische Verfassung könnte wahrlich besser sein. Aber mental fühlt sich das Trio fit, auch wenn man zwischen dem Gefühl „Scheisse nervös“ und der Feststellung „So viel kann eigentlich nicht schief gehen“ schwankt. Letztlich ist sich die Band bewusst, dass sie die an sie gerichteten Erwartungen nicht überinterpretieren muss. Die vergangenen Konzerte haben eben eine Unmenge Leute in ihren Bann gezogen, „deswegen wird das auch passen, wenn wir das Konzert so hinlegen, wie wir es die letzten fünf Mal getan haben“, konstatiert Dora de Goederen und fügt hinzu: „Wenn du so lange auf etwas hinarbeitest, wird das halt einfach ein großes Ding für dich. Da lässt sich nicht viel daran ändern. Man sollte nur nicht vergessen, wie groß eigentlich die Freude ist, dort auf der Bühne zu stehen.“

Leichtfüßig und zugleich komplex

Der „infektiöse“ (sagt spex.de) Sound von Dives ist bestimmt von poppigem, oft zweistimmigem Gesang, gepaart mit Gitarren- und Bassmelodien zwischen Grunge und Surf sowie einem die Dynamik präzise einfangenden Schlagzeug. Das Album als Ganzes, aber auch einzelne Songs selber, hüpfen dabei von Genre zu Genre. Solche Brüche sind elementar bei Dives: „Etwas Harmonisches trifft auf etwas Raues“, umschreibt Dora de Goederen das dahinter liegende Prinzip.

De Goederen, Kirner und Leichtfried kommen laut eigener Aussage eigentlich aus unterschiedlichen Ecken was ihre musikalische Präferenzen und ihr ästhetisches Empfinden betrifft. Es sei es oft ein komplizierter Prozess, sich in der grundsätzlichen Gestaltung der Songs zu treffen. Daher stehen die einzelnen Lieder in der Regel für sich selbst, weil in ihrem Entstehungsprozess viel experimentiert wird, ohne dass eine der drei eine bestimmte Richtung vorgibt. Inhaltlich lässt sich dennoch eine Klammer identifizieren: Die Songs sind meist implizite oder auch explizite Forderungen an ein unbestimmtes Gegenüber, erwachsen aus abstrakt bleibenden Herzschmerz und dem Bedürfnis, die Mitmenschen zur Rede zu stellen. Die erste Single-Auskopplung Shrimp möchte beispielsweise Verborgenes entlocken („I can’t find you/ what are you hiding from?/ Is there something that you wanna know?“), während das an Hitpotenzial kaum zu toppende Tomorrow unterlegt von einer sentimentalen und zugleich majestätischen Gitarrenmelodie appeliert: „I told you not to break the rule/ as I opened up my mind for you“. Als Ausnahme von diesem Muster sticht vor allem der Song Roof heraus, dessen Lyrics sich im Coverfoto des Albums widerspiegeln: „There’s someone on the roof/ and I wanna sit next to him/ … / I don’t wanna stay/ down here.“

Auffällig ist, dass der Stil von Dives schon extrem ausgereift wirkt, obwohl die Band erstens noch keinen allzu langen Weg miteinander zurückgelegt hat, und zweitens die Verteilung der Instrumente erst einige Monate nach der Bandgründung fixiert wurde. Viktoria Kirner beispielsweise erlernte das Bassspielen erst mit ihrer Teilnahme am Girls Rock Camp, Tamara Leichtfried spielte früher vorwiegend Schlagzeug und wechselte für Dives wieder an die Gitarre. Dennoch, das ist vor allem bei den Live-Gigs zu sehen, scheinen die durchaus komplexen Kompositionen nahezu mühelos von der Hand zu gehen.

War es in jüngerer Vergangenheit vor allem das stumpfe, austro-identitäre Gedudel à la Wanda, das in der öffentlichen Wahrnehmung als stilbildend für eine gitarrenlastige, österreichische Musikszene verhandelt wurde, bilden Dives – und mit ihnen ihre Wegbegleiter_innen aus dem Girls-Rock-Camp-Netzwerk – hier sozusagen die Gegenthese. Bleibt zu wünschen, dass letztere künftig die entscheidendere Rolle für die hiesige popkulturelle Entwicklung spielen.

Das selbstbetitelte Album von Dives ist kürzlich bei Siluh Records erschienen.