MALMOE

Und noch mehr Polizei!

Allen, die sich kritisch mit der Polizei auseinander wollen, sei der neue Sammelband von Daniel Loick empfohlen

Der Sammelband Kritik der Polizei von Daniel Loick bietet eine gute Übersicht und einen gelungenen Einstieg in das Thema. Es finden sich darin historische Zugänge, Überlegungen zur Beziehung von Polizei und Demokratie, zu Rassismus und neoliberalen Veränderungen in der Polizei bis hin zu reformistischen und radikalen Alternativen. Die Artikel setzen sich aus akademischen und aktivistischen Beiträgen zusammen.

„Da es sie nicht immer gegeben hat, muss es sie nicht für alle Zukunft geben.“ Mit dieser Aussage führt Daniel Loick in die Geschichte und Analyse jener Institution ein, deren Struktur und Praxis in den vergangenen Jahren wieder zunehmend in die Kritik geraten ist. Die Veröffentlichung untermalt diese Entwicklung. Auch wenn polizeiliche Institutionskritik so alt ist wie ihre Institutionalisierung, lassen sich in letzter Zeit einige Verschiebungen in der Debatte wahrnehmen.

Während die Anschaffung einer Reiter*in­nenstaffel in Österreich, inklusive zweier ungarischen Elitepferde, als Geschenk von Viktor Orbán noch spöttische Reaktionen hervorrief, führte der Plan zur Personalaufstockung der Polizei durch eine drastische Vereinfachung der Aufnahmeprüfung bei gleichzeitiger serienmäßiger Ausstattung aller Funkstreifen mit Sturmgewehren bis Ende 2019 zu deutlich gedämpfteren Reaktionen. Neben der Militarisierung und der personellen Aufstockung sorgte das aktive Bewerben der Polizei in rechtsradikalen Medien wie Alles Roger? für heftige Kritik. Diese Veränderungen zusammengenommen zeichnen ein erschreckendes Bild. Im rechtsradikalen Milieu wird mit vereinfachten Aufnahmebedingungen für eine Karriere bei der Polizei geworben. Schwer bewaffnete Rechte im Dienste des österreichischen Volkes – wahrlich ein sehr beängstigendes Szenario.

Seit der Verabschiedung des neuen Polizeiaufgabengesetzes 2018 in Bayern, steht die Frage, wessen Freund und Helfer die Polizei ist, wieder verstärkt zur Diskussion. Das auch, weil eine Gegendemonstration in München mit 40.000 Menschen eine klare Botschaft sendete. In Österreich revitalisierte jüngst ein Video mit gut dokumentierter Polizeigewalt auf einer Fridays for Future-Demo die Debatte um Cop-Culture. Sie schließt an die breiter geführte Diskussion vom Oktober 2018 an (bekannt geworden unter #nichtmituns), nachdem die Rapper T-Ser und Leute von Akashic Records im Josef-Strauß-Park schikaniert wurden. Trotz der Häufigkeit solcher Vorkommnisse, bleibt ein gesamtgesellschaftlicher Aufschrei verbunden mit einer fundamentalen Kritik an der Polizei aus.

Aktuelle Entwicklungen nachvollziehen

Historisch betrachtet antwortet die Polizei auf neue soziale Komplexität in den neu gebildeten Nationalstaaten und dient dazu, die „Kräfte des Staates zu erhöhen“. Die Polizei greift proaktiv in gesellschaftliche Prozesse ein, um die Zirkulation von Waren abzusichern und menschliche Tätigkeiten zu überwachen (Foucault). Um das zu gewährleisten, ringt die Polizei um den stetigen Ausbau von Verfügungsgewalten. Die Ursache für die immer weiter zunehmende Ausdehnung der polizeilichen Handlungsreichweite und Kompetenzen sind nicht nur Konsequenzen gegenwärtiger politischer Trends, sondern sie sind in der Charakteristik der Polizei selbst begründet. Ausgangspunkt dieser Analyse ist ein erweitertes Verständnis von der Konzeption der Polizei – nicht als ein Trupp uniformierter und bewaffneter Staatsdiener_innen, sondern als ein historisch gewachsenes und sich stetig veränderndes staatliches Ordnungsprinzip. Nach dem Prinzip wird eine Gesellschaft ausgerichtet, es finden Ein- und Ausschlüsse statt, Kontrolle wird ausgeübt, scheinbar konsensuale Leitwerte festgelegt, um darüber letztlich Hegemonien zu realisieren.

Eine Kritik der Polizei, und das versucht Loick im Zusammenbringen von verschiedenen Positionen, bedeutet daher nicht nur eine Auseinandersetzung mit den tagtäglichen Handlungen der Polizist_innen im Hier und Jetzt, sondern es bedeutet eine Auseinandersetzung mit der Polizei als gesellschaftlichem Prinzip, seiner historischen Kontinuität und vor allem seiner Relativität zu führen.

Die Eigendynamik lässt sich neben dem angesprochenen Bayrischen Polizeigesetz besonders an konstruierten Gefahrengebieten festmachen (etwa die Linie U6 oder der Praterstern), die dem polizeilichen Handeln weitere Verfügungsgewalten einräumt. Dieser, oft temporär deklarierte, erweiterte Verfügungsspielraum der Polizei, normalisiert sich zunehmend. Wir erleben, mit Giorgio Agamben gesprochen, zunehmend eine breite Normalisierung von den in Demokratien schon immer angelegten Ausnahmezuständen. Das wirft die Frage nach der Rolle von Polizei in Demokratien auf. Sie ist in der Theorie und per Gesetz mit dem Schutz der Demokratie befasst – etwa der freien Meinungsäußerung auf Demos –, um diesen Schutz aber zu sichern, so Loick in der Einleitung, muss die Polizei in Situationen Recht auf Grundlage von Erfahrungswissen eigenständig interpretieren. Das geht einher mit einem notwendigen Handeln „an den Grenzen und oft jenseits der Legalität“. Dass es da systematisch und regelmäßig zu (Menschen-)Rechtsverletzungen kommt, ist die eine Sache. Die andere ist die Frage, warum Ermessensspielräume oft in einer bestimmten Weise ausgelegt werden: Warum sind es immer bestimmte Jugendliche, die nach Drogen durchsucht und aufgrund von marginal geringen Mengen zu horrenden (Freiheits-)Strafen verurteilt werden (Didier Fassin). In Kritik der Polizei wird angeregt über diese scheinbaren Paradoxien nachzudenken.

Verhältnis von Theorie und Aktivismus

Im Mai 2019 wurde am Praterstern eine neue, 650 Quadratmeter große Polizeistation vorgestellt. Sie sieht wie eine moderne Festung aus, die massiv in den öffentlichen Platz hineinragt. BMI-Generalsekretär Peter Goldgruber (seine Rolle in der BVT-Affäre und die von Kickl versuchte Last-Minute-Verbeamtung sind jüngere Skandale um seine Person), äußerte sich zu dem modernen militarisierten Gebäude folgendermaßen: „Durch die Platzierung direkt im Bahnhofsbereich sind die Polizistinnen und Polizisten ‚mitten im Geschehen‘ und das Sicherheitsgefühl […] wird damit weiter gestärkt.“ Besonders vor dem Hintergrund, dass Wien objektiv zu den sichersten Städten der Welt zählt, sich die ökonomische Situation der meisten Österreicher_innen in den letzten Jahren kaum verändert hat und die Anzahl an Straftaten auf Bundesebene sogar zurückgegangen sind, ist es spannend, dass vor allem von einem subjektiven Gefühl der Sicherheit gesprochen wird. Im öffentlichen Diskurs um Sicherheit ist der Reflex allzu oft, nach mehr Polizei zu rufen, anstatt nachhaltige, lösungsorientierte Ansätze zu verfolgen. Die Forderung zieht sich durch die etablierten politischen Parteien, so stellte Bürgermeister Ludwig im Dezember fest, dass Wien 1000 Polizist_innen mehr bräuchte. Die Polizeiwache ist nur eine von vielen Entwicklungen im Raum um den Prater, der in mehrerer Hinsicht als ein Laboratorium für neue und veränderte Strategien des Policings gesehen werden muss. Starke Reglementierung von Sexarbeit („Erlaubniszone“ 2011) mit Verdrängungseffekten und zunehmender Gefährdung, „Alkoholverbot“ (2018) und die ‚„Waffenverbotszone“ (2019), bieten der Polizei Mittel, um Schikanen, Ausgrenzungen und Verdrängungen widerstandslos und juristisch legitimiert durchzuführen. Parallel dazu werden Positionen für mobile Streetworker aufgestockt. Nicht selten passiert es, dass an sich parteiische Sozialarbeitende zu Soft-Policing-Akteur_innen werden und Aufgaben im Interesse polizeilicher Sicherheitspolitik übernehmen und betreiben. Obwohl an einem Ort eventuell gar keine Gefahrenlage vorliegt, erzeugt die Anwesenheit der Polizei das Gefühl, dass Gefahr drohen könnte. Gemäß der Vorstellung: Wo Polizei ist, da muss etwas im Busch sein, sonst wäre sie ja nicht da. Mehr Polizei führt so paradoxerweise auch zu einem Gefühl größerer Unsicherheit.

Sicherheit für wen?

Polizeiliche Schikane, Gewalt und Willkür tangieren nicht mehr ausschließlich marginalisierte Bevölkerungsgruppen, sondern zunehmend auch die weiße Dominanzgesellschaft – das sieht Loick als Anlass für das steigende Interesse am Polizei- und Sicherheitsdiskurs. Denn wo nun kritische Stimmen an der Polizei und ihrer Struktur laut werden, wurde in den Jahren zuvor eine andere, seit jeher kritischere Perspektive auf diese Institution überhört oder aktiv ignoriert und unterbunden: das Wissen und die Diskriminierungserfahrungen der (post-)migrantischen Communities und marginalisierter Gruppen. Loick bringt diese Entwicklung pointiert auf den Punkt: „Von der marginalisierten Perspektive ausgehend, lässt sich nicht nur erschließen, was die Polizei jetzt schon tut, sondern auch, was sie möglicherweise tun wird.“ Über die oft am eigenen Leib erfahrene differentielle Adressierung der Bevölkerung wird eine Geschichte der Ungleichheit bezeugt, die zugleich die Geschichte der Polizei selbst ist. Viele der Strategien, die gerade Diskussionspunkte der gegenwärtigen Debatte über die Befugnisse und Aufgaben der Polizei sind, wurden schon lange Zeit angewandt – nur eben nicht auf die weiße Dominanzgesellschaft. Sieht man die strukturelle Ungleichheit in einer Gesellschaft nicht als das Ergebnis eines neoliberalen Staates, sondern als dessen notwendige Voraussetzung, wird nachvollziehbar, dass die Polizei nicht nur Verstöße gegen die festgelegte Ordnung ahndet, sondern außerdem mit allen Mitteln Verschiebungen innerhalb dieser gesellschaftlichen Ordnungsprinzipien zu verhindern versucht, indem sie von unten nach oben ihren Handlungsspielraum und ihre Befugnisse erweitert. Im drastischsten Fall bis hin zum Selbstzweck im Polizeistaat. Racial Profiling und die Einrichtung und Überwachung von Gefahrengebieten sind daher weder statistisch zu rechtfertigen noch Einzelfälle, sondern sie sind Methoden eines strukturellen, institutionellen und funktionellen Rassismus.

Reformen oder radikale Alternativen?

Über Beiträge von Ban! Racial Profiling und ­INCITE! werden aktivistische Beiträge aus Sicht von betroffenen Communities in den Sammelband aufgenommen, die auch radikale Alternativen zur Gesellschaft denkbar machen. Im Kontrast dazu werden auch mehrere Reformvorschläge gemacht. Dabei ist der Konflikt zwischen Abolition und/oder Reform einer, der nicht lähmen, sondern Taktiken inspirieren sollte, die polizeiliche Einflussnahme zurückzudrängen.

Die Textauswahl ist sehr gelungen, gewünscht hätten wir uns einen stärkeren NS-Bezug als Referenzrahmen für unseren zentraleuropäischen Kontext. Spannend wären auch mehr Perspektiven auf Genderaspekte, wie der Tatsache, dass Cop-Culture oft eine extrem maskuline Performance voraussetzt und darüber hinaus die Polizei auch eine patriarchale Gesellschaftsstruktur verteidigt. Der Band kann wärmstens empfohlen werden und bietet Einsteiger_innen, wie auch bereits mit dem Thema Vertrauten eine wichtige Textsammlung.