MALMOE

Polizei überall, Sicherheit ­nirgends

Eine Gesprächsrunde über den Einfluss der Polizei auf unsere Gesellschaft

Immer mehr Gesetze und Verordnungen weiten die Verfügungsgewalt der Polizei massiv aus. MALMOE hat sich mit Kieberei, was geht?!, der BettelLobby und CopWatchBigSister getroffen und über die Arbeit der Polizei, institutionellen Rassismus und Widerstandsmöglichkeiten gesprochen.

MALMOE: Wie nehmt ihr die Arbeit und Wirkung der Polizei wahr?

BettelLobby (B): Uns berichten die bettelnden Menschen oft von negativen Erfahrungen. Viele haben Angst vor der Polizei. Bettelnde Menschen bekommen in Wien viele ungerechtfertigte Verwaltungsstrafen oder sie müssen Ersatzfreiheitsstrafen absitzen. Was wir leider auch immer wieder mitbekommen, sind Fälle von Polizeigewalt oder von erniedrigender Behandlung auf der Polizeistation.

CopWatchBigSister (C): BPOC (Black and People of Color) oder als migrantisch wahrgenommene Personen verspüren im öffentlichen Raum keine Sicherheit. Darüber hinaus gibt es in Wien sogenannte Schwerpunktzonen, in denen die Polizei relativ frei walten kann. Es kommt vielfach zu Kontrollen aufgrund von Racial Profiling und oft zu Verwaltungsstrafen. Das trifft vor allem Personen, die illegalisiert sind oder eben Asylbewerber_innen, die dann in Anhaltehaft genommen werden. Es trifft auch viele Jugendliche. Insgesamt verstehen wir die Polizei als einen irrsinnigen Machtapparat, der soziale Teilhabe einschränkt. Wir fragen angesichts dessen: „Für wen ist der Schutz da?“

Kieberei, was geht?! (K): Wir beobachten in den letzten Jahren eine massive Zunahme von Polizeipräsenz im öffentlichen Raum, die sich einerseits in rassistischen Kontrollen äußert, aber andererseits auch in Verdrängen und Schikanieren von Leuten, die einfach nicht einer bürgerlichen, weißen Norm entsprechen. Es geht eben nicht um die Sicherheit aller, sondern nur um die Sicherheit von Menschen, die dieser Norm entsprechen. Wir fragen einerseits, wie sich das ‚Polizieren‘ verändert hat, und andererseits, wie wir Leute unterstützen können, die rassistischen Schikanen ausgesetzt sind.

Was sind eure Zielgruppen?

C: Hauptsächlich machen wir Peer-2-Peer-Arbeit. Das heißt, dass wir einerseits viel mit (potentiell) von rassistischen Polizeikontrollen betroffenen Personen arbeiten. Andererseits geht es um Awareness für Menschen, die privilegiert sind und anders intervenieren können. Ein Schwerpunkt unserer Arbeit ist Bildungsarbeit – sowohl für Betroffene, um zu zeigen: „Das sind eure Rechte“, als auch für privilegierte Menschen, um ihnen zu erklären, wie sie intervenieren könnten.

K: Wir dokumentieren auf unserer Website wasgeht.noblogs.org rassistische Polizeikontrollen, Polizeischikanen, aber auch Repressionen bei solidarischen Eingriffen. Damit wollen wir zeigen, dass dies keine Einzelfälle sind, sondern eine ganz alltägliche Praxis ist. Ziel ist es, über dieses Wissen zu solidarischen Interventionen zu mobilisieren.

B: Wir bieten Menschen, die im öffentlichen Raum arbeiten – also vor allem bettelnden Menschen – Rechtsunterstützung und -beratung an. Von Anfang an wollten wir aber kein Anbieter von Sozialdienstleistungen sein, sondern stattdessen dieser Gruppe von Menschen eine Stimme verleihen. Die BettelLobby hat gemeinsam mit anderen Initiativen aus Österreich Beschwerden beim Verfassungsgericht unterstützt. Wir sehen das als einen Weg an, den Raum für das laut Verfassungsgerichtshof erlaubte Betteln freizukämpfen. Das ist auch ein Stück weit gelungen. Aber es ist noch immer sehr schwierig, Betroffenen zu sagen, wie sie betteln können, ohne dass sie bestraft werden, weil die Polizei einfach viel zu willkürlich agiert.

C: Wir haben uns dazu entschieden, keine Kooperation mit der Polizei einzugehen. Wir möchten Betroffene empowern und privilegierten Personen ihre Handlungsmöglichkeiten aufzeigen. Außerdem entwickeln wir eine CopWatch-App, die Betroffenen dienen soll. Wir wollen uns nicht mit der Polizei an einen Tisch setzen um mit ihnen zu reden, wie sie es besser machen können.

K: Das tun wir auch nicht. Klar gibt es komplett unterschiedliche Betroffenheiten durch die Polizei, und klar sind Leute, die rassistischen Kontrollen ausgesetzt sind, massiv und direkt in ihrem täglichen Leben völlig anders betroffen als andere Stadtbenutzer_ innen. Aber wir sehen auch, dass die massive Zunahme von Polizei in der Stadt uns alle betrifft. Darum ist es wichtig zu intervenieren und zu sagen, dass wir diese „Normalität“ nicht hinnehmen.

Die BettelLobby geht oft den Rechtsweg, würdest du sagen, da unterscheiden sich eure Strategien?

B: Das kommt darauf an. Bei Fällen von Polizeigewalt gehen wir den Rechtsweg nicht mehr. Er bringt ein großes Risiko für die Betroffenen, weil die Gefahr besteht, dass sie am Ende eine Verleumdungsklage am Hals haben. Wenn der Rechtsweg aussichtsreich ist, gehen wir ihn. Alle Verwaltungsstrafen, die wir bekommen haben, haben wir beeinsprucht.
Nach der Kontrolle von T-Ser und seinen Freunden im Park gab es in Wien eine verstärkte Debatte um den Rassismus der Wiener Polizei. Gleichzeitig gibt es sehr unterschiedliche Sichtbarkeiten, über wessen Erfahrungen gesprochen wird.

K: Es wird nur medial besprochen und skandalisiert, wenn es unschuldige Bürger_innen trifft oder Leute, die eine Öffentlichkeit erzeugen können. Aber bei Schwarzen Männern, die unter einem Generalverdacht des Dealens stehen, Bettler_innen oder Personen, die arm ausschauen, Leuten also, die massiv kontrolliert werden, werden diese Kontrollen gar nicht diskutiert.

C: Der Diskussion fehlt die Frage nach der dahinterliegenden Systematik. Es wird nicht thematisiert, dass Personen, die betteln oder mit Drogen dealen, oft keine andere Möglichkeit haben, und dass sie systematisch in die Illegalität getrieben werden.

K: Genauso kommt nicht auf, dass es eine Zunahme des Polizierens gibt und dass die Polizei immer mehr Lebensbereiche durchdringt. Etwa mit dem Programm „gemeinsam.sicher“, wo Leute direkt darauf angesprochen werden, sich als Co-Polizist_innen zu beteiligen.

B: Worüber auch nicht gesprochen wird, ist der verursachte Schaden. Etwa hinsichtlich der Rechte derer, die betroffen sind von Polizeigewalt. Außerdem konterkariert die Polizeiarbeit sehr viele Bemühungen für Jugendliche, wohnungslose Menschen oder, um nicht versicherten Menschen medizinische Versorgung anzubieten, die es sonst in der Stadt gibt. Die Polizei geht genau zu diesen Orten und hält durch ihre Präsenz Menschen davon ab, diese Angebote in Anspruch zu nehmen.

Die Polizei beansprucht also immer mehr Einfluss, Macht und Dominanz. Was sind zentrale Entwicklungslinien dahinter?

K: Projekte wie „gemeinsam.sicher“ sind „sanftere“ Formen des Polizierens, aber sehr durchdringende. Zu den Entwicklungen zählen auch das massive Aufstocken von Ressourcen für die Polizei und die permanente Verschärfung von Sicherheits- und Fremdenpolizeigesetzen.

C: Es gab schon immer rassistische Polizeiübergriffe. Sie haben nur eine andere Dimension angenommen. Zum Beispiel verwendet die Polizei oft Ortungstechnologien, um Leute ohne Aufenthaltstitel in Schubhaft zu nehmen. Da geht es viel um Ressourcen und ­Technologien.

B: Im Bereich des Bettelns hat es in den Jahren vor 2015 in ganz Österreich viele Verschärfungen geben. In Wien kam es 2010 zu starken Verschärfungen. Aktuell beobachten wir eine Änderung im Agieren der Fremdenpolizei. Seit Anfang 2018 werden systematisch armutsbetroffene EU-Bürger_innen in Wien gefangen genommen und abgeschoben.

Wie kann man sich das vorstellen?

B: Zu solchen Fällen kommt es zum Beispiel vor den Winternotquartieren, die für EU-Bürger_innen sind. Oft werden unbegründet Verfahren eingeleitet, um festzustellen, ob die Personen legal aufhältig sind. EU-Bürger_innen dürfen sich drei Monate hier aufhalten und müssen dann Arbeitsplatz, Einkommen usw. für die Anmeldebescheinigung nachweisen. Wenn sie das nicht haben, werden sie aufgefordert, das Land zu verlassen.

K: Diese Leute gezielt verfolgen, den Aufenthaltsstatus überprüfen und wenn sie nicht passt, direkt ins Polizeianhaltezentrum stecken – da gibt es eine massive Zunahme und ein viel reibungsloseres Zusammenarbeiten von unterschiedlichen Behörden.

C: Dieses Kooperieren zwischen den Behörden ist eine Besonderheit in Österreich. Es gibt beispielsweise auch kein Firewall-System. Das bedeutet, dass Menschen ungeachtet ihres Aufenthaltstitels medizinische Grundversorgung in Anspruch nehmen können. Diesen Schutz gibt es hier nicht.

K: Die Kooperation geht noch weiter. Ein Beispiel ist das Suchtmittelgesetz (SGM), das 2015 in Kraft getreten ist. Da geht es nicht um Drogen, sondern darum, dass die Polizei Möglichkeiten hat, vor allem BPoC anzuhalten und mitzunehmen. Da landen Menschen mit total geringen Mengen an Drogen vor Gericht, dann im Knast und werden letztlich oft abgeschoben. Hier wird sichtbar, wie rassistische Polizeiarbeit in der Justiz fortgesetzt wird.

Wer sind maßgeblichen Akteuer_innen dahinter?

C: Einerseits das Bundesamt für Fremdenwesen (BFA). Anderseits ist es ein allgemeiner Trend.

K: Das SGM veranschaulicht, wer wie agiert. Die Polizei hat nach dem Gesetz verlangt und dann wurde das Gesetz eingeführt. Die Wiener Linien beginnen genau zu diesem Zeitpunkt, Securities einzusetzen. Am ganzen Gürtel werden die Büsche geschnitten, es gibt Stammtische mit Beislbetreiber_innen, die dort die Möglichkeit haben, mehr Kontrollen zu fordern. Es wird sichtbar, dass es auf ganz unterschiedlichen Ebenen in der Stadt Akteur_innen gibt, die das Polizieren umsetzten.

C: Ich möchte es nicht an Akteur_innen festmachen, weil es nicht nur top-down ist. Wir haben eine tief rassistische Gesellschaft, die zum Funktionieren des Ganzen beiträgt. Dazu sehen wir, dass in letzter Zeit alle politischen Akteur_innen inklusive der SPÖ eine Art haben, über Personen zu reden, die die Akzeptanz für diskriminierende Maßnahmen sehr bestärken. Da sind mitunter faschistische Kontinuitäten.

B: Aber man muss auch über die Politik reden, die die gesetzlichen Grundlagen schafft. Die Kriminalisierung von bettelnden Menschen ist eine sehr alte Sache. In der Nachkriegszeit gab es eine Phase ohne Bettelverbote. Seit den 90er-Jahren werden in Wien die Bestimmungen zunehmend verschärft. Ein ganz wesentlicher Akteur dabei sind Wirtschaftstreibende in Einkaufsstraßen, die – vertreten von der ÖVP – sehr viel Druck machen. Die Sozialdemokraten machen da mit. Wesentliche problematische Bestimmungen, mit denen wir zu kämpfen haben, sind auf Initiativantrag von der SPÖ gekommen. Was haben Vorstellungen von Ordnung und Normalität mit einer Neoliberalisierung der Städte zu tun?

K: Das greift beides ineinander. In der kapitalistischen bzw. neoliberalen Stadt kommt es zur Verdrängung von Allem, was das Bild der schönen, verwertbaren Stadt stört. Da spielt ein autoritäres Moment natürlich eine Rolle.

B: Wenn man sich die Begründungen anschaut, die Politiker_innen anführen, wenn sie Bettelverbote fordern, geht es ganz oft um Geschäftsschädigung. Da ist dieses Bild von der Stadt als Ort, der nur dazu da ist, um Geld zu verdienen. Wer da stört, muss weg.

Angenommen, ich – als Nicht-Betroffene_r – beobachte eine Polizeikontrolle, von der ich glaube, dass sie nicht korrekt ist. Wie kann ich da vorgehen?

K: Die erste Aufforderung wäre, die Alltäglichkeit von Polizeikontrollen nicht hinzunehmen. Darüber hinaus: stehen bleiben und die Person, die von der Kontrolle betroffen ist, fragen, ob sie Unterstützung braucht. Und ob es okay ist, stehen zu bleiben und zu beobachten. Klar machen, dass ich solidarisch bin, versuchen, die Person zu fragen, ob jemand benachrichtigt werden kann. Wenn die Person verhaftet wird, herausfinden, wo sie hingebracht wird, Informationen weitergeben und die Polizeikontrollen dokumentieren.

C: „Vertrauensperson“ ist dabei ein Schlüsselwort. Als Vertrauensperson hat man Anspruch darauf, zu erfahren, wohin die Person mitgenommen wird. Diese Information kann an nahestehende Personen weitergegeben werden. Einzuschreiten ist oft nicht so leicht, weil es ungewohnt ist. Deswegen glaube ich, dass Workshops zu Zivilcourage sehr wichtig sind. Man kann nicht viel Schaden anrichten, sofern man die Person einbezieht und klar macht: „Ich bin solidarisch und ich gaffe hier jetzt nicht.“

Was sind eure Überlegungen zur Möglichkeit einer zentralen Dokumentation? Was sind darüber hinaus eure kleinen und großen Utopien?

C: Eine Art „Police Report“ zu veröffentlichen, ist etwas, über das wir bei CopWatch nachdenken. Das würde greifbar machen, dass es sind keine Einzelfälle sind. Und Utopien? Die schönste Vorstellung ist eine Welt, in der es keine von unseren Gruppen geben muss. Es ist ein kleiner Erfolg, dass Herbert Kickl weg ist. Aber der Rassismus der Polizei und der Gesetzgebung war schon vorher da. Zudem geht es nicht nur um den Rassismus, der von der Polizei ausgeht, sondern um den Rassismus, der sich in der gesamten Gesellschaft finden lässt.

B: Ich wünsche mir eine Polizei, die eine andere Fehlerkultur hat. Die Polizei mauert einfach nur. Es wäre darum wichtig, dass es unabhängige Beschwerdestellen gibt. Es ist normal, dass Polizeibeamt_innen Fehler machen. Aber die Frage ist, wie man damit umgeht.

K: Wir sind der Meinung, dass eine reformorientierte Perspektive nicht möglich ist. Menschenrechtstrainings oder Beschwerdestellen ändern nichts daran, dass Gewalt in der Institution der Polizei angelegt ist. Unsere Utopie ist deswegen eine Gesellschaft ohne Polizei.

C: Eine Welt ohne Polizei ist auch unsere Utopie. Babyschritte dahin könnten sein, dass rassistisches Polizeiverhalten nicht belohnt wird und die Polizei Verantwortung für ihr Verhalten übernimmt, Rassismus nicht leugnet und die ernsthafte Absicht hat, sich zu verbessern. Die Polizist*innen, die T-Ser und seine Kollegen angegangen sind, haben im Rathaus einen Preis bekommen. Der Rassismus spiegelt sich aber auch in der Politik wieder. Dort wird nur von „Österreichern und Österreicherinnen“ geredet. Dabei werden die immer auch als weiß gedacht. Da gehören alle anderen nicht hinzu.

Wie können sich radikale Kritiken und ganz realpolitische Forderungen auf eine konstruktive Weise ergänzen?

K: Unser Slogan „Keine Polizei ist auch eine Lösung“ bedeutet auf einer praktischen Ebene, dass wir alle für die Sicherheit von uns allen verantwortlich sind. Eine Möglichkeit ist aufzuzeigen, welche Projekte es im Kleinen bereits gibt. Etwa Community-Ansätze, bei denen Personen medizinische Versorgung anbieten, damit nicht die Rettung gerufen werden muss, weil diese oft mit der Polizei direkt kooperiert.

C: Viele Gruppen können sich inhaltlich dort treffen, wo gesagt wird: „Wie es jetzt gehandhabt wird, so geht es nicht.“ Das ist guter Startpunkt, von dem man dann unterschiedlich weit gehen kann.

B: Ich sehe das auch so. Aber ich denke, dass wir diesen Startpunkt noch deutlicher erforschen müssen. Wenn man das zusammenbringt, was alle jeweils wissen, dann könnte einer breiteren Öffentlichkeit viel besser die Dringlichkeit des Anliegens aufgezeigt werden. Dann könnten wir fragen: „Wollen wir so eine Polizei oder wollen wir eine andere?“

C: Ich glaube, dass Vernetzung der nächste realistische Schritt wäre. Darüber könnte man auch versuchen, mehr Druck auf die Politik auszuüben.

Interview: Fritze Schmitzke, ­Salomé Wüterich