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MALMOE

Tschau, Basti

Poesiealbum Türkis-Grün #7

Sebastian Kurz has left the building. Mit ihm endet eine Ära überinszenierter, überindividualisierter und übermedialisierter Knalleffektpolitik. Nachdem sich der populistische Staub gelegt hat, wird Österreich nun zu vernünftiger Sachpolitik zurückkehren. Okay, das ist eine hoffnungsfrohe Mutmaßung, die vielleicht etwas zu poetisch sein könnte.

Unschuldsvermutung

Die Hauptaufgabe der ungefähr 100.000 (Zählung des Andreas Khol) Mitglieder, Funktionäre und ehrenamtlichen Unterstützer der „türkisen Bewegung“ war in den letzten Jahren das rhythmische Klatschen. Spontane Ausrufe wie „Gedankt sei dem Herrn“ waren ebenso erlaubt. Ansonsten galt das Prophetenwort: „Es ist dir gesagt, Mensch, was gut ist und was der Herr von dir fordert!“ Widersprechen wollte niemand, es fühlte sich einfach alles viel zu geil an. Saublöd ist nun aber, dass der Messias übers Wasser davongelaufen ist und nach „neuen Aufgaben“ sucht. Zurückbleibt eine Gemeinde ohne Plan und Ziel. Zugeben werden sie das natürlich nicht. Man bedient sich lieber des Powermove eines jeden enttäuschten Gläubigen und gibt den anderen die Schuld, weil man dann wenigstens noch Opfer sein darf. „Abgeschossen“ hätten sie den Mann, der selbst kein „Heiliger“ (In der Leugnung der eigenen Größe zeigte sich seine Heiligkeit!) sein wollte und der sich nur für das Land, das er so liebt hat, herschenken wollte. Beweise man ihm, der nur „ein Mensch“ sein wollte, erst seine Schuld, bevor man ihm schändlich die Unschuldsvermutung entzieht, die noch für den kleinsten Ganoven gälte! Gilt sie natürlich nicht, denn zur Vorverurteilung reicht in Österreich die Religions- oder Klassenzugehörigkeit, meist genügt schon die Hautfarbe. Für Sebastian Kurz wird sich nun niemand mehr die Mühe machen, „den ersten Stein zu werfen“, weil die Auswertung von gerade einmal einigen, wenigen Prozent der konfiszierten Chatprotokolle ausreichen, damit noch der letzte Dornbusch zu Asche verbrannt ist.

Schwarz oder türkis?

Wie es mit der ÖVP weitergeht, ist nicht schwer vorherzusehen. Zunächst startet das Projekt „Ära Kurz schönreden und verharmlosen“, bei dem ein nicht geringer Teil der Öffentlichkeit brav mitmachen wird. Die türkise Bewegung bediente sich lupenreinen rechten Populismus mit Heimatschutz und Angstschüren vor allem Fremden. Anzeichen, hier abzuschwören, gibt es keine, mit der Nominierung von Karl Nehammer kommt sogar der nächste Beißer mit dem Charme eines Schraubstocks an die Spitze. Gewürzt wurde die Hetze mit solidem Antihumanismus, der nahtlos mit zur Schau getragener „christlicher Gesinnung“ kombiniert werden konnte. Umdenken wird es kaum geben. Arme werden weiterhin verhöhnt und genötigt, der eigene Postenschacher hingegen, bei dem die Partei unter Kurz brav mitgemacht hat, wird vielleicht etwas eleganter verpackt. Ein Post-it mit „Keine Chats, ihr Dodeln!“ wird an die Computerbildschirme geheftet und gut ist’s. Man konnte noch nie durch Unabhängigkeit oder Glaubwürdigkeit punkten, warum damit jetzt anfangen? Ansonsten heißt es parteiintern: Alles zurück auf „Start“. Bünde und Landesfürst:innen machen die Bundespolitik wieder im Nebenjob, schließlich geht es vor allem und letztendlich um die harte Münze der finanziellen Zuwendung. Die ÖVP wurde schließlich erfunden zur Umverteilung von unten nach oben und dort an die eigenen Leut’. Der Machterhalt geht deshalb über alles, und Kurz war immer nur eine Fassade für dieses Kerngeschäft. Eine einzige Stilfrage bleibt: Wird jetzt wieder alles schwarz gefärbt oder bleibt die türkise Farbe des Erfolgs?

Ein Tunnel weniger

Die Freude war groß und sehr berechtigt, dass die grüne Verkehrsministerin Leonore Gewessler den Lobautunnel per Umweltprüfung abgesagt hat. Die Herzen dürfen ihr zufliegen, denn die Untertunnelung des Naturschutzgebietes war ein Wahnsinnsplan. Er hätte das Autofahren in Wien wieder attraktiver gemacht und alle Klimaziele verhöhnt, denn die sind auch bei der Umstellung des wachsenden Individualverkehrs auf Elektro nicht zu erreichen. Der grüne Teil der Regierung macht also ernst mit dem, was jedes Kind weiß: Wir brauchen weniger Straßen und weniger Autoverkehr. So weit, so erfreulich. Nur gibt es zwei Befürchtungen. Hat Gewessler das auch alles gut durchdacht? Denn die dunkle Seite der Macht hat viele Jurist:innen im Sold, und was Jahrzehnte lang geprüft und zigfach genehmigt wurde, ist nicht so leicht aus der Welt zu schaffen. Die zweite Gewitterwolke zieht aus dem Rathaus herüber, unter der Überschrift: „Welche Alternativen?“ Die Frage des motzigen Bürgermeisters ist nicht leicht von der Hand zu wischen, denn den europäischen Transitverkehr kann die Stadt Wien nicht einfach auf Straßenbahnen umleiten. Hier fehlen schmerzlich die ökologischen Konzepte, an denen keine bisherige Regierung interessiert gewesen wäre. Da hat Gewessler nun wirklich viel zu tun. Was ihr vermutlich helfen wird, ist die Corona-Rezession. Die Annahmen über den Verkehrszuwachs müssen einer schrumpfenden Weltwirtschaft angepasst werden, weshalb sich vielleicht zeigen wird, dass eine weitere Donauquerung ohnehin niemals nötig gewesen wäre.

Kühlen Kopf bewahren

Beim nicht unbedeutenden und intellektuell kniffligen Streit darüber, ob eine Impfpflicht kommt oder nicht, wird die Gesellschaft vom hitzigen Arbeitsminister Martin Kocher auf gewisse harte Änderungen vorbereitet. Denn die Erwerbslosen, die von AMS-Geldern abhängig sind, sollen nun selbstverständlich schon einmal zum Impfen gezwungen werden, damit sie jede Job-Aussicht wahrnehmen. Die Hemmschwellen sind im freien Fall. Wer kein eigenes Geld verdient ist also nicht mehr dazu berechtigt eigene Überzeugungen zu haben und zu leben (wie hirnrissig diese auch sein mögen). Kocher rechnete aber nicht mit dem, eher schwarzen als türkisen, AMS-Vorstand Johannes Kopf (aka DJ Labour MC). Der erinnerte an so etwas wie Rechtsstaat und daran, dass das AMS gar keine Gesundheitsdaten (wie den Impfstatus) bei seinen Klient*innen erheben darf. Die alte Grundrechtsplatte kann der erfahrene DJ Kopf gerne öfters auflegen.

Fit to work

Die Arbeitsfitness der Bundesregierung ist schon lange schwer angeschlagen, und echte Motivationslücken sind unverkennbar. Wer könnte einer so ins Trudeln geratenen Regierung helfen? Sehr schwierig, aber es gibt, besser: es gab, arbeitspsychologische Unterstützung. Genannt „Fit2Work“. Ein Projekt, das Menschen mit gesundheitlichen Problemen am Arbeitsplatz oder bei der Jobsuche unterstützte. Arbeitsminister Kocher meint allerdings: „Na geh, brauch ma net!“ Ist ihm zu teuer (keine zwei Millionen im Jahr) und wird jetzt also einfach – mitten in der Pandemie – abgeblasen. Das grüne Gesundheitsministerium sieht die Zuständigkeit nicht bei sich und will auch nicht weiterfinanzieren, was in zehn Jahren gut aufgebaut wurde. Das tausendste Beispiel dafür, dass die Rollenverteilung zwischen schwarzen Bosnigln und grünen Könnten-wenn-sie-dürften-schon-auch-lieb-sein lediglich Inszenierung ist. Hinter den Kulissen ist man offenbar einer Meinung. Ergebnis: Menschen, über die ein Erwerbsverbot verhängt wurde oder die sich schwer an ihrer Arbeitsstätte tun und die seelisch darunter leiden, tritt diese Regierung in trauter Eintracht ins Genick.