MALMOE

Medium ohne Message

In der Debatte um die neuartige NFT Kunst treten altbekannte Probleme der Kunstwelt zutage

Mit der momentan viel besprochenen NFT (Non Fungible Token) Kunst sind zwei Phänomene kollidiert, die bereits vorher getrost als problematisch bezeichnet werden durften: Der oftmals undurchsichtige, unregulierte Kunstmarkt und die Kryptowährung. Dabei sind weder digitale Kunst, noch die ausschließlich im Äther existierende Währung neu. Während Bitcoin (Inzwischen in Anbetracht von Ethereum und Dogecoin der Boomer in der Kryptofamilie!) und Co. innerhalb der letzten zehn Jahre von der nerdigen, teilweise als cyber-anarchistisch titulierten Fantasiewährung zum global bedeutsamen Finanzakteur mit minimaler Sicherheit – bei maximalem Stromverbrauch – avanciert sind, reicht die Geschichte der digitalen Kunst weitere vierzig Jahre zurück. NFT Kunst, das sei an dieser Stelle vorweggenommen, kommt in den meisten Fällen nicht gut an. Sie löst über weite Strecken sogar starke allergische Reaktionen aus, während nur einige wenige in ihr bzw. in ihrer Operationalität die Zukunft der Kunst sehen. Warum werden NFTs derzeit gehasst?

Abstrakte Wertspeicher

Zunächst eine kleine begriffliche Einführung: Die Abkürzung NFT steht für Non Fungible Token. Token sind Informationsträger und abstrakte Wertspeicher, die zu bestimmten Prozessen ermächtigen. Als Hardware kommen sie beispielsweise in Form von Schlüsselchips zum Einsatz, die anstelle klassischer Schlüssel verwendet werden können. Sie öffnen Türen und enthalten meist erweiterte Informationen – so ist jeder Türöffner-Token an eine bestimmte Mitarbeiter*innen-ID geknüpft und speichert die Zeitpunkte der Schließaktionen. Der Token ist somit oft mehr als nur eine verschlüsselte Berechtigung, er deponiert auch alle mit ihm verrichteten Prozesse und das gleich doppelt – auf der Schlüssel – und der Schlossseite.

In der Welt der Kryptowährung dienen Token als Zertifikate und Authentifizierung digitaler Bezahlvorgänge und bestätigen die Echtheit der jeweiligen Zahlungseinheit und des Zahlungsprozesses. So ist jeder Bezahlvorgang an einen Token auf Blockchain-Basis geknüpft. Darin liegt der erste große Kritikpunkt: Mit jeder Transaktion werden die Blockchains länger, die Rechenoperationen, mit denen sie generiert werden, auch und somit der Stromverbrauch der Server, die sie ausführen. Das als Mining bekannte Ausrechnen der Zahlungseinheiten ist inzwischen zu einem enormen Problem geworden, da die Server(farmen) teilweise so viel Energie verbrauchen wie eine ganze Kleinstadt (und dadurch echten Kleinstädten etwa in Sibirien der Saft ausgeht) und zudem der Bedarf an moderner Hardware enorm gestiegen ist. Die benötigten leistungsstarken Grafikkarten wiederum werden unter enormer Ausbeutung endlicher Ressourcen hergestellt und sind nach kurzer Laufzeit giftiger Sondermüll. Somit ist die Energiebilanz der einst zukunftsweisenden, weil „körperlosen“ Kryptowährung inzwischen desolat. Als klimaschonender Player wird neuerdings das Token-Angebot Palm angeführt, dass 95 Prozent weniger Energie verbrauchen soll. Wo ist der Haken? Die Sicherheiten werden statt in Rechenoperationen in realen Immobilien hinterlegt. Autsch.

In der analogen Welt können auch Geldmünzen als Token verwendet werden, entscheidend ist, dass die Objekte in abstrakter Form Wert speichern können. Während es bei Münzen jedoch vollkommen gleichgültig ist, mit welchem der Ein-Euro-Stücke der Supermarkteinkauf bezahlt wird, weil solche Münzen fungible Token darstellen, ist dies für die Non Fungible Token nicht der Fall. Denn diese fungieren als digitale Echtheitszertifikate und bezeugen, dass es sich bei der Datei, an die sie angehängt sind, um eine originale Version der Datei handelt. Ein NFT selbst ist also kein Kunstwerk, sondern lediglich eine beigefügte Bescheinigung über den Unikat- beziehungsweise Editionsstatus einer Arbeit.

Diese Eigenschaft macht sie für die digitale Kunstwelt seit einiger Zeit interessant. NFT-Kunstwerke (GIFs, JPEGs, Videos oder sogar einzelne Tweets) werden häufig nicht nur einmal, sondern in sogenannten Drops für einen bestimmten Zeitraum in einer limitierten Edition verkauft. Dafür gibt es eigene Onlineplattformen, die den Künstlerinnen dabei helfen, ihre Arbeiten auf dem Kryptomarkt zu verkaufen. OpenSea, Rarible oder Nifty sind die neuen Protagonistinnen auf dem Markt, die über verschiedene Modelle funktionieren. Entweder kaufen sich die Künstler*innen ein oder sie müssen sich bewerben und werden dann bei bloßer Anteilsbeteiligung an den Verkäufen von den Plattformen zunächst „gratis“ gehostet.

Kopie ohne Original

Nicht-digitale Kunstwerke, selbst industriell gefertigte Arbeiten, welche versuchen, die Spuren ihrer Herstellung zu vertuschen (also ungefähr alle Kunstwerke von allen Minimalist*innen), haben zumindest aufgrund einer sichtbaren Autor*innenschaft oder durch die ausstellende Institution eine erkennbare Originalität. Vollkommen zurecht ein Ausgangspunkt der institutionskritischen Kunst und die Wiege der Perfomancekunst! Demgegenüber hat digitale Kunst seit jeher ein Problem: Sie kennt weder Original noch Unikat. Dieser Umstand wurde bereits während der noch analogen, aber auf Massenproduktionsverfahren beruhenden Popart von Roland Barthes mit dem Begriff des Simulakrums, also als Scheinbildcharakter der medialen Bilder und Kunst abseits jeglicher Aura, beschrieb. Digitale Arbeiten sind in diesem Punkt noch weitaus radikaler. Kopien eines JPEGs weisen (zumindest bei technisch gut durchgeführter Übertragung) keinerlei Unterschiede auf. Und das könnte die Stärke und Ausgangspunkt kritischer, zeitgenössischer digitaler Kunst sein, würde der heutige Kunstmarkt nicht funktionieren, wie er funktioniert: Personenkult und Naturalisierung von Fantasiewerten zur Ermittlung von Kunstpreisen, wie dem guten alten Künstler*innenindex.

Was derzeit oft als zweiter Kritikpunkt angeführt wird, nämlich der Qualitätsverlust der Kunstwerke, weil ja nunmehr jede*r sich als digitaler Künstler*in selbst über entsprechende Plattformen vermarkten könne ohne die zwischengeschaltete Kontrollinstanz Galerist*in, greift viel zu kurz. Hierin wird lediglich eine weitere Stufe der Selbst-Ökonomisierung der Künstlerinnen sichtbar, sowie die Angst der bisherigen Protagonistinnen, an Relevanz zu verlieren. Die Qualität der NFT-Arbeiten ist aus kunsthistorischer Sicht tatsächlich oft mangelhaft, aber das liegt an den Qualitätsmaßstäben (und wäre eine weitere Kolumne wert). Wesentlich kritischer (wenn auch im Hinblick auf neoliberale Dynamiken kaum überraschend) erscheint indessen, dass sich eine schier unerschöpfliche Zahl an Künstler*innen nicht etwa mit den infrastrukturellen Bedingungen ihres Mediums befassen, sondern unhinterfragt die Struktur der etablierten Auktionshäuser und Verkaufsplattform übernehmen und sich somit bei weitaus erhöhten Risiken dem Kryptokapitalmarkt andienen – unter dem Anschein einer gewissen Autonomie. Was in den aktuellen Debatten vollständig fehlt, sind Fragen der Urheber*innenrechte und der Anteilsbeteiligung der Künstler*innen für die Ausstellung ihrer Arbeiten. Denn NFTs liefern keinen Kopierschutz oder ähnliches für die Produzent*innen, sondern dienen nur den Käufer*innen zur Gewissheit, ein „Original“ zu besitzen.

Gute alte Zeiten?

Dabei hatte alles so gut angefangen: Unter dem Begriff der Medienkunst begannen in den USA parallel zur massenhaften Verbreitung des Fernsehens in den Privathaushalten und insbesondere der Markteinführung der ersten Handkamera. Mit der Einführung des Sony Portapak im Jahre 1967 richteten Künstler*innen wie Joan Jonas, Ira Schneider, Michael Snow, Nancy Holt oder auch Frank Gilette und Andy Warhol ihre künstlerischen Strategien auf die experimentelle Erforschung des neuen Mediums aus. Auch die voranschreitende Entwicklung der Computertechnologie und die damit verbundene Einspeisung immer weiterer Produktionsprozesse in die binäre Sprachmatrix der Programmiersprache stellte einen wichtigen Aspekt der damaligen Avantgarden in der Kunstwelt dar. Bereits 1970 eröffnete im Jüdischen Museum in New York die Ausstellung Software. Information technology: it’s new meaning for art, in der kritische Positionen zur Kunst des Informationszeitalters versammelt waren.

Die frühe Medienkunst war eng verwoben mit emanzipatorischen Gesellschaftsmodellen und solidarischen Praktiken. Paradigmatisch hierfür stehen technik-affine Kollektive wie die Videofreex, die von 1969 bis 1978 als Kommune organisiert einen privaten Kabelsender mit einem subkulturellen Fernsehprogramm bespielten, die Aktivist*innengruppe Ant Farm, die mit gezielt spektakulären Aktionen wie Media Burn von 1975 die Normativität der medialen Bilderwelt thematisierte oder der von 1968 bis 1972 herausgegebene Whole Earth Catalog, einem Magazin in dem Medien, Architektur und ökologische Fragen als ganzheitliches System gedacht wurden. Hippies waren eben nicht immer verzottelte, geschichtsvergessene Moralist*innen.

In den 1990ern war es der Cyber-Feminismus, der sich mit dem damals noch ominösen Internet künstlerisch und vor allem politisch auseinandersetzte und in der der netzartigen Infrastruktur des World Wide Web den fruchtbaren systemischen Ansatz eines antipatriachalen Cyberaktivismus fand. In den Arbeiten der Postinternetkunst Hito Steyerls werden seit den Nullerjahren konsequent die Konventionen medialer Bilderwelten und ihre ökonomischen Verquickungen auf den Prüfstand gestellt. In der kontinuierlichen Rekapitulation und Sichtbarmachung der eigenen Bedingtheit liegt wohl eine der bedeutsamsten Qualitäten zeitgenössischer Kunst und ihr Potenzial, auf gesellschaftspolitischer Ebene politisch aktivierend zu wirken. Somit könnte argumentiert werden, dass nun auch Arbeiten, die sich dem aktuellen Phänomen der Kryptowährung und deren marktwirtschaftlichen Dynamiken widmen, potenziell einen kritischen und konstruktiven Beitrag zum Diskurs leisten. So sollten genau jene Künstler*innen, die bisher angewidert von NFTs die Nase rümpfen, sich tiefer in die Materie hineinbegeben und ihre Ablehnung als künstlerischen Standpunkt inhaltlich und formal artikulieren. Und jene, die schon zuvor vom Kunstmarkt geflissentlich übergangen und/oder assimiliert wurden, ihre Hoffnung auf einen selbstbestimmten Uplift ihrer künstlerischen Autonomie begraben. Lediglich die Distributionswege sind neu, die Strukturen bleiben gleich.