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MALMOE

Schwarz, queer und unbequem

Brasilianische Transfrauen sagen Bolsonaro den Kampf an

In den letzten Jahren war ich überrascht, auf Demonstrationen vermehrt brasilianische Musik zu hören. Woher kommt das plötzliche Interesse am Baile Funk? Eine Musikrichtung, die in den 1990er-Jahren in armen Vierteln (Favelas) Brasiliens populär geworden ist. Ein Genre, das ich vorwiegend mit Cis-Typen, die über ihre Situation in der Favela rappen, assoziiert habe.

Aber schon länger ist das nicht mehr Realität! Etwa die queere Transaktivistin Linn da Quebrada eignet sich das vorher oft als sexistisch wahrgenommene Genre an und sagt dem Mackertum in der Branche den Kampf an. Sie ist Teil einer brasilianischen LGBTQI-Musik-Bewegung, die besonders nach dem Wahlsieg von Jair Bolsonaro 2018 aufblühte.
Dabei zieht sie ihre Energie aus Eigenschaften, die ihr früher als Schwächen ausgelegt wurden. Sie transformiert ihre Schwarze, homosexuelle und Trans-Identität in kämpferische Energie.

Linn da Quebrada hat viele andere Talente, sie arbeitet als Schauspielerin oder schreibt Drehbücher, aber überwiegend ist sie für ihre Musik bekannt. Eine Musikrichtung, die sie als „Afro Funk Vogue“ bezeichnet, wobei sie die treibenden Rhythmen des Baile Funk als ihren größten Einfluss nennt.

Einem breiteren europäischen Publikum ist sie durch ihren Film Bixa Travesty bekannt, der 2018 sehr erfolgreich auf der Berlinale lief. Der Film zeichnet das intime Porträt einer Künstlerin, die sich selbst und ihren Körper zu lieben als radikalen politischen Akt sieht. Als Transfrau ist ihr Körper ständig in Gefahr. Sie hält nichts von antiquierten Biologismen und dem Geschlecht, das ihr bei der Geburt zugewiesen wurde. Sie konzipiert ihre Musik als Waffe, als Schild gegen das traditionelle und konservative Gedankengut, das in alle Menschen eingeschrieben wird. Mit Strophen wie „Meine Schwarze Haut ist mein Mantel des Muts, sie steigert meine Bewegungen, sie zelebriert meine Queerness“, fordert sie die Heteronormativität heraus. Die Musik schützt sie nicht nur vor einem Außen, sondern auch vor ihrer eigenen Sozialisation. Das ist ihr Weg, sich präsent und lebendig zu fühlen.

Für das Überleben…

So eine Überlebensstrategie ist sehr wichtig in Anbetracht dessen, was gerade politisch in Brasilien passiert. Indem sie heteronormative Genderstandards infrage stellt, ist sie ein Dorn im Auge des derzeitigen rechtspopulistischen und transfeindlichen Präsidenten Jair Bolsonaro. Mit Aussagen wie, er würde zwei Männer schlagen, die sich in der Öffentlichkeit küssen, besticht er durch eine besonders aggressive Rhetorik, die Gewalt an LGBTQI-Personen legitimiert. Die queerfeindliche Hetze macht sich leider auch in Zahlen bemerkbar. Im Jahr 2020 wurden laut der nationalen Vereinigung von Transpersonen und Travestis 175 Transfrauen ermordet, 41 Prozent mehr als im Jahr zuvor.

Ein weiterer Schlag für die brasilianische LGBTQI-Community ist der Mord an der linken Politikerin Marielle Franco aus der Partei PSOL im Jahr 2018. Als Schwarze, lesbische und in den Favelas aufgewachsene Frau war sie die Hoffnung vieler marginalisierter Menschen. Sie setzte sich gegen Polizeigewalt ein und beschuldigte kurz vor ihrem Tod die Landespolizei Policia Militar des Mordes an zwei Jugendlichen. Kurz darauf wird sie in ihrem Auto erschossen. Die Täter*innen fliehen, der Mord ist immer noch ungeklärt und bleibt bis heute ein umstrittenes Politikum.

Linn da Quebrada findet ihre Kraft in ihrer Zerbrechlichkeit. Das wird auch an ihrem Namen deutlich, der ein für sie typisches Wortspiel innehat. „Linda“ heißt so viel wie „schön“, während „Quebrada“ „gebrochen“ heißt. Also eine Übersetzung könnte „Gebrochene Schöne“ sein, „Quebrada“ ist aber auch ein Slangwort für die brasilianischen Favelas. Damit huldigt sie ihrem Herkunftsort und zeigt dem Rest der Welt, woher sie kommt.

…und die Liebe!

Eine weitere Transfrau, die in Brasilien gerade große musikalische Erfolge feiert, ist die Frontsängerin Liniker aus der Band Liniker e os Caramelows. Auch sie beschäftigt sich viel mit dem Thema der Zerbrechlichkeit. In mehreren Interviews spricht sie darüber, dass sie ihre Zerbrechlichkeit zulässt und annimmt und das als politischer Akt verstanden werden kann, vor allem in einer Welt, in der Schwarze queere Transfrauen wie Liniker immer stark sein müssen. Denn sobald sie Schwäche zeigt, wird sie schlecht behandelt. Dabei möchte sie gerne fragil sein, sie möchte als ganze Person wahrgenommen werden und eben nicht nur als Transfrau. Es geht darum, diesen Teil von ihr als nur eine Facette ihrer Person wahrzunehmen. Als Individuum wahrgenommen zu werden, mit individuellen Gedanken und Gefühlen. Ein Privileg, was alle weißen hetero Cis-Männer immer haben.

Sie spricht in einem Interview mit Linn da Quebrada über das Gefühl, als Repräsentantin einer Szene betrachtet zu werden. Immer wieder die gleichen Fragen über Diskriminierungserfahrungen beantworten zu müssen. Für sie ein ambivalentes Gefühl, als „das einzige Beispiel“ hingestellt zu werden. Auch so ein Narrativ, das immer wieder in diesem Kontext auftaucht, durch das aber die Arbeit von weniger bekannten Transfrauen unsichtbar gemacht wird.

In ihrer Musik spricht sie deshalb über ihre individuellen Gefühle, singt über Herzschmerz, gestohlene Küsse und andere typische Themen des Souls. Mit ihrer Band eroberte sie in den letzten Jahren auch die internationalen Bühnen. Die Collage aus funkigen Sounds, Jazz und Soul kommt gut an. Die Band nennt ihren ganz eigenen Musikstil „Funzy, eine Kombination aus den Worten „fun“ und „crazy“.

Trotzdem äußert sich Liniker auch zu explizit politisch verstandenen Themen, wie in der Zeile „Niemand kann uns sagen, wie wir lieben sollen“ aus dem Song Flutua, den sie mit dem brasilianischen Sänger Johnny Hooker aufgenommen hat, und trifft damit den Nagel auf den Kopf! Liniker spricht über Musik als ein entscheidendes Instrument für Veränderung. Musik als Antwort auf den Hass, der besonders Menschen aus der LGBTQI-Community trifft.

Klar war das nur ein kleiner Ausschnitt aus einer zum Glück immer größer werdenden Szene. Die Auswahl vollkommen subjektiv. Aber das heißt auch, es gibt noch viel mehr zu entdecken! Es muss ein öffentlicher Gegendiskurs gegen die rassistische, sexistische und homofeindliche Politik und gegen das Wertesystem von Jair Bolsonaro und seinen christlichen Anhänger*innen geschaffen werden. Um es mit den Worten von Liniker zu sagen: „Wir hoffen, dass die Menschen in 20 Jahren auf Liniker e os Caramelows als Referenz für etwas zurückblicken, das ein Katalysator für Veränderungen war. Musik hat ihre Rolle, Kultur hat ihre Rolle, deshalb sind wir hier, für diese Zukunft.“