MALMOE

Rosemary Cracked Pepper & Balsamic Buttermilk Biscuits

Eisbär liest #1

Juni 2020: Die Welt im Lockdown hängt mehr denn je in den sozialen Medien. Videos von radikalen MaskengegnerInnen oder von ausufernder Polizeigewalt gegen Black Lives Matter drängen sich in der Timeline. Es ist eine dystopisch anmutende Zeit – und zugleich das letzte Trump-Jahr –, als die amerikanische Künstlerin Alex Graham damit beginnt, die ersten Seiten ihres neuen Webcomics Dog Biscuits zu zeichnen und zu posten.

Eine Kundin im Hundekekse-Geschäft Dog Biscuits weigert sich eine Maske aufzusetzen. Es kommt zum Konflikt mit der sichtlich genervten Verkäuferin. Diese beginnt den Streit per Smartphone zu filmen („There’s a huge demand for Karen videos right now, gotta cash in while I can!“), während die empörte Maskengegnerin zunächst Covid verharmlost und dann einen kurzen Einblick in ihre QAnon-Logik liefert: „You’re one of those Black Lives Matter people, one of those rioters destroying the city. I hope the cops teach you and your friends a lesson you’ll never forget!“

Schnell war ersichtlich, dass es sich bei Grahams Arbeit nicht um die für Social Media üblichen schlichten Bilder mit Sprüchen handelt. Stattdessen folgten täglich ein bis drei weitere Seiten, es entwickelte sich ein fesselndes Psychodrama. Dog Biscuits erzählt dabei einen kurzen, aber dramatischen Augenblick aus dem Leben dreier ungleicher Charaktere, verwoben in einer Liebespyramide zu Covid-Zeiten.

Da wäre Gusy, der frühere Maler, der sich im höheren Alter aus pragmatischen Gründen von der Kunst abgewendet hat und nun eine Bäckerei für Hundekekse führt. Der Laden läuft Covid-bedingt schlecht. Da wäre Hissy, der eigentlich reiche Sohn einer Hollywoodgröße, der sich nun aber außerhalb des Elternhauses in einem neuen hippen, unabhängigen Leben als bisexuelle Dragqueen und politischer Aktivist selbst verwirklicht. Und da wäre Rosie, deren Realität es ist, sich mit dem Job als Verkäuferin von Dog Biscuits über Wasser zu halten. Ihr Zimmer in der Zweck-WG mit Hissy und dem leicht entrückten Couchpotato Leroy kann sie sich gerade mal leisten.

Grahams ProtagonistInnen werden nicht nur von Pandemie-Krise und Selbstzweifel geplagt, sondern leben in einem sich allmählich verfestigenden Polizeistaat und werden mehrmals Opfer der Methamphetamin schnüffelnden Cops. Diese foltern im Zuge ihres ungebändigten Vergeltungsdrangs gegen die Black-Lives-Matter-Bewegung den bei einer Demonstration festgenommenen Hissy körperlich und psychisch. Er verlässt anschließend die Stadt und damit auch Rosie. Der letzte gemeinsame Abend in der WG wird dabei zu einem exzessiven Abschied.

Nur ein halbes Jahr nach Grahams erstem Posting kann man Dog Biscuits nun als 414 Seiten starkes Buch bestaunen. Alex Graham hat nicht nur einen unglaublichen Schaffensdrang an den Tag gelegt, sie dokumentiert Seite für Seite feinfühlig einen Zeitgeist eine noch ganz frische (und triste) Lebensqualität. Dabei ist Dog Biscuits phasenweise dank trockenem Humor entwaffnend, wenn zum Beispiel der faule Mitbewohner Leroy vortäuscht, an Covid-19 erkrankt zu sein, um nicht abwaschen zu müssen, oder wenn Kunden mit einer schlechten Benotung beim Internetportal Yelp drohen, weil der Lieblingskeks ihres Vierbeiners nicht vorrätig ist. Dog Biscuits ist weit davon entfernt, ein sogenannter Funny zu sein und einen Safe-Space zu bieten, weder für die ProtagonistInnen noch für die LeserInnenschaft. Da wären einerseits seitenlange, ausführlich bebilderte Szenen mit pornografischem oder exzessiv gewalttätigem Inhalt. Und da wären andererseits die für uns LeserInnen offenen Gedankenblasen von Grahams Figuren. Diese sind – obwohl anthropomorphe Tiergestalten – zutiefst menschlich und scheitern an ihren eigenen Idealvorstellungen.

Und so scheiterten sie auch häufig an den Idealen der wachsenden LeserInnenschaft von Dog Biscuits. Rosie, Hissy und Gussy wurden in den Online-Kommentaren kritisiert und geächtet oder es wurde einzelnen Charakteren der Tod gewünscht. Die Autorin sah sich zeitweise sogar genötigt, die Kommentarfunktion zu sperren. Das Editorial des Buches widmet sich dieser Erfahrung: „I started feeling myself mentally and emotionally preoccupied with the way commenters were reacting not as readers of literature, but as judges presiding over the private lives of my characters, and how quick they were to condemn the characters.“ Im Jahr 2020 lagen die Nerven blank. Nicht nur in der Fiktion.
Eisbär

Dog Biscuits kann über lulu.com bestellt werden.