MALMOE

Kill Your Parents!

Medienarbeit, die progressiv und links sein will, muss auch die eigenen Lücken und Ausschlüsse adressieren.

Am Anfang ist keine Zeitung. Der erste MALMOE-Auftritt umfasst vier Seiten, gedruckt im A3-Format und in Schwarz-Weiß, und nennt sich „Clipboard“. Die Idee zur Zeitung ist da schon längst geboren, im Hintergrund laufen noch die Aufstellung von Finanzierung und Organisation der Redaktion. Vier Clipboards und eine öffentliche Nullnummer später liegt MALMOE im Herbst 2001 in der heute bekannten Aufmachung auf dem Tisch. 32 Seiten „dick“, anfangs noch im zweiwöchigen Erscheinungsrhythmus – ganz im Sinne einer „alltagsbegleitenden Maßnahme“ – und in einer für ein heimisches Alternativmedium steilen Auflage von 10.000 Stück. Und gratis obendrein.

Der, die, das MALMOE? Und warum der Name einer schwedischen Hipster-City? Darauf gibt es viele Antworten – und alle sind sie richtig: MALMOE hat kein Geschlecht und ist alle Geschlechter, die Assoziation zur Arbeiter*innenstadt im Wohlfahrtsstaat ist irgendwie Zufall und doch gewollt, der mollige Klang der Alliteration im Namen Glückssache und Kalkül zugleich. Auch sonst gibt sich MALMOE wenig konform: Es tritt als Zeitung auf, lässt aber die klassische Ressortteilung vergleichbarer Medien vermissen. Statt die verschiedenen Sphären, über die berichtet wird, hierarchisch zu ordnen, werden sie neu in Beziehung zueinander gesetzt. Wie auch bei anderen „freien Medien“ gelten bei MALMOE andere Prinzipien. Meint doch „alternativ“ nicht bloß alternative Inhalte, sondern manifestiert sich ebenso in einer anderen Form der Organisation des Produktionsprozesses und in einem divergenten journalistischen Selbstverständnis.

Mit dem Claim „Gute Seiten, schlechte Zeiten“ steht MALMOE jedenfalls nicht alleine da. Beinahe zeitgleich treten andere neue Printmedien auf den Plan – etwa die Stadtforschungszeitschrift dérive oder Die Bunte Zeitung, die zu migrationspolitischen Fragen Stellung nimmt. Insbesondere unter den feministischen Medien gibt es einen Schub an Neugründungen: Zeitschriften wie female sequences, coco (kurz für cosmonaut’s collective) und nylon – KunstStoff zu Feminismus und Popkultur (die Vorgängerin von fiber) setzen mit ihrem Fokus auf die Verbindung von Pop und Politik neue Impulse.

All diese Medien entstehen – neben diversen Foren im Netz wie no-racism.net oder Mailinglisten wie Gettoattack – in einem oppositionellen Klima, aus dem im Jahr 2000 die Donnerstagsdemos gegen die ÖVP-FPÖ-Regierung unter Wolfgang Schüssel und Jörg Haider hervorgehen. Die wöchentlichen Demonstrationen nennt Bundeskanzler Schüssel verächtlich das „Austoben von Altlinken, 68ern, Jungen und der Internet-Generation“. Und was ist noch schöner als ein generationenübergreifender Protest? Einer, der auf eine Vielzahl neuer Allianzen baut: aus verschiedenen politischen Feldern, aus Kunst, Clubkultur, Medien und linkem Aktivismus, zwischen selbstorganisierten, zivilgesellschaftlichen und gewerkschaftlichen Gruppen. MALMOE selbst ist Ausdruck dieser Überschneidungen und Annäherungen, wie auch an der Zusammensetzung der Redaktion und Autor*innenschaft zu erkennen ist.

Ich selbst gehöre zu den Zeitschriftenmacherinnen von nylon und steige parallel in die MALMOE-Redaktion ein. Hier wie dort ist es nicht einfach die „schwarz-blaue Wende“, die zur Gründung des Mediums motiviert hat. Vielmehr herrscht das Bedürfnis, über Dinge zu schreiben und zu diskutieren, die schon seit Längerem „in der Luft“ liegen – und die mit der Konstituierung der ÖVP-FPÖ-Regierung neue Dringlichkeit erfahren. Entsprechend geht die Kritik auch über den „Widerstand“ gegen Schwarz-Blau hinaus, indem politische Kontinuitäten aufgezeigt werden, insbesondere aus feministischer und migrantischer Perspektive.

Eben diese Sprechpositionen und Wissensbestände sind medial immer wieder unterrepräsentiert. Sie geraten selbst in linken Medien viel zu oft zum Add-on – unabhängig davon, wie sehr Antirassismus und Feminismus in der Selbstdarstellung abgefeiert werden – und gehören nicht zum strukturellen Bestandteil des Mediums selbst.

Während hinsichtlich der zeitweiligen Männerdominanz bei MALMOE durchaus eine kritische Selbstreflexivität auszumachen ist, werden die Zugänge und Möglichkeiten der Teilhabe für Personen mit Migrationserfahrung, für People of Color nur sehr wenig infrage gestellt (und ich spreche hier nicht von Autor*innen, die es sich erst mal leisten können müssen, gratis Beiträge zu produzieren). Diese Schieflage thematisch auf die Agenda zu setzen, gelingt während meiner Zeit beim MALMOE-Kollektiv nicht. Es ist ein Defizit, das angesichts des mittlerweile nicht mehr so knackigen Alters der Zeitung von zwanzig Jahren grundlegend problematisiert gehört.

Zum Geburtstag wünsche ich mir also, dass sich MALMOE weniger auf seine Credibility und seinen Neuigkeitswert von einst verlässt, stattdessen vermehrt den Aufstand gegen die Leerstellen der eigenen Vergangenheit erprobt. Um in den nächsten zwanzig Jahren als linkes Werkzeug noch alltagstauglicher zu werden.

Vina Yun war von 2000 bis 2010 Teil des MALMOE-Redaktionskollektivs und koordinierte mit anderen die frühere Rubrik „tanzen“, die mittlerweile im „Erlebnispark“ aufgegangen ist.