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MALMOE

Im Schatten der Flaktürme

Aus der Reihe: ku. & ko. Das phantastische Geschäft

Neben dem kleinen Park in der Seitenstraße liegt das wohl berühmteste Geschäft der Stadt. „Haben wir nicht, gibt’s nicht“, steht am Schild auf der Tür, darunter klebt ein Zettel: „Wegen Corona vorübergehend geschlossen – aber besuchen Sie uns im Internet! Unter: kuundko@gmx.at“

Statt in ihrem Laden befinden sich die beiden Geschäftspartner an diesem nasskalten Wintertag im Augarten und spazieren eine Allee entlang.

„Was für eine ausgezeichnete Idee, uns hier zu treffen. Bewegung an der frischen Luft ist Amphetamin für jeden Körper. Und ich muss gestehen, ich liebe diese kolossalen Flaktürme! Sie haben so etwas Unvergängliches.“ Konrad blickt verträumt auf den braun-grauen Betonklotz und stößt mit einem langen Aushauchen eine leichte Nebelschwade aus.

„Mein lieber Konrad“, sagt Kuna, „bitte versuche, Emotionalität und Atemverhalten zu entkoppeln. Unser Kanzler hat es ausdrücklich in seiner letzten Pressekonferenz kommuniziert. Gut, sein triumphierendes Pusten hat zwar die Plexiglasscheibe in eine Nebelwand verwandelt, aber ich denke mir, dieser ‚Lockdown medium‘, wo du nur Medikamente, Nahrungsmittel und Waffen kaufen kannst, ist die beste Zeit, um in den Onlinehandel einzusteigen. Du verstehst?“

„Klar, das mit Internet.“

„So ist es. Der Markt der Zukunft. Ich sag nur Amazon.“

Beim Flakturm angekommen, blicken sie sich um, als würden sie verfolgt werden. Doch da sind nur kahle, dummgestutzte Bäume, müde Grünanlagen und das grauschwere Licht. Konrad spürt seine kurz aufflackernde Euphorie in eine zähflüssige Niedergeschlagenheit gleiten.

Da fragt ihn Kuna: „Gehen wir zum Spielplatz?“ Konrad nickt, obwohl der Anblick des Spielplatzes in ihm einen Kälteschauer auslöst. Er erinnert ihn an die Doku über die Todeszone von Tschernobyl. Er seufzt: „Amazon … Ach, das ist nur ein Hype.“

„Konrad, nicht dein Ernst, das ist die Zukunft. In China kaufen Millionen täglich ihre Sachen nur mehr online!“, erwidert Kuna.

„Du meinst, wir verkaufen online in China?“

„Nicht wir in China, sondern China bei uns!“

Auf dem Spielplatz sehen sie einen älteren Herrn traurig auf einer blassroten Schaukel schwingen. Sie quietscht. Kuna fährt fort: „Mein lieber Konrad, denk nach! Was ist unser größtes Kapital?“

„Also … nun ja, wir haben nicht viel, können recht wenig, aber … die Leute glauben an uns.“

„Genau. Das nennt man Imagination. Unsere Auftritte, unsere Verkaufsgespräche, davon leben wir – und wo werden die im Internet geführt?“

„Also … im Internet …“

„Auf Zoom. Tausende Konferenzen und Meetings werden dort abgehalten, es ist der optimale Ort für unseren Onlinehandel. Stell dir vor …“

Konrad schaut um sich und für einen Augenblick erstrahlt die Umgebung in leuchtenden Farben. Nicht in Tschernobyl, in Disneyland steht dieser Spielplatz! Der Herr auf der Schaukel nickt ihnen lächelnd zu. „Potzblitz, jetzt verstehe ich. Imagination!“

„Konrad, bei meinen täglichen Verkaufspräsentationen kann ich bei tausenden Menschen die Illusion wecken, sie werden mir vertrauen und kaufen. Und du packst das Zeug ein und verschickst es per Post. Ganz einfach.“

„Kuna, das ist wie immer genial.“

Die beiden stehen nun mitten auf dem Spielplatz und der schaukelnde Herr winkt ihnen verstohlen zu. Plötzlich erkennt Konrad ihn. „Ist das nicht der Inspektor? Kuna, du weißt doch, der Schrecken aller Terroristen und Verbrecher, das Gehirn unserer Exekutive – Inspektor Zwezler!“

„Tatsächlich, wenn man die gebückte Haltung ein bisschen zurechtzerrt“, versetzt Kuna kühn und spielt mit ihren Zeigefingern auf einem imaginären Bildschirm, „könnte er es sein. Nähern wir uns ihm möglichst unauffällig. Nicht auszudenken, wenn wir eine Amtshandlung oder gar eine Observation erschweren.“ Und so zupft Konrad jeden Meter an seinem Hosenbund und prüft den Sitz der Socken, während Kuna sich mit der Zuverlässigkeit einer Schweizer Uhr alle drei Sekunden vergewissert, ob sein Geldbeutel am richtigen Ort ist. Schließlich erreichen sie die rostfleckige Schaukel und posieren keck vor dem tristen Kiesbett.

„Herr Zwezler“, Konrad winkt zuerst verhalten, dann immer energischer, bis der Herr bedächtig den Kopf hebt und sagt: „Ich bin’s. Und betone nochmal: aus freien Stücken zurückgetreten.“

Kuna tritt einen Schritt näher und flüstert konspirativ: „Aber das hier, das ist doch irgend so eine Undercover-Sache, oder?“ Der Inspektor lächelt kurz. „Gewissermaßen. Alle und vor allem die, die sich jetzt in falscher Sicherheit wiegen, sollen glauben, dass ich raus bin, sozusagen“, und hier ringt er um Worte, „weg vom Fenster.“

„Hätte ich auch nicht geglaubt“, sagt Konrad, tritt vorsichtig näher und taucht Zwezler beherzt an, „dass Sie so schnell das Handtuch schmeißen. Nach all den Triumphen im Kampf gegen das Verbrechen.“ Zwezler schüttelt energisch den Kopf, er schaukelt immer schneller und streckt energisch die Beine gen Himmel, genauer gesagt gen Flakturm. „Unverfroren werden seit Jahren permanent die Demokratie gefährdet und Netzwerke geflochten! In unserem schönen Land erreicht die kriminelle Energie in den Parallelgesellschaften schon lange Dimensionen, die eine spezielle Analyse bedingen“, donnert Zwezler, als er die beiden in halsbrecherischer Geschwindigkeit mit der Schaukel passiert.

„Hier möchte ich meine Expertise einbringen“, schaltet sich Kuna ein. „Mir scheint, das ist nicht nur ein sprachliches, sondern auch ein kulturelles Problem. Ich hab’ immer das Gefühl gehabt, in diesen Kreisen auf keine offene Arme zu stoßen.“

„Und das, obwohl sie doch immer den Dialog mit den Menschen sucht“, fügt Konrad hinzu und legt seine Hand auf Kunas Schulter. Zwezler nickt kurz und sagt mit fester Stimme: „Die konspirativen Netzwerke wollen unsere Ermittlungen erschweren. Sie lehnen unseren Staat aus tiefster Überzeugung ab. Hier helfen einzig Observation und Infiltration. Und zwar an der richtigen Stelle.“ Kuna legt die Stirn in Falten, während Konrad fest das Schaukelgestell, welches ächzt und so die Würde und Wichtigkeit dieser Worte unterstreicht, umklammert. Sie wirken etwas hilflos und verloren.

„Ich will ihnen das veranschaulichen“, sagt Zwezler. „Mit der Bedrohungslage ist es genau so, wie wenn man auf dieser Schaukel sitzt und wachsam in die Gegend schaut. Oben sieht man den Flakturm und unten die Blumenbeete, die im Morgenreif funkeln. Da scheint alles ganz klar.“ Kuna streckt ihren Daumen in die Höhe und rempelt Konrad an, der prompt ihrer Geste folgt. Zwezler fährt fort: „Doch da sind auch Büsche, Sträucher und die Augartenmauer, die vorüberziehen. In diesem Dazwischen ist der Feind strategisch aufgestellt, lauert in bekannten und nicht so bekannten Stellungen. In diesem Halbdunkel …“

„Das erinnert mich an so ein Seminar an der Pädak in den 80ern“, unterbricht ihn Konrad und scheint von den Erinnerungen fortgetragen.

„In diesem Halbdunkel also“, Zwezler lässt sich nicht rausbringen, „gedeiht der Feind in Krieg und Frieden, aber auch über und unter dem Radar.“

In Kuna keimt ein Gefühl, etwas, das sie so noch nie hatte: Ehrfurcht. Ehrfurcht vor diesen alten Haudegen, die es einfach durchziehen, ohne ihr Ziel aus den Augen zu verlieren. Sie haucht ein „Wohl gesprochen, bleiben Sie standhaft“ und wendet sich dem Finale auf der Schaukel zu. Zwezler beschleunigt nochmals, beugt sich nach hinten und streckt die Beine, dass selbst Turnvater Jahn anerkennend pfeifen müsste. Er springt in hohem Bogen ab und dreht seinen Kopf in ihre Richtung: „Die wahre Gefahr sind die Linksextremisten!“ Dann landet er im beeindruckenden Telemark.