MALMOE

Freiheit als Eigentumsdelikt

Mit seiner Konzeptkunst reflektiert Cameron Rowland die Verstrebungen des racial capitalism mit dem Kunstfeld

Der Künstler Cameron Rowland (*1988, Philadelphia) verhandelt in seiner Arbeit, inwiefern Fragen der Reparation überhaupt denkbar sind innerhalb eines juristisch-ökonomischen Systems, welches Kapital aus der Sklavenökonomie durch staatliche und ökonomische Strukturen aufrechterhält.

Es ist keine Überraschung, dass strukturelle Ungleichheiten des racial capitalism während der Corona-Krise stark in den Fokus gerückt sind. Besonders in den U.S.A. sprechen die Zahlen für sich: der überproportional hohe Anteil der Erkrankungen und Todesfälle, sowie Arbeitslosigkeit von Black People of Color (B.PoC) stehen unmittelbar in Verbindung mit prekären Lebensumständen, Arbeit in systemrelevanten Berufen, dichtem Wohnen, unzureichende Sozialversicherungen oder dem Leben in Gefangenschaft. Letzteres ist wiederum auf die unverhältnismässige Kriminalisierung von B.PoC zurückzuführen und hat in den letzten Jahren immer wieder zu Massenprotesten und folglich zu medialer Aufmerksamkeit geführt. Seit der Abschaffung der Sklaverei hat sich der explizite Rassismus zunehmend in einen strukturellen gewandelt, der sich durch ein neues Dispositiv der Kontrolle auszeichnet, welches trotz zahlreicher Widerstandsbewegungen und gesetzlichen Reformen kontinuierlich gewachsen ist.

Im Zuge der aktuellen Black Lives Matter-Proteste ist erneut in Erinnerung gerufen worden, dass Anti-Black Violence keine Abweichung der Werte westlicher Demokratien wie Gleichheit und Freiheit darstellt, sondern als deren Fundament betrachtet werden muss, wie es in Theorien des Afro-Pessimismus vertreten wird. Innerhalb dieses Dispositivs der Freiheit/Gleichheit wird das Recht und das Kapital all jener geschützt, die dem Maßstab des Weißseins entsprechen, folglich wird zur Aufrechterhaltung dieser sozialen Ordnung die Entrechtung, Enteignung oder gar Tötung der nicht-weißen Bevölkerung legitimiert.

Inwiefern juridische Strukturen als Legitimation der rassistischen Ordnung funktionieren, wird von verschiedenen Theoretiker*innen der Critical Race Studies untersucht. Denise Ferreira Da Silva identifiziert diese in No-Bodies: Law, Raciality and Violence als Selbsterhaltung des Staates, welche dem Schutz der White Supremacy und ihres Kapitals dient. Ähnlich hat Cheryl I. Harris in ihrer Studie Whiteness as Property demonstriert, inwiefern Weißsein selbst als Eigentum angesehen werden kann – als exklusives Eigentum, welches durch diverse Gesetze geschützt wird. Ebenfalls muss der Begriff der Freiheit als Eigentumsdelikt analysiert werden, wie Saidiya Hartman in Scenes of Subjection argumentiert. Hartman beschreibt die Genealogie der Freiheit mit dem Eintritt ehemaliger Sklaven in das kapitalistische System als Double-bind-of Freedom, welche nicht der Konstitution der bürgerlichem Freiheit als Selbsteigentum entspricht, da hier das marxistische Modell des doppelt freien Arbeiters zu kurz greift.

Polizeikontrollen a.k.a. Plünderungen

Cameron Rowland beschäftigt sich in seiner künstlerischen Praxis mit den juridischen Grundlagen und materiellen Manifestationen des strukturellen Rassismus in den USA (und GB), insbesondere der Form des racialized property, wobei er sich stark auf Critical Race Theorien bezieht. Auf materieller, diskursiver und zeitlicher Ebene vermittelt er in seinen Ausstellungen rassistisch bedingte Enteignungs- und Entrechtungsstrukturen und deren Verwobenheit. Zentral sind dabei zirkuläre Strukturen, die aufzeigen, inwiefern sich seit der Abschaffung der Sklaverei eben lediglich die Formen der Kontrolle, nicht aber ihre Wirkung verändert haben. Rowlands Ausstellungen sind jeweils ähnlich aufgebaut: gezeigt werden ausschliesslich Readymades, „banale“ Alltagsgegenstände welche auf gegenwärtige Entrechtungs- und Enteignungsstrukturen hinweisen (die nicht verkauft, sondern zum Ankaufspreis befristet vermietet werden) oder historische Artefakte, die aus Zeiten der Sklavenökonomie oder der Befreiungskämpfe stammen. Daneben gibt es jeweils zwei Arbeiten, die primär aus einem juristischen Vertrag bestehen und lediglich als gerahmte Dokumente in der Ausstellung integriert sind. Wobei eine dieser Arbeiten einen ortsspezifischen Bezug zur Ausstellungsinstitution und deren Verstrickung mit Ungleichheitsstrukturen aufweist, die andere hingegen über die Institution hinaus in eine mögliche Zukunft weist und uns mit Fragen der Dekolonialisierung konfrontiert. Alle gezeigten Arbeiten werden von einem Pamphlet – einem vom Künstler selbstverfassten Ausstellungstext – begleitet, das über die Provenienz, den Gebrauchskontext oder die Produktionsbedingungen der Objekte informiert und worin historische und juristische Fakten, sowie post-koloniale Theoretiker*innen zitiert werden.

In der zweiten institutionellen Einzelausstellung des Künstlers mit Titel D37 im Moca (Los Angeles, 2018) wurde der Gegenwartsbezug über das Ausstellen von Eigentum hergestellt, welches von der Polizei konfisziert und anschließend vom Künstler auf Online-Versteigerungen erworben wurde. In vielen US-Bundesstaaten wird der Erlös der Versteigerungen größtenteils wieder an die Polizeidepartemente ausbezahlt – fließt also zurück in die Strafverfolgung. Diese Praxis nennt sich zivile Einziehung von Vermögenswerten und erlaubt die Einziehung von Eigentum aufgrund einer Straftat, derer die betroffene Person nicht angeklagt sein muss. Hinreichender Grund ist die Annahme, dass das Eigentum mit illegalen Aktivitäten in Verbindung steht. Gemäß Statistiken wird von dieser Massnahme besonders in armen Nachbarschaften Gebrauch gemacht, folglich sind B.PoC und Menschen ohne Papiere, die nicht über die nötigen finanziellen Mittel verfügen, um gegen die meist unrechtmäßigen Enteignungen vorzugehen, besonders stark davon betroffen. Da der Großteil des konfiszierten Eigentums einen geringen Wert hat, besteht auch kein Anreiz der juristischen Anfechtung. Unter Berücksichtigung der niedrigen Preise, welche die einzelnen Objekte bei den Versteigerungen erzielen (wie z.B. ein Kinderwagen, den Rowland für einen Dollar, also weit unter seinem ursprünglichen Verkaufspreis, ersteigert hat), muss davon ausgegangen werden, dass die Einziehungen in sehr großem Stile betrieben werden, denn an den Statistiken lässt sich erkennen, dass die Polizeidepartements durch zivile Einziehung einen großen Gewinn abschöpfen. Über solche partikulären Strukturen zeigt Rowland auf, wie die „universellen“ Rechte der Gleichheit und Freiheit an eine weiße Staatsbürgerschaft gebunden sind.

Reparation als Antagonismus zum Regime des Eigentums

In der Ausstellung wurde auch ein ortsspezifischer Bezug zu der staatlich institutionalisierten Praxis des Redlining hergestellt, welche die Entwertung, Enteignung, Vertreibung nicht-weißer Communities zur Aufwertung weißer Nachbarschaften zur Folge hat. Wo heute das Museum und weitere kulturelle Institutionen, wie die Walt Disney Concert Hall stehen, haben zuvor nicht-weiße Communities residiert. Inwiefern Rowland dieselben juridischen Mittel aufgreift, um eine Entwertung des racialized property herbeizuführen, lässt sich anhand der Arbeit Depreciation (2018) aufzeigen. Für diese Arbeit hat Rowland ein non-profit Unternehmen namens 8060 Maxy Road, Inc. gegründet. Über dieses hat er eine Acre Land der ehemaligen Maxcy Plantage auf 8060 Maxie Road, Editso Island in South Carolina zum Marktwert gekauft. Dieses Unternehmen hatte den einzigen Zweck, den Kauf des Landes, sowie vertragliche Bestimmungen der zukünftigen Nutzung des Landes aufzuzeichnen. Im aufgesetzten Vertrag wurde festgehalten, dass jegliche Bewirtschaftung, Nutzung oder Gebrauch des Eigentums für jede*n zukünftige*n Besitzer*in verboten ist. Nach der Aufzeichnung des Vertrages wurde der Wert des Eigentums auf 0 Dollar geschätzt – der Marktwert des Grundstückes eliminiert – da das Land rechtlich unbrauchbar gemacht wurde.

Die juristischen Dokumente der Aufzeichnung des Vertrages, sowie Satellitenbilder der Vermessung des Grundstückes und die Einschätzung des Marktwertes wurden gerahmt in der Ausstellung integriert. Daneben verweist das Ausstellungspamphlet auf die Geschichte des Stück Landes: 1865 wurde nach Ende des Bürgerkrieges aus Angst vor einem potentiellen Aufstand tausender befreiter Sklaven, von General William Tecumeseh Shermans der special field order No.15 veröffentlicht, der besagt, dass maximal vierzig Acres und ein Maultier als Reparation an Familien ehemaliger Sklav*innen ausgezahlt werden. Kurz darauf wurde ihnen aber das Land wieder entzogen und an die ursprünglichen Konföderierten Besitzer zurückgegeben. Den ehemaligen Sklav*innen blieb die Wahl entweder in das Sharecropping System einzutreten, für den ehemaligen Herren zu arbeiten oder vom Grundstück verwiesen zu werden. Falls sie vom Land verwiesen wurden, drohte ihnen Zwangsarbeit in Gefangenschaft, denn unter den Black Codes waren Obdachlosigkeit oder Landstreicherei eine Straftat.

Im Gegensatz zu anderen Künstler*innen, welche ökonomisches Kapital aus dem Kunstfeld in soziale Projekte investieren, schlägt Rowland mit der Entwertung des Grundstückes vor, Reparation als Antagonismus zum Regime des Eigentums – als unabgeschlossene, fortlaufende Bestrebung der Dekolonialisierung – zu verstehen. In diesem Sinne lässt sich die Arbeit Depreciation als ein Erinnerungsmonument begreifen, welches nicht nur als realer Ort, sondern auch als juristische Struktur außerhalb der Ausstellung und über ihre Dauer hinaus in unterschiedlichen Institutionen „für immer“ bestehen wird.

Jens Kastner erwähnt im siebten Kapitel zu Kunst und Black Liberation aus Die Linke und die Kunst, dass politische Handlungsmöglichkeiten innerhalb der Dominanzkultur, „im Kunstfeld häufig zwischen der Forderung nach Ausbildung und Stärkung Schwarzer Identitäten einerseits und solchen Positionen andererseits, die das Hybride betonten und in kultureller Produktion gerade die Möglichkeit sahen und sehen, die Dichotomie zwischen Schwarz und weiß zu unterlaufen bzw. zu untergraben“ anzusiedeln sind. Rowland sähe wahrscheinlich weder in der Betonung, noch in der Untergrabung von Differenzen ein emanzipatorisches Potential, viel eher zielt seine Kunst auf Schutzmechanismen des racialized capitalism, die racialized subjects erst hervorbringen und white violence legitimieren. Da auch das Kunstfeld – besonders der Kunstmarkt (u.a. durch Spekulation und Steuerhinterziehung) an der Reproduktion und Aufrechterhaltung dieser Schutzmechanismen beteiligt ist, richten sich seine kritischen Analysen und Interventionen stets auch auf operative Prozesse des Kunstfeldes und deren color blindness. Gleichzeitig wird das Kunstfeld genutzt, um auf Methoden des historischen Materialismus zurückzugreifen und deren blind spots aufzuzeigen. Als Möglichkeit der unmittelbaren Konfrontation mit den materiellen Grundlagen/Formationen des racialized property, betrachtet Rowland seine Kunst als Ergänzung zu den theoretischen Black Studies.