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MALMOE

Cyberfeminismus als Interface

Eine Geschichte feministischer Hacks

„Cyberfeminismus stellt nicht die eine Bewegung dar, die programmatisch bestimmten Zielen folgt, sondern bietet vielmehr einen ‚entry point‘ zu Debatten um Frauen/Feminismus/neue Technologien. Oder, um Tech-Sprache zu gebrauchen: Es handelt sich um eine feministische BenutzerInnenoberfläche, die eine Vielzahl von Anwendungen erlaubt“ (Claude Draude, Introducing Cyberfeminism).

Die Geschichte der Bewegung des Cyberfeminismus entzieht sich ihrer Erzählung. Aus der Kombination von Science-Fiction, spekulativen Theorien und künstlerischen Experimenten wurde Cyberfeminismus zu einem Überbegriff, welcher seit den 1990er Jahren ein breites Spektrum an Praxen und Strukturen bezeichnet. Cyberfeminist*innen fragten sich, ob Technologie dafür benutzt werden kann, den Code des Patriarchats zu hacken.

Entering the Cyberspace

Die Vorsilbe Cyber- referenziert genaugenommen auf cybernetics (dt. Kybernetik). Grundsätzlich argumentiert das interdisziplinäre Forschungsfeld Kybernetik, dass Feedback, Selbstorganisation und die Sammlung von Daten wichtige Bestandteile beständiger Systeme sind, um sich den wandelnden Bedürfnissen flexibel anzupassen. Die feministische Theoretikerin Shulamith Firestone theoretisierte schon 1970 die Idee der Cybernation. Teil ihrer Vision war eine kybernetische feministische Revolution, welche die Arbeitsverhältnisse, die Familienstruktur, gender und Sexualität mithilfe von Technologie umstürzt.

William Gibson erzählt in seiner Kurzgeschichte Chrom brennt (1982) von einer körperlosen Parallelwelt namens Cyberspace, in der alle Informationen der Welt gespeichert sind. Der Begriff des Cyberspace wurde daraufhin zu einer wirkmächtigen und zugleich vagen Metapher um die aufkommenden virtuellen Kommunikations- und Unterhaltungsmöglichkeiten zu beschreiben. Sich die Vorsilbe Cyber- anzueignen, war schon in den 1990ern ein in Ironie getränktes Projekt, welches zugleich große Versprechungen machte.

Im Cyberfeminismus laden sich beide Wortteile gegenseitig mit einer Agenda auf. Den Cyberspace feministischer, und den Feminismus technikaffiner werden zu lassen. Ein Feminismus, der sich abwenden will vom starren, auf die politische Privatsphäre fokussierten Feminismus der sogenannten zweiten Welle. Technologien werden nicht als man-made Werkzeuge oder Waffen begriffen, sondern in Technologie wird das Potenzial gesehen eine emanzipatorische Agenda zu befördern.

Donna Haraway gilt als wichtigster gemeinsamer Bezugspunkt des Cyberfeminismus. Im Cyborg Manifesto (1983) vereint die Figuration des Cyborgs die gesellschaftliche Wirklichkeit mit Fiction und erschafft dadurch neue Handlungsmöglichkeiten. Die Auflösung von Dualismen und scheinbarer Widersprüche wie Natur/Kultur, Tier/Mensch oder Frau/Mann gelingt mithilfe der Ironie. Die Cyberfeminist*innen sind inspiriert von der Einsicht, dass kein Außerhalb der Technologien existiert.

Plattformen des Cyberfeminismus

Den kybernetischen Prinzipien von Selbstorganisation folgend ist das an unterschiedlichen Orten der Welt gleichzeitige Entstehen des Konzepts vom Cyberfeminismus zu erklären. Anfang der 1990er Jahre theoretisierte die englische Kulturwissenschaftlerin Sadie Plant die „Feminisierung“ der Kultur durch digitale Netzwerke und komplexe Systeme. Die kanadische Medienwissenschatlerin Nancy Peterson argumentiert, dass Cyberfeminismus eine Praxis der Diversifizierung und Unterwanderung von digitalen Medien darstellt. Im gleichen Zeitraum formiert sich die Künstler*innen Gruppe VNS Matrix in Australien und schrieben A ­cyberfeminist manifesto for the twenty-first century:

We are the modern cunt

positive anti-reason

unbounded unleashed unforgiving

we see art with our cunt we make art
with our cunt

we believe in jouissance madness ­holiness and poetry

we are the virus of the new world disorder

rupturing the symbolic from within

saboteurs of the big daddy mainframe

the clitoris is a direct line to the matrix

VNS MATRIX

terminators of the moral code

mercenaries of slime

go down on the altar of abjection

Dieses Manifest wurde mit der Unterstützung von Galerien auf Plakatwänden im Öffentlichen Raum verbreitet. Die verschiedenen Konzeptionen standen jedoch nicht konfliktfrei nebeneinander. Vor allem Sadie Plants Haltung, dass sich die essentiell „weiblichen“ Prinzipien der der Non-Linearität, Dezentralisierung sowie nicht-hierarchische Verhältnisse von selbst in eine digitalisierte Gesellschaft einschreiben würden, wurde stark kritisiert. Es entstand die Notwendigkeit Plattformen zu bilden, um die Debatten über Feminismus und neue Technologien voranzutreiben.

In Berlin gründeten Medienkünstler*innen und Mitglieder von VHS Matrix 1997 das Old Boys Network (OBN). Es organisierte im gleichen Jahr die First Cyberfeminist International auf der documenta X in Kassel. Der Kunstkontext erlaubt es, dass sich internationale Teilnehmende über ihre Definition von Cyberfeminismus austauschen konnten. Aus strategischen Gründen wurde Cyberfeminismus nicht definiert. Vielstimmigkeiten und Vielsprachigkeiten sollten bestehen bleiben, so entstanden 100 Anti-Thesen, wie etwa:

Cyberfeminism is not an ism

Cyberfeminismus ist keine entschuldigung

Cyberfeminism is not about boring toys for boring boys

Cyberfeminismus ist keine Kunst

Cyberfeminism is not ideology

Cyberfeminisme n‘est pas une pipe

Cyberfeminism is not a single woman

Im Manifest wird deutlich, wie ironisch die Cyberfeminist*innen der Notwendigkeit eines gemeinsamen Selbstverständnisses begegnet sind. Nach mehreren Publikationen und Ausstellungen und zwei weiteren Cyberfeminist International Konferenzen, der „Next“ (1999, Rotterdam) und der „Very“ (2001, Hamburg) stellte das Old Boys Network seine Aktivitäten ein. Cyberfeminismus fand jedoch rege Verbreitung und wurde stetig um Handlungsfelder erweitert. Zunehmend relevanter wurden seit der Jahrtausendwende, die Biotechnologien und das „pharmapornographische Regime“, wie es später Paul B. Preciado münzte. Das aus cyberfeministischen Kontexten entstandene Kollektiv SubRosa befragt die Auswirkungen des Informationszeitalters auf Körper und Gesundheit durch performative Interventionen, Medienkunst und Publikationen. Insgesamt bot die Kulturindustrie die zugänglichste Plattform für experimentelle Formate und das Zusammendenken von ‚getrennten‘ Themen. Viele Akteur*innen im Cyberfeminismus haben sowohl kollektive, als auch individuelle künstlerische Praxen entwickelt. Diese Praxen umarmten das Hybride und das Vernetzte, was sich auch in deren Ästhetik wiederspiegelte.

Post-Cyberfeminism

Seit mehreren Jahren gibt es ein verstärktes Interesse an der Wiedererzählung und Archivierung der Aktivitäten des Cyberfeminismus. Die Forscherin und Designerin Mindy Seu hat den Cyberfeminist Index 1990-2020 erstellt. In ihrer Forschung begreift sie Cyberfeminismus als verzerrten Überbegriff, um auch Aktivismus außerhalb von Industrieländern in die Geschichtsbeschreibung miteinzubeziehen. Zudem zählt sie intersektionale Konzepte, wie den Black Feminism von Kishonna Gray zum Vermächtnis des Cyberfeminismus. Sie zeigt auf, dass sich in vielen Regionen, in denen das Internet später Verbreitung fand, ähnliche Bewegungen gebildet haben. Beispielsweise die Hackfeministas aus Mexiko, die dort seit Anfang der 2000er aktiv sind. Die Geschichte des Cyberfeminismus bleibt auch heute noch eine zentrale Schnittstelle zwischen Aktivismus und Kunst. Die Geschichte des Internets und der User*innen spielt sich jenseits von Hard- und Software ab. Ganz zentral ist nach wie vor die vom OBN-Mitglied Yvonne Volkart formulierte Frage: „Welche Rolle spielen Technologien bei unserer Subjektivierung?“. Die affirmative und zugleich kritische Haltung zu digitalen Technologien sucht weiterhin nach Plattformen, Vernetzung und Verortung in linker Politik.