MALMOE

Das Geheimnis der Grünen

Aus der Reihe: Der große Minister. Hykels wundersame Visionen und Taten

Er schlug die Tür hinter sich zu und begann zu laufen. In einem Land, das von grünen Chaoten regiert wird, konnte er nicht länger bleiben. Zu seiner Frau sagte er nur: „Ich mach ein bisschen Sport, um abzuschalten.“ In Wirklichkeit hatte er vor, den härtesten und brutalsten Triathlon der Welt zu machen. Nicht den Iron-, sondern den Granitman: Von Purkersdorf nach Zwentendorf laufen, dann rein in die Donau, bis nach Krems schwimmen, raus zum Bahnhof, dort eines der unabgesperrten Fahrräder nehmen, weiter nach Linz, 15 Minuten regenerieren. Nach Hause würde er gehen, im zügigen Tempo.

Bei ihm war es so, dass er bei körperlicher Anstrengung am kreativsten war. Erst wenn er sich ausgezehrt und ausgepresst wie eine Grapefruit fühlte, entsprangen seinem Kopf die schillerndsten Gedanken. Ärzte hatte ihn oft schon für hirntot erklärt, so fertig war er – er hatte jedoch in diesem Zustand die genialsten Ideen. Viele Wahlkampfsprüche resultierten aus solchen Situationen.

Kaum war er aus Purkersdorf draußen, zog es ihn in den Wald, zum frischen und kräftigenden Sauerstoff. Er atmete tief ein und aus. Seine Gedanken begannen um das Wort Putsch zu kreisen. Wir putschen, ich putsche, ich Putschist. Nur wie? Wird Goldi mich unterstützen? Und welche Rolle könnte Frau Strunz dabei spielen? Als Tierschutzbeauftragte der neuen Hykel-Junta? Sie könnte Hunde auf Oppositionelle hetzen …

Aus dem tiefen Atemholen wurde ein immer wilderes Schnaufen, fast schon ein Hecheln. Es war wohl noch etwas zu früh für große Ideen und deren Details, sein Körper hatte noch nicht die richtige Spannung, er fühlte sich sogar irgendwie lätschert. Überhaupt wirkte er ganz konfus, fast panisch, schlug merkwürdig mit den Fäusten in die Luft …
„Eine Grüne hier, einer dort“, murmelte er vor sich hin. Dann ließ er seine Arme hängen und torkelte weiter den Waldweg entlang. Unsicher stolperte er, laut aufschreiend und stöhnend. „Warum hast du mich verlassen? Strunz! Oh, Strunz!“ Doch in dem Moment rutschte er auf einer Wurzel aus, glitt ab, stürzte schreiend einen Abhang hinunter, stieß durch zwei Sträucher und landete schließlich auf einer kleinen Lichtung kopfüber vor den Füßen einer eleganten Dame mit frechem Kurzhaarschnitt.

Jetzt war alles aus. Einst der härteste und größte Minister aller Zeiten, von allen geliebt, gehasst und vor allem bewundert. Sogar bei Ö1 durfte er einst über sein Leben und seine Leidenschaften erzählen, wie er privat sei, vor allem wie sportlich, und nun war alles vorbei. Dieser kleine Sturz ließ ihn erst erfühlen, wie tief er politisch gefallen war. Die Tränen schossen ihm nur so heraus, doch die Dame bückte sich zu ihm.
„Kommen Sie, ich helfe ihnen.“ So half sie ihm auf, doch dann erkannten sie einander …
„Sie?!“
„Sie?!“
„Sie, Frau Petro Madleinovic?“
„Fast, lieber Hykel. Aber in dem Zustand, wie Sie es sind, lass’ ich es gelten.“
„Aber was machen Sie hier im Wald?“
„Das könnte ich Sie auch fragen.“
„Ich war laufen … und … aber was machen Sie hier? Und mit dieser Strohpuppe?“
„Äh … nichts …“
„Wie nichts? Aber das gibt’s doch nicht. Die sieht doch aus wie unser Kanzlerjunge Schnurz!“
„Wie, Schnurz, aber nicht doch.“
„Voodoo! Das kenn’ ich. Sie wollen ihn verhexen! Hilfe!“
„Hykel! Warten Sie! Bitte keine Hysterie, hören Sie auf, zu hyperventilieren, ich werde es Ihnen erzählen. Als wir uns vor gut 30 Jahren als Grüne Partei formierten, war es unser geheimer Plan, die Welt etwas freundlicher zu gestalten. So kamen wir auf die Idee der kleinen Bioläden, wo man die Eier einzeln kaufen konnte. Sie sollten leicht mit dem Fahrrad erreichbar sein und nicht weit von den Kinderkrippen und Alternativschulen. Später investierten einige von uns ihr geerbtes Geld in Immobilien, andere wurden Professor*innen, Ärzt*innen oder Rechtsanwält*innen. Damals gab es in der Partei auch ein paar Linke. Die ließen wir reden, denn wir wussten, wie gerne sie das tun. Wir kümmerten uns inzwischen um Gender und Diversity, denn für eine erfolgreiche Unternehmensführung war dies unentbehrlich. Vor allem aber war uns allen sehr bald klar, wie angenehm so ein Leben sein konnte. Wir reden hier von der Re-Verbürgerlichung des Bürgertums. Sie verstehen? Wir wussten, dass wir die neue Kraft der Mitte sind, die eigentliche Volkspartei, und dass das Kapital uns mehr braucht als wir das Kapital. Denn wir hatten unser Geld gut angelegt. Sie verstehen?“

Hykel wrang sein Schweißband aus, dass das Moos auf der Lichtung nur mehr so glitzerte. Er rang noch immer nach Atem und stieß gepresst hervor: „Aber diese bolschewistische Parteijugend, die immer unsere geliebte Nation in den Dreck zieht.“ Madleidovic lächelte kurz und fuhr fort, während sie die Strohpuppe auf der Lichtung ausrichtete: „Alles nur ein kleines Strohfeuer, ein paar Flyer, einige Brandreden, aber dann, als die wirklich aktiv geworden sind und die hässlichen Bilder von diesen Demonstrationen im Fernsehen waren, haben wir sie abgesägt. Die nächste Generation ist da wirklich pflegeleicht und hat uns gleich verstanden.“
Hykel nickte anerkennend: „So viel Staatsräson hätte ich Ihnen ja gar nicht zugetraut. Und die Ökofundis? Die Hainburg-Krawalltruppe?“
„Ein Schatten ihrer selbst. Fermentiert statt fundamental, das ist wie mit den ganzen Tofusorten. Kulturindustrie, lückenlose Quantifizierung der Konsumenten und Konsumentinnen, sie haben ja wohl auch Adorno gelesen. Aber diese Baum-Umarmer dekorieren uns bei der Bevölkerung mit weit mehr Glaubwürdigkeit als diese Glowitschnig, die ja zu diesem Wettautomatenhersteller gegangen ist. Da hätte sie ja durchaus ein bisschen warten können.“
Hykels Ader auf der glänzenden Stirn pulsierte. Er wollte anerkennend pfeifen, aber ihm entfuhr nur ein leises Krächzen. Anschließend sagte er: „Frau Madleinovic, das ist ja wohl die perfideste Umsetzung der Hegel’schen Herr-Knecht-Dialektik. Ihr Wahlvieh glaubt daran, dass Sie eine Alternative bieten, stattdessen zementieren, nein innenstadtbegrünen Sie Ihren Status.“
„Gelernt ist gelernt“, lächelte Madleinovic süffisant, „wir waren doch schon immer ‚öffi für alles‘.“ Ihr Blick richtete sich wieder auf die Strohpuppe: „So, das schaut jetzt eigentlich ganz gut aus. Eine schöne Plakatidee.“ Und tatsächlich, sie hatte die Strohpuppe in das Moos gebettet. In dem glitzernden Grün wirkte die Schnurzfigur komisch deplatziert, wie aus einer anderen Zeit, in die Farbwucht des Mooses geworfen. „Da funkelt’s ja noch immer, da braucht’s gar keine Nachbearbeitung. Und drunter in fetziger Schrift: Lilith große Herrscherin – Mach’ den Kanzlerbuben grün“, versetzte Madleinovic entzückt und kramte in ihrem Rucksack, um eine stilvolle Kamera herauszufischen. Sie umtänzelte das Arrangement und drückte immer wieder auf den Auslöser. Kickl mobilisierte seine letzten Kräfte und war mit einem großen Satz hinter ihr. „Mein Granitman-Schweiß wird sicher nicht Ihre Maskerade sein! Ihr perfides Täuschungsmanöver werde ich zu verhindern wissen!“ Madleinovic drehte ihren Kopf langsam, fast wie eine schläfrige Eule zu ihm: „Lieber Hykel, sehen Sie genau hin. Das ist kein Schweiß, das sind Tränen …“

Hykel schreckte jäh hoch und prompt durchfuhr ihn ein stechender Schmerz. Er rieb seine Augen und blickte verwirrt um sich. Die Sonne war bereits untergegangen, nur am Horizont blitzte ein kleines Licht der Stadt auf. Ganz langsam konnte er die Konturen der Bäume erkennen, die am Rande der Lichtung standen. Ist das die Grünenlichtung, dachte er noch und dann hörte er die ersten Geräusche im Unterholz, auch in den Baumkronen schien sich etwas zu bewegen. Die ersten Tropfen fielen vom verhangenen Himmel. Hykel kauerte sich zusammen und begann schluchzend zu summen: „Wir ziehen auf stillen Wegen … Die Fahnen eingerollt … Es rinnt so leis’ der Regen … Als wär’ es so gewollt …“