MALMOE

Fragen an die Utopie

Hej Utopie, irgendwie vermissen wir dich – wo treibst du dich gerade herum?

Ja weißt’, ich halte mich gerade ein bisschen bedeckt. Die politische Stimmung ist wirklich nicht auf meiner Seite und es sieht gerade eher mau mit meiner Verwirklichung aus. Also eine Verwirklichung, die ich halt auch vertreten kann, wohlgemerkt. Und du weißt eh, des einen Utopie ist des anderen Untergang. Diese Dichotomie beschäftigt mich doch schwer und gerade weil ich mit dieser Ambivalenz zu kämpfen habe, bin ich einfach mal für ein Zeiterl abgetaucht.

Ist nicht die Utopie mal als Insel imaginiert und konzipiert worden? Deshalb witzig, dass du vom Abtauchen sprichst.

Ja voll, 1516 hat Thomas Morus mich als Insel imaginiert, die es an einem anderen Ort gibt und zur selben Zeit wie das damalige England existiert. Ein England „in gut“, sozusagen – ein positives Spiegelbild, das alles Negative in sein Gegenteil umwirft und einen Raum, eine Gesellschaft schafft, in der die Menschen glücklich sind.

Aber so einfach kannst du Sir Morus auch nicht davonkommen lassen, es war z.  B. schon der Traum einer patriarchalen Gesellschaftsorganisation.

Das stimmt schon – aber denk doch ans Privateigentum, das abgeschafft wurde, und alle Menschen sollen nach ihren Bedürfnissen leben und das alles …

lassen wir uns jetzt nicht um Haupt- und Nebenwiderspruch streiten, etwas anderes: Von postkolonialer Seite wird kritisiert, dass die Entstehung des utopischen Genres in der westlichen Literatur zeitgleich mit dem Aufstieg Englands als imperiale Großmacht passierte. Im Herzen Europas wurde sich eine Welt ausgedacht, die irgendwo anders existieren sollte. Das erinnert schon sehr stark an imperiale Fantasien vom Besseren, das woanders liegt, gefunden und eingenommen werden muss.

Ja, da muss ich dir schon Recht geben, dieses Genre kann nicht ohne die romantische Vorstellung eines Anderen existieren, und das gehört reflektiert und kritisiert. Aber ich als Utopie würde dem schon auch entgegenhalten, dass wir als Gesellschaft und als Individuen in dieser immer ein Anderes imaginieren. Das Andere, wo wir uns hin träumen und wo wir gerne sein wollen. Diese Träume sind natürlich niemals unschuldig und aktuell leider stark von konservativen bis rechtsextremen Gedanken kontaminiert, dass es mich wirklich schaudert, an die Realisierung so mancher Konzepte zu denken. Und wenn ich dann genau für solche Projekte instrumentalisiert und missbraucht werde, dann mach ich mich doch lieber rar.

Es gibt ja schon auch den Widerspruch, dass es die realisierte Utopie nicht geben kann, weil eine Utopie, so zumindest ihr zeitgemäßes Verständnis, der Nicht-Ort ist und dieser sich verflixterweise ja immer in einem nicht zu erreichenden Anderswo (zeitlich oder örtlich) befinden muss. Wenn ich diesen Nicht-Ort erreicht habe, muss er sich ja auflösen, weil er zu einem realen Ort geworden ist. Ist das vielleicht der wahre Grund, warum du dich auf der politischen Stimmung ausruhst, anstatt jene Ideen aufzugreifen, die es eben auch gibt, jene progressiven, linken, feministischen, ökologischen Alternativen, die doch zum Greifen nahe liegen? Und du dich einfach nur davor fürchtest, obsolet zu sein?

Und abermals taucht die Utopie ab.